VG Koblenz

Merkliste
Zitieren als:
VG Koblenz, Urteil vom 27.04.2005 - 2 K 2751/04.KO - asyl.net: M7018
https://www.asyl.net/rsdb/M7018
Leitsatz:

Keine Verfolgung durch Übergangsregierung des Irak; keine extreme allgemeine Gefährdungslage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG.

 

Schlagwörter: Irak, Widerruf, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, Kurden, Änderung der Sachlage, Baath, Übergangsregierung, Zwingende Gründe, Sicherheitslage, Versorgungslage, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Trinkwasser
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Keine Verfolgung durch Übergangsregierung des Irak; keine extreme allgemeine Gefährdungslage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Zunächst unterliegt die Widerrufsentscheidung der Beklagten keinen Bedenken.

Eine vom irakischen Staat ausgehende Verfolgung ist nach den vorgenannten Kriterien nicht mehr gegeben:

Insbesondere ist davon auszugehen, dass der Kläger auch durch die derzeitige oder eine künftige irakische Staatsgewalt keinen Repressalien ausgesetzt sein wird. Denn die gegenwärtige Übergangsregierung und das bei den Wahlen vom 30. Januar 2005 siegreiche Parteienbündnis weisen ersichtlich keine Ähnlichkeit mit dem bisherigen Regime auf, sodass aus jener Zeit stammende Anknüpfungspunkte für Übergriffe gegen Einzelne allenfalls im Sinne von Racheakten gegen Unterstützer des damaligen Regimes denkbar sind.

Weiterhin sind die Voraussetzungen für eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hier nicht gegeben.

Auch eine extreme allgemeine Gefahrenlage, die eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gebietet, besteht nicht.

Die für sich betrachtet schwerwiegenden Übergriffe haben vor diesem Hintergrund indes noch nicht das Ausmaß einer Gefährdungslage erreicht, die für jeden Rückkehrer eine konkrete Gefahr in Bezug auf sein Leben und seine Gesundheit befürchten ließe.

Die allgemeine Versorgungslage ist ebenfalls nicht so kritisch, dass ein Rückkehrer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren (Hunger)-Tod ausgeliefert werden würde (vgl. dazu BVerwG, InfAuslR 1999, 265).

Dass sauberes Trinkwasser im Irak knapp ist, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn das Maß einer existentiellen Gefährdung ist schon deshalb nicht erreicht, weil Engpässe, etwa durch die Herbeischaffung von Wassertanks, sofort oder jedenfalls in zureichender Frist behoben werden. Zudem wird intensiv an der Wiederherstellung eines funktionierenden Wassernetzes gearbeitet (Lageberichte Auswärtiges Amt vom 6. November 2003 und 7. Mai 2004, Deutsches Orient-Institut, a.a.O.).

Aktuell kann weder von einer katastrophalen Situation noch von einer düsteren Stimmung im Irak ausgegangen werden. Der Irak befindet sich zwar - zurzeit noch - in der Situation eines Nachkriegslandes; der Wunsch nach Sicherheit, das Sehnen nach einem starken Mann, der Sicherheit gewährleisten kann, steht bei den meisten Irakern an erster Stelle. Als Problem wird es aber nicht angesehen, den täglichen Hunger zu stillen; das durchschnittliche Haushaltseinkommen im Irak hat sich seit Herbst 2003 fast verdoppelt. Die Schwierigkeiten in dem sich neu konstituierenden und orientierenden Staat sind zwar nicht zu verkennen; sie haben aber insofern für das tägliche Leben untergeordnete Bedeutung, als 75 % der Iraker den gewöhnlichen Alltagsgeschäften nachgeht (landesweite Umfrage im Irak, Oxford Research International Institute, Dr. Christoph Sahm, SWR 1, 29. Juni 2004). Also kann von die Abschiebung hindernden Umständen nicht die Rede sein.

Soweit der Kläger darüber hinaus vorträgt, dass nach den "Richtlinien zum internationalen Schutz" des UNHCR die Beendigungsgründe nach der Genfer Flüchtlingskonvention abschließend seien und danach eine Abschiebung in den Herkunftsstaat voraussetzte, dass dort ein funktionierender Rechtsstaat und eine demokratisch gewählte Regierung existiere, ist dem entgegenzuhalten, dass diese Interpretation der völkerrechtlich bindenden Abkommen der Bundesrepublik selbst nicht bindend ist. Innerstaatliche Verbindlichkeit beanspruchen demgegenüber die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes sowie der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, soweit diese Richtlinie weitergehende Regelungen trifft. Diesen Bestimmungen sind aber die von Klägerseite vorgetragenen Einschränkungen der Abschiebung eines Flüchtlings in seinen Herkunftsstaat nicht zu entnehmen.