OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.08.2005 - 18 B 2453/04 - asyl.net: M7052
https://www.asyl.net/rsdb/M7052
Leitsatz:
Schlagwörter: Ausweisung, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Verhältnismäßigkeit, Straftaten, Drogendelikte, Schutz von Ehe und Familie
Normen: EMRK Art. 8
Auszüge:

Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass diese Ausführungen mit der Rüge, in der Ermessensentscheidung in der Änderungsverfügung habe die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), wonach die Ausweisung von faktischen Inländern unabhängig von den verwirkten Straftaten unverhältnismäßig sei, keine Berücksichtigung gefunden, nicht durchgreifen. Eine solche Grundsätze aufstellende Rechtsprechung dieser Gerichte gibt es nicht.

Insbesondere ist derartiges der vom Antragsteller zitierten Entscheidung des EGMR (Urteil vom 11. Juli 2002 - 56811/00 - (Amrollahi), InfAuslR 2004, 180 f) nicht zu entnehmen. Vielmehr heißt es darin, als für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit relevante Kriterien sei die Natur und Schwere der Straftat in Betracht zu ziehen, darüber hinaus auch die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in dem Staat, aus dem er ausgewiesen werden solle, die seit der Begehung der Straftat vergangene Zeit wie auch das Verhalten des Beschwerdeführers in dieser Zeit; daneben müssten auch die Familiensituation wie z.B. die Dauer der Ehe und der Grad der Schwierigkeiten berücksichtigt werden, denen die Ehefrau im Heimatland des Beschwerdeführers begegnen würde. Im Wege einer Einzelfallabwägung hat der EGMR hier wegen der erheblichen Schwierigkeiten eines Lebens der dänischen Ehefrau und dreier dänischer Kinder im Iran zugunsten des betreffenden Beschwerdeführers entschieden.

Dementsprechend hat der EGMR in seiner stark kasuistische Züge aufweisenden Rechtsprechung in anderen Fällen die Ausweisung von sogenannten Ausländern der zweiten Generation nicht etwa generell und unabhängig von den weiteren Umständen des Falles - insbesondere der Schwere der von ihnen begangenen Straftaten - als unverhältnismäßig angesehen (vgl. EGMR, Urteile vom 24. April 1996 - Nr. 16/1995/552/608 - (Boughanemi), vom 21. Oktober 1997 - Nr. 122/1996/741/940 - (Boujlifa), InfAuslR 1998, 1, Entscheidung vom 4. Oktober 2001 über die Zulässigkeit der Beschwerde Nr. 43359/98 (Adam), NJW 2003, 2595 und vom 10. Juli 2003 - Nr. 53441/99 - (Benhebba), InfAuslR 2004, 182).

In diesem Zusammenhang hat der EGMR bei der stets vorgenommenen Würdigung der Schwere der begangenen Straftat wiederholt betont, dass er bei der Verurteilung eines Ausländers wegen eines Betäubungsmitteldeliktes - wie hier - in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung Verständnis dafür habe, dass die Behörden mit großer Strenge gegen diejenigen vorgehen, die zur Verbreitung dieser "Geißel" beitragen (vgl. EGMR, Urteile vom 19. Februar 1998 - Nr. 154/1996/773/974 - (Dalia), InfAuslR 1998, 201 (203), vom 30. November 1999 - Nr. 34374/97 - (Baghli), NVwZ 2000, 1401 f, vom 17. April 2003 - Nr. 52853/99 - (Yilmaz), NJW 2004, 2147 m.w.N. und vom 10. Juli 2003 (Benhebba) a.a.O.).

Auch das Bundesverfassungsgericht hat unter Heranziehung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK hinsichtlich der Frage der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung und Abschiebung eines sogenannten Ausländers der zweiten Generation als Auslegungshilfe und unter Würdigung zahlreicher Entscheidungen des EGMR entschieden, dass die Ausweisung eines solchen Ausländers nicht generell und unabhängig insbesondere von der Schwere der von ihm begangenen Straftaten sowie weiteren Umständen des Falles unverhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. März 2004 - 2 BvR 1570/03 -, DVBl 2004, 1097 = EuGRZ 2004, 317 = InfAuslR 2004, 280 = NVwZ 2004, 852 m.w.N. zur Rechtsprechung des EGMR).

Die gleiche Auffassung findet sich in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Urteile vom 29. September 1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54 (56f) und vom 3. August 2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315 = AuAS 2005, 26 = DVBl 2005, 119 = InfAuslR 2005, 26 = NVwZ 2005, 224).