VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Urteil vom 28.06.2005 - 6 E 2568/03.A - asyl.net: M7037
https://www.asyl.net/rsdb/M7037
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, Folgeantrag, subjektive Nachfluchtgründe, Zuwanderungsgesetz, Entscheidungszeitpunkt, Übergangsregelung, Exilpolitische Betätigung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG n. F. kann, wenn die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens vorliegen, in diesem in der Regel die Feststellung, dass die in § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes bezeichneten Gefahren drohen, nicht mehr getroffen werden, wenn ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt und er sein Vorbringen auf Umstände im Sinne des Absatzes 1 stützt, die nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages entstanden sind. Diese Vorschrift, die Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG entspricht, ist seit dem 01.01.2005 in Kraft und daher auf den vorliegenden Fall anzuwenden; Übergangsvorschriften enthält das Zuwanderungsgesetz nicht. Da der Beigeladene sein Vorbringen auf Umstände i.S.d. § 28 Abs. 1 AsylVfG stützt, die nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags hier seines ersten Folgeantrags durch Urteil des VG Kassel vom 14.02.2003 (Az.: 4 E 2803/01.A) entstanden sind (weitere exilpolitische Betätigung), kann in der Regel eine Feststellung nach § 60 Abs. 1 AufenthG, dem früheren § 51 Abs. 1 AuslG, nicht mehr getroffen werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG an sich zu bejahen und damit das Vorbringen erheblich und geeignet wäre, zu einer positiven Entscheidung zu führen (FunkeKaiser in Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Loseblattsammlung, Stand: Januar 2005, § 28 Rn. 46 A.E.). Wann von diesem Regelfall eine Ausnahme zu machen ist, ergibt sich aus der Vorschrift selbst nicht und muss daher im Wege der Auslegung ermittelt werden. Sinn und Zweck der Neuregelung ist unverkennbar, die Gewährung des sogenannten "Kleinen Asyls" bei Hervorrufen des Schutzbedürfnisses durch rechtspolitisch missbilligte Verhaltensweisen auszuschließen (vgl. FunkeKaiser, a.a.O. Rn. 47 in der Mitte).

Eine Orientierungsmarke für die Bestimmung von Ausnahmen i.S.d. § 28 Abs. 2 AsylVfG gibt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts(Beschluss vom 28.11.1986, Az.: 2 BvR 1058/85, BVerfGE 74, S. 51 ff.) zu § 28 AsylVfG a.F. (so auch: Duchrow, Die flüchtlingsrechtlichen Profile des Zuwanderungsgesetzes, ZAR 2002, S. 269 ff. [273]). Denn die soeben zitierte Begründung stellt maßgeblich auf diese Rechtsprechung ab. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung (a.a.O., S.65 f.) die Leitlinie aufgestellt, dass bei selbstgeschaffenen Nachfluchtgründen größte Zurückhaltung geboten ist und solche sich nur zu Gunsten des betreffenden Asylsuchenden auswirken können, "wenn die selbstgeschaffenen Nachfluchttatbestände sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellen, mithin als notwendige Konsequenz einer dauernden, die eigene Identität prägenden und nach außen kundgegebenen Lebenshaltung erscheinen". Hintergrund dieser Rechtsprechung, bestimmte, gewillkürte Nachfluchtgründe von einem Schutz auszunehmen, war das Anliegen, Fälle der "risikolosen Verfolgungsprovokation" als Asylgründe auszuschließen, in denen der Flüchtling sich von einem sicheren Ort aus ein grundrechtlich verbürgtes Recht zu erzwingen versucht (Duchrow, a.a.O.; vgl. auch FunkeKaiser, wie zuletzt). Diese Rechtsprechung hat ihren Niederschlag in § 28 Abs. 1 AsylVfG gefunden.