VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Beschluss vom 11.07.2005 - 8 L 435/05 - asyl.net: M7091
https://www.asyl.net/rsdb/M7091
Leitsatz:
Schlagwörter: Ausweisung, Sofortvollzug, Vereinsverbot, AL-AQSA e.V., Ausnahmefall, Regelausweisung, HAMAS, Terrorismus, Aufenthaltsdauer, Schutz von Ehe und Familie, Suspensiveffekt, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 54 Nr. 7; GG Art. 6; EMRK Art. 8
Auszüge:

Soweit sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen die in der Ordnungsverfügung vom 6. Mai 2005 enthaltene Ausweisungsverfügung richtet, ist der Antrag zulässig und begründet. Dem Widerspruch kommt gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung zu, weil der Antragsgegner die sofortige Vollziehung besonders angeordnet hat.

Zunächst ist allerdings die Ausweisungsverfügung des Antragsgegners vom 6. Mai 2005 nach der vor Erlass des Widerspruchsbescheides - als letzter Behördenentscheidung - maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offensichtlich rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung nach § 54 Nr. 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) liegen im Zeitpunkt der Entscheidung vor. Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Der Antragsteller war Leiter des Vereins AL-AQSA e.V. in Aachen, da er - unstreitig - Vorstandsvorsitzender des Vereins war. Der Verein AL-AQSA e.V. wurde mit Verfügung des Bundesministeriums des Inneren vom 31. Juli 2002 verboten und aufgelöst. Die Klage des Vereins gegen diese Verbotsverfügung ist von dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil vom 3. Dezember 2004 (6 A 10/02, DVBl. 2005 S. 590) unanfechtbar abgewiesen worden (vgl. auch § 50 Abs. 1 Nr.2 VwGO). In seiner Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass der Verein den Verbotstatbestand des § 3 Abs. 1 Satz 1 des Vereinsgesetzes (VereinsG) i.V.m. Art. 9 Abs.2 des Grundgesetzes (GG) erfüllte, weil er sich objektiv und subjektiv gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtete.

Im Rahmen der erforderlichen - eigenen, originären und umfassenden - Interessenabwägung durch das Gericht überwiegt jedoch hinsichtlich der Ausweisungsverfügung derzeit das private Interesse des Antragstellers an einem Verbleib im Bundesgebiet für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ausweisung in jedem Falle eine schwerwiegende Maßnahme ist, die nicht selten tief in das Schicksal des Ausländers und seiner Angehörigen eingreift. Das Gewicht der Ausweisung wird durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung erheblich verschärft. Für die Verbindung der Ausweisung mit der Anordnung des Sofortvollzuges muss daher nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12. September 1995 - 2 BVR 1179/95

-, InfAuslR 1995 S. 397, stets ein besonderes, über die Voraussetzungen für die Ausweisung selbst hinausgehendes Erfordernis vorliegen. Es muss die begründete Besorgnis bestehen, die von dem Ausländer ausgehende, mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren; der allgemeine Verdacht einer Beeinträchtigung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland genügt nicht.

Die Kammer teilt insoweit nicht die von dem Antragsgegner getroffene Einschätzung. Zwar spricht zunächst grundsätzlich die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung angesichts der Hochrangigkeit des geschützten Rechtsgutes der Völkerverständigung auch für ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung. Demgegenüber ist aber zu beachten, dass hinsichtlich der Person des betroffenen Antragstellers derzeit keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass er sich im Sinne des verbotenen Vereins und seiner früher ausgeübten Funktion als Vorsitzender weiter an zentraler Stelle betätigt bzw. während des Laufs des von ihm betriebenen Verfahrens betätigen wird. Die bloße abstrakte Möglichkeit oder Vermutung, dass der Antragsteller wegen seiner ideologischen Verbundenheit zu HAMAS und seiner langjährigen Tätigkeit im Verein erneut versuchen werde, HAMAS von Deutschland aus zu unterstützen, reicht nicht aus. Vielmehr ist insoweit eine auf Tatsachen, die sich etwa aus dem Verhalten oder der Tätigkeit des Antragstellers nach der Verbotsverfügung bzw. nach Ergehen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes im Dezember 2004 ergeben, gestützte Prognose erforderlich. Derartige Tatsachen sind weder dem Verwaltungsvorgang noch der Ausweisungsverfügung zu entnehmen. Zu berücksichtigen ist ferner auch, dass der Verein AL-AQSA e.V. seine Tätigkeit auch nach Erlass der Verbotsverfügung vom 31. Juli 2002 wieder eingeschränkt aufnehmen durfte, weil das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Juli 2003 ( - 6 VR 10/02 -, juris) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verbotsverfügung wiederhergestellt hatte. In seinem Beschluss führte das Gericht aus, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Aktivitäten des Vereins negative Auswirkungen auf die Sicherheitslage in der Bundesrepublik haben könnten. Die Widerspruchsbehörde hat im Rahmen ihrer Entscheidung über den Widerspruch die Möglichkeit, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründenden Umstände zu ergänzen.