OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.05.2005 - 7 A 10953/04.OVG - asyl.net: M7001
https://www.asyl.net/rsdb/M7001
Leitsatz:

Ausschluss der Einbürgerung nach § 11 S. 1 Nr. 2 StAG bei Funktionär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMR); eigene verfassungsfeindliche Bekundungen oder Aktionen des Einbürgerungsbewerbers sind keine Voraussetzung für Ausschluss der Einbürgerung, sondern ein auf tatsächlichen Anhaltspunkten begründeter Verdacht genügt.

 

Schlagwörter: Einbürgerung, Türken, Anspruchseinbürgerung, Freiheitlich demokratische Grundordnung, Verfassungsfeindliche Bestrebungen, IGMG, Milli Görüs, Milli Gazete, Mitglieder, Verdacht, Funktionäre
Normen: StAG § 11 S. 1 Nr. 2
Auszüge:

Ausschluss der Einbürgerung nach § 11 S. 1 Nr. 2 StAG bei Funktionär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMR); eigene verfassungsfeindliche Bekundungen oder Aktionen des Einbürgerungsbewerbers sind keine Voraussetzung für Ausschluss der Einbürgerung, sondern ein auf tatsächlichen Anhaltspunkten begründeter Verdacht genügt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbürgerung gemäß § 86 AuslG in der vor dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung. Diese gelangt im vorliegenden Verpflichtungsbegehren nach § 40 c des zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Staatsangehörigkeitsgesetzes - StAG - (BGBl I 2004, 1950 ff., 1999) zur Anwendung, da der Kläger seinen Einbürgerungsantrag am 4. Februar 1999 und somit - wie in der genannten Vorschrift gefordert - bis zum 16. März 1999 gestellt hatte. § 40 c StAG sieht u.a. vor, dass die Einbürgerung auch in diesen Fällen dann zu versagen ist, wenn ein Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG (BGBl a.a.O., 1997) vorliegt.

Die Voraussetzungen dieses Ausschlussgrundes sind hier erfüllt. Es liegen bei dem Kläger tatsächliche Anhaltspunkte vor, welche die Annahme rechtfertigen, dass er Bestrebungen unterstützt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.

1. Nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG besteht kein Anspruch auf Einbürgerung, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen unterstützt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Unter diesem Tatbestandsmerkmal ist eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit, der Freiheit und der Gleichheit unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft zu verstehen. Hierzu gehören u.a. die Volksouveränität, die Gewaltenteilung ebenso wie die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte und die Unabhängigkeit der Gerichte (vgl. auch § 4 Abs. 1 c i.V.m. Abs. 2 BVerfSchutzG und zum - verwandten - Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung: BVerwG, NJW 95, 2505).

Die IGMG strebt trotz gegenteiliger offizieller Bekundungen nicht nur die Beseitigung der laizistischen Gesellschaftsordnung der Türkei an, sondern es geht ihr darüber hinaus um die Errichtung einer islamischen Ordnung auf der Grundlage der Scharia zumindest in den Staaten, in denen - wie in der Bundesrepublik -, Muslime leben. Unter Ersetzung der vorhandenen staatlichen Herrschaftssysteme sollen in der von der IGMG angestrebten islamischen Ordnung die Lebensbereiche so gestaltet werden, wie es von Gott durch den Koran, den Propheten und die Sunna verbindlich vorgegeben ist. Diese theokratische Herrschaftsform schließt - in der Sache liegend - die nach dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes in Art. 20 Abs. 2 GG festgelegte Staatsgewalt des Volkes aus. Indem sie einen islamischer Gottesstaat anstrebt, richtet sich die IGMG daher vor allem gegen das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Demokratieprinzip.

Der Senat vermochte schließlich nicht zu der Einschätzung zu gelangen, die IGMG stelle sich aufgrund von Reformbestrebungen nicht mehr als einheitlich zu beurteilender Block dar oder sie habe gar eine neue Ausrichtung erfahren und sich von der Ideologie Erbakans getrennt: Zwar mag die Abspaltung und Gründung der AKP von der SP sowie deren Niederlage bei den Parlamentswahlen in der Türkei im November 2002 innerhalb der IGMG zu Diskussionen über eine Neu- oder Umorientierung hin zum Kurs der AKP geführt haben (VB Berlin 2003, 111).

2. Die langjährige aktive Vereinstätigkeit des Klägers für die IGMG und seine bis zum heutigen Zeitpunkt ausgeübten Funktionen bilden eine hinreichende Tatsachengrundlage, um die Annahme zu tragen, er unterstütze die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen der IGMG. Ausweislich seines Wortlauts schließt § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG die Einbürgerung nicht erst im Fall nachgewiesener verfassungsfeindlicher Unterstützungshandlungen des Einbürgerungsbewerbers selbst aus, vielmehr genügt ein aufgrund des Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte entstandener Verdacht (zur insoweit wortgleichen Vorgängerregelung in § 86 AuslG, vgl. Renner, § 86, Rdnr. 22, Nachtrag "Staatsangehörigkeitsrecht" zur 7. Auflage des Kommentars Ausländerrecht). Der Versagungstatbestand ist daher nicht erst dann erfüllt, wenn dem um Einbürgerung nachsuchenden Ausländer aufgrund eigener verbaler Bekundungen oder Aktionen ein verfassungsfeindliches Verhalten nachgewiesen werden kann. Ein Verdacht im Sinne der Norm rechtfertigt sich vielmehr schon aus dem Vorliegen eines Umstandes, der bei objektiver und vernünftiger Sicht auf eine Unterstützung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen hinweist.