VG Mainz

Merkliste
Zitieren als:
VG Mainz, Urteil vom 04.05.2005 - 7 K 393/03.MZ - asyl.net: M7021
https://www.asyl.net/rsdb/M7021
Leitsatz:

Spitzensportler aus dem Iran, die einen Asylantrag stellen, sind bei Rückkehr besonders gefährdet; selbstgeschaffene Nachfluchtgründe sind im Asylfolgeverfahren entgegen § 28 Abs. 2 AsylVfG dann zu berücksichtigen, wenn daneben weitere, nicht § 28 Abs. 2 AsylVfG unterliegende Gründe vorliegen.

 

Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Objektive Nachfluchtgründe, Sportler, Antragstellung als Asylgrund, Presse, Überwachung im Aufnahmeland, Exilpolitische Betätigung, Ausnahmefall, Radio, Interview, Radio Azadi
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1 S. 1; VwVfG § 51 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

Spitzensportler aus dem Iran, die einen Asylantrag stellen, sind bei Rückkehr besonders gefährdet; selbstgeschaffene Nachfluchtgründe sind im Asylfolgeverfahren entgegen § 28 Abs. 2 AsylVfG dann zu berücksichtigen, wenn daneben weitere, nicht § 28 Abs. 2 AsylVfG unterliegende Gründe vorliegen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebeverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person.

Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG in der Fassung von Art. 3 Nr. 18 Buchst. b des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthaltes und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) kann im Folgeantragsverfahren eine Feststellung, dass dem Ausländer die in § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) bezeichneten Gefahren drohen, in der Regel nicht mehr getroffen werden, wenn der Ausländer seinen Asylfolgeantrag auf Umstände im Sinne von Abs. 1 stützt, die nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags entstanden sind. Diese Regelung hat zur Folge, dass - im Gegensatz zu der zu § 51 Abs. 1 AuslG geltenden Rechtslage - nicht nur - wie bisher - die Zuerkennung von Asyl im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG, sondern auch die Zuerkennung des so genannten "kleinen Asyls" regelmäßig ausgeschlossen ist, wenn nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylverfahrens ein Folgeverfahren auf selbst geschaffene Nachfluchtgründe gestützt wird. Damit soll der bislang bestehende Anreiz genommen werden, nach unverfolgter Ausreise aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen (vgl. BT-DrS 15/420, S. 110).

Die vom Kläger geltend gemachten Gründe sind im Rahmen des hier anhängigen Asylfolgeverfahrens auch beachtlich; insbesondere steht ihnen nicht die Ausschlussvorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG entgegen. Im Hinblick auf die Presseberichterstattung über die sportlichen Aktivitäten des Klägers und sein Asylverfahren ergibt sich dies bereits daraus, dass es sich bei dieser Berichterstattung in der Presse nicht um subjektive Nachfluchtgründe handelt, und nur diese sind von der Ausschlusswirkung des § 28 Abs. 2 AsylVfG im Asylfolgeverfahren erfasst. Der Kläger kann sich aber auch darauf berufen, dass er einen hochrangigen iranischen Studentenführer während dessen Aufenthalt in ... betreut hat, ferner, dass er ein Interview bei einem im Ausland ansässigen iranischen Radiosender gegeben hat, welches nach Iran ausgestrahlt wurde. Zwar handelt es sich hierbei um Gründe, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Schluss geschaffen hat (so genannte subjektive Nachfluchtgründe), die an sich unter die Ausschlusswirkung des § 28 Abs. 2 AsylVfG fallen würden. Wie jedoch dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 AsylVfG zu entnehmen ist, insbesondere aus den Worten "... in der Regel ...", ist diese Vorschrift von einem Regel-Ausnahmeverhältnis aus, d. h. die Vorschrift ist einerseits so anzuwenden, dass sie im Hinblick auf das Vorliegen eines Ausnahmefalles nicht leer läuft; andererseits darf aber auch der hinter der Vorschrift stehende Gesetzeszweck (vgl. BT-DrS 15/420, S. 110) nicht unterlaufen werden. Dies wird im Ergebnis dazu führen, dass nur in besonders gelagerten, sich vom Regelfall der Geltendmachung subjektiver Nachfluchtgründe in deutlicher Weise unterscheidenden Fällen die Ausschlusswirkung des § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht zum Tragen kommen wird. Wann dies der Fall ist, lässt sich unmittelbar aus der amtlichen Begründung zu § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht entnehmen, denn dort wird auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis mit keinem Wort eingegangen. Wenn man sich jedoch Sinn und Zweck der mit § 28 Abs. 2 AsylVfG verfolgten Regelung - nämlich den Anreiz zu nehmen, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenen Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen (vgl. amtliche Begründung, a.a.O.) - vor Augen hält, so kann eine Ausnahme vom Regelfall fehlender Beachtlichkeit subjektiver Nachfluchtgründe im Folgeantragsverfahren z. B. dann in Betracht kommen, wenn subjektive Nachfluchtgründe in untergeordneter Funktion zeitlich nachgeordnet zu anderen, der Ausschlusswirkung des § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht unterliegenden Gründen treten und erst das Zusammenspiel aller Umstände eine beachtliche Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG begründet (vgl. insoweit auch Urteil des VG Mainz vom 27. April 2005 - 7 K 755/04.MZ -, Seite 9 des Umdrucks). Ein derartiger Fall liegt vorliegend zur Überzeugung des Gerichts vor. Der Kläger hat nämlich seinen Asylfolgeantrag im Wesentlichen darauf gestützt, dass infolge der Presseberichterstattung über ihn den iranischen Stellen hat bekannt werden können, dass er sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte und ein Asylverfahren betreibe, weshalb er im Falle einer Rückkehr in den Iran als ehemaliger Spitzenringer einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt sei. Dieses Vorbringen zieht sich - wie z. B. seinen Einwänden gegen die Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 16. August 2004 zu entnehmen ist (vgl. insoweit Seite 1 des Schriftsatzes vom 20. September 2004, Blatt 179 der Gerichtsakten) - als zentrales Begründungselement durch das Verfahren, zu dem die nunmehr noch geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten - auch zeitlich nachgeordnet - in untergeordneter Weise hinzutreten. Insofern ist es gerechtfertigt, sämtliche vom Kläger geltend gemachten Gründe vor dem Hintergrund von § 28 Abs. 2 AsylVfG als beachtlich anzusehen.

Die vom Kläger geltend gemachten Umstände sind auch geeignet, eine für ihn günstigere Entscheidung herbeizuführen. Denn zur Überzeugung des Gerichts ist es beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Iran in der Gesamtschau dessen, dass er als ehemaliger Ringer in der iranischen Junioren-Nationalmannschaft in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt, einen iranischen Studentenführer während seines Aufenthalts in ... betreut und in einem iranischen Exilradiosender ein Interview gegeben hat, welches nach Iran ausgestrahlt wurde, mit Maßnahmen von asylerheblicher Relevanz rechnen müsste. Der Kläger muss aufgrund dieses Umstandes wegen seiner Asylantragstellung in der Gesamtschau mit den anderen - vorgenannten - Aktivitäten nach den Erkenntnissen des Gerichts auch mit einer erhöhten Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr nach Iran rechnen.