VG Neustadt a.d.W.

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Zitieren als:
VG Neustadt a.d.W., Urteil vom 22.02.2005 - 7 K 2718/04.NW - asyl.net: M7012
https://www.asyl.net/rsdb/M7012
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Kurden, Widerruf, Änderung der Sachlage, Flüchtlingsanerkennung, Konventionsflüchtlinge, PUK, Nordirak, Glaubwürdigkeit, Verräter, Genfer Flüchtlingskonvention, Sicherheitslage, Kriminaliät, Terrorismus, Versorgungslage
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; GFK Art. 1 C Abs. 5; GFK Art. 1 C Abs. 6; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - ist die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen.

Vorliegend lässt sich die im Bescheid der Beklagten vom 6. März 1997 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak beim Kläger vorliegen, aufgrund der erheblich veränderten politischen Lage in seinem Heimatland nicht mehr treffen. Dem Kläger droht dort keine politische Verfolgung mehr.

Der Kläger behauptet vor allem, dass er Verfolgung durch die PUK im Nordirak zu befürchten habe, die dort inzwischen zu staatsähnlicher politischer Macht gelangt sei. Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob es sich bei der PUK um eine Organisation handelt, die staatsähnliche Machtbefugnisse zumindest auf einem Teilgebiet des Irak ausübt, so dass eine von ihr ausgehende, politisch motivierte Verfolgung auch als Verfolgung i. S. v. § 51 Abs. 1 AuslG dem irakischen Staat zugerechnet werden kann. Denn die Kammer hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger die von ihm behauptete Verfolgung durch die PUK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

Schließlich entspricht aber auch die vom Kläger geäußerte Verfolgungsfurcht nicht den Erkenntnissen, die die Kammer aus der Auskunftslage gewonnen hat. Nach der vom Gericht ins Verfahren eingeführten Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 29. Oktober 2001 an das VG Aachen kann zwar ein vermeintlicher Verräter der PUK, besonders wenn er in sicherheitsrelevanter Stellung eingesetzt ist, auch bei unbegründeten Vorwürfen schnell in Verfolgungsgefahr geraten. Allerdings recherchiert die PUK auch entsprechend. Wenn sich die Beweise gegen ihn verdichten, kann es dann auch zu Gefahren für Leib oder Leben kommen. Hingegen handelt es sich aber bei einer nicht abgesprochenen und überstürzten Ausreise um keine Tat, die zu einer Strafverfolgung durch die PUK führt. Dies führt lediglich dazu, dass man als illoyal angesehen wird und die Posten im Machtzentrum der PUK verliert (so die überzeugende Auskunft des Deutschen Orient-Instituts). Dass gegen den Kläger irgendwelche Verdächtigungen bestehen, er habe die PUK verraten, ist von ihm nicht nachvollziehbar dargelegt worden. Derartige Erkenntnisse bestehen nicht. Bestünden solche Verdachtsmomente, die sich in der Zwischenzeit auch erhärtet haben müssten, so ist nach der zitierten Auskunft des Deutschen Orient-Instituts davon auszugehen, dass man den Kläger sofort ohne langes Zögern getötet hätte. Das klägerische Verhalten, das sich aber darauf beschränkt, nur nicht mehr für die Partei eintreten zu wollen, enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er die Partei tatsächlich verraten haben könnte. Sein Verhalten ist nur ein illoyales Abweichen von der Parteilinie, das aber nach der Einschätzung des Gutachters des Deutschen Orient-Instituts nicht dazu führt, dass er einer ernsthaften Bedrohung durch die PUK ausgesetzt sein könnte.

Anhaltspunkte dafür, dass das ehemalige Regime von Saddam Hussein oder eine Regierung, die an die Traditionen seines Regimes anknüpft, erneut die Macht im Irak ergreifen könnte, bestehen nicht ( so auch OVG Rheinland-Pfalz - Beschlüsse vom 9.Februar 2004 - 8 A 10266/04.OVG - und vom 27. September 2004 - 8 A 11751.OVG-, ESOVGRP) .

Soweit der Kläger der Auffassung ist, ein Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG sei rechtswidrig, weil sich durch den Zusammenbruch des Regimes von Saddam Hussein die Sachlage im Irak nach der positiven Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht geändert habe, ist ihm nicht zu folgen. Zwar stammt er aus dem kurdisch beherrschten Nordirak. Dort hatte das frühere Regime von Saddam Hussein auch schon zum Zeitpunkt des feststellenden Bescheides vom 6. März 1997 keine Gebietsgewalt praktisch mehr ausgeübt, so dass schon damals kein Zugriff der staatlichen Stellen der zentralirakischen Regierung auf den Kläger gegeben war. Die insoweit damals nicht erkannte inländische Fluchtalternative steht einem Widerruf der Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG aber nicht entgegen. Denn der Zusammenbruch des alten Regimes stellt einen Fall der nachträglichen Änderung der Sachlage dar. Zu der Problematik des Widerrufs einer Asylanerkennung und einer Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG bei einer rechtswidrig nicht erkannten inländischen Fluchtalternative führte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Beschluss vom 27. September 2004 - 8 A 11751/04.OVG - aus: ...

Auch kann der Kläger keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verlangen.

Soweit sich der Kläger darauf bezieht, dass die allgemeine Sicherheitslage sich derartig verschlechtert habe, dass für jeden Iraker die naheliegende Gefahr bestünde, Opfer eines terroristischen Anschlags oder krimineller Aktivitäten zu werden, muss ihm entgegengehalten werden, dass er keine konkrete erhebliche Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit für sich in Anspruch nimmt. Soweit nämlich die Sicherheitskräfte der Militärkoalition mit einer unbeständigen Sicherheitslage im Irak zu kämpfen haben, insbesondere mit der Gefahr der terroristischen Anschläge oder sonstiger krimineller Handlungen, handelt es sich um Gefahren allgemeiner Natur, die der gesamten irakischen Bevölkerung in gleichem Maße drohen und unter § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fallen. § 60 Abs 7 Satz 2 AufenthG gewährt aber keinen individuellen Abschiebungsschutz.

Schließlich kann nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen im Hinblick auf die Versorgungslage im Irak nicht von einer existentiellen Gefährdung einzelner Rückkehrer ausgegangen werden. Insgesamt bleibt die Versorgungslage zwar angespannt. Dabei ist die wirtschaftliche und so ziale Lage in der nordirakischen Gebieten, die schon vor dem 20. März 20034 von der Regierung in Bagdad weitgehend autonom waren, besser als im Zentral- und Südirak, vor allen Dingen wegen der funktionierenden Verwaltung, Polizei und Justiz (vgl. ad hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes, a. a. O.). Allerdings ist nicht von einer solchen Versorgungslage auszugehen, die eine existentielle Bedrohung mit sich bringen könnte.