VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 14.04.2005 - K 83/05.TR - asyl.net: M7081
https://www.asyl.net/rsdb/M7081
Leitsatz:

Keine nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Roma im Kosovo; keine extreme allgemeine Gefährdungslage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG für Roma.

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Roma, Kosovo, nichtstaatliche Verfolgung, Gruppenverfolgung, Schutzfähigkeit, Schutzbereitschaft, UNMIK, KFOR, UCK, Versorgungslage, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, Erlass, Abschiebungsstopp, Roma-Siedlung, Wohnraum
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Keine nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Roma im Kosovo; keine extreme allgemeine Gefährdungslage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG für Roma.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes ­ AufenthG ­ vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950).

Auch eine nicht staatliche Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG durch die albanische Mehrheitsbevölkerung vermag die Kammer für den Kläger in Ansehung seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma nicht festzustellen. Zwar ist es im März 2004 zu gewaltsamen Übergriffen der albanischen Bevölkerung gegenüber Minderheiten, insbesondere gegenüber der serbischen Minderheit gekommen, von denen in Einzelfällen auch Angehörige anderer Minderheiten betroffen waren (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 04. November 2004). Nachdem sich die Lage indessen innerhalb weniger Tage wieder beruhigt hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Angehörige der Roma grundsätzlich nicht den erforderlichen Schutz der UNMIK und KFOR erhalten. Nach einer Verstärkung der KFOR-Truppen, der Überwachung von Wohngebieten der Minderheiten durch KFOR-Militäreinheiten und Polizeieinsatzkräfte der UNMIK hat sich vielmehr die Sicherheitslage der Angehörigen der Minderheiten verbessert, wenn auch die Lage nach wie vor angespannt ist (vgl. zusammenfassend Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 04. November 2004). Insoweit ist die Kammer mit dem Bundesamt, dessen Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid sie teilt, der Auffassung, dass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger im Kosovo Übergriffen seitens der albanischen Bevölkerungsmehrheit ausgesetzt sein könnte, derzeit sowie auf absehbare Zukunft nicht besteht. Soweit schließlich der Kläger geltend gemacht hat, über die Dauer von drei Jahren von Mitgliedern der UCK behelligt worden zu sein, hat er diesen Vortrag, wie im angefochtenen Bescheid der Beklagten dargelegt, nicht näher substantiiert, so dass die Kammer mit dem Bundesamt Zweifel an der Richtigkeit des diesbezüglichen Vorbringens des Klägers hat. Vor dem Hintergrund des Umstandes, dass der Kläger eingeräumt hat, die KFOR habe ihm Schutz vor den Behelligungen geboten, muss diesem Zweifel nicht näher nachgegangen werden. Denn der Kläger muss sich, sollte er tatsächlich im Falle einer Rückkehr abermals von ehemaligen Mitgliedern der UCK bedroht werden, auf den Schutz durch die KFOR sowie Polizeieinheiten

der UNMIK verweisen lassen.

Schließlich steht dem Kläger auch kein gegen die Beklagte gerichteter Rechtsanspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu.

Schließlich stellen die allgemeinen schlechten Lebensbedingungen im Kosovo, die Zerstörung der Wohnhäuser, die Verwüstung der landwirtschaftlichen Nutzflächen und die kriegsbedingten Verminungen des Geländes kein Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG dar, denn nach Satz 2 dieser Bestimmung zählen zu den Abschiebungshindernissen nach Satz 1 grundsätzlich nicht Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt sind. Derartige Gefahren werden vielmehr grundsätzlich nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bei der Entscheidung der obersten Landesbehörde über eine Aussetzung der Abschiebung berücksichtigt.

An einer derartigen Anordnung fehlt es in Rheinland-Pfalz, weil das zuständige Ministerium des Inneren und für Sport eine solche Entscheidung über einen allgemeinen Abschiebestopp für Personen aus dem Kosovo bislang nicht getroffen hat, wenn auch Serben und Angehörige der Roma derzeit generell sowie Mitglieder der Volksgruppe der Ashkali und Ägypter mangels erforderlicher Zustimmung durch die UNMIK tatsächlich nicht abgeschoben werden (vgl. Erlass des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Inneren und für Sport vom 28. Mai 2003 sowie vom 29. Juni 2004).

In Bezug auf den Kläger vermag die Kammer indessen auch in Ansehung seiner Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Roma im Kosovo keine extreme Gefahr im oben umschriebenen

Sinne festzustellen. Zwar sind die Angehörigen dieser Minderheit im Kosovo, wie oben dargestellt, in der Vergangenheit in Einzelfällen immer wieder Übergriffen der albanisch-stämmigen Bevölkerung ausgesetzt gewesen. Diese Gefahr ist jedoch nach dem Abklingen der Unruhen vom März 2004 erheblich geringer geworden. Von einer extremen Gefährdung, die den Kläger im Falle einer Abschiebung in den Kosovo gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Menschenrechtsverletzungen aussetzen würde, kann insofern keine Rede sein.

Soweit der Kläger hinsichtlich der Lebensverhältnisse auf Filmaufnahmen aus seiner Heimat verweist (vgl. die in der mündlichen Verhandlung übergebene CD-ROM), ergibt sich hieraus keine andere Bewertung. Die Aufnahmen zeigen Lebensverhältnisse in einer Roma-Siedlung, die aus teils zerstörten Wohnhäusern und Baracken besteht. Die Aufnahme zeigt einerseits zwar gemessen an mitteleuropäischem Standard schlechte bis unzulängliche Wohnverhältnisse, ohne dass andererseits erkennbar ist, dass die dort lebenden Menschen in ihrer Existenzgrundlage bedroht wären. Dagegen spricht insbesondere der Umstand, dass die Existenz einer funktionierenden Stromversorgung zu erkennen ist und die Bewohner jedenfalls teilweise über Satelittenanlagen, Fernseher und Kraftfahrzeuge verfügen.

Im Übrigen bedarf es ungeachtet der den Angehörigen der ethnischen Minderheiten der Roma im Kosovo im Einzelfall drohenden Gefahren seitens der albanischen Bevölkerungsmehrheit jedenfalls deshalb keiner Gewährung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG, weil durch die entsprechenden Anordnungen des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport (vgl. die oben genannten Erlasse) Abschiebungen von Angehörigen der Roma in den Kosovo derzeit nicht durchgeführt werden (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 ­ 1 C 2.1 ­ sowie OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. Oktober 2001 ­ 7 A 11967/98.OVG -).