VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 22.06.2005 - 9 K 511/02.A - asyl.net: M7098
https://www.asyl.net/rsdb/M7098
Leitsatz:

Keine staatliche oder nichtstaatliche Verfolgung von Roma in Serbien und Montenegro.

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Roma, Gruppenverfolgung, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft, Krankheit, Abschiebungshindernis, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Keine staatliche oder nichtstaatliche Verfolgung von Roma in Serbien und Montenegro.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Kläger können weder ihre Anerkennung als Asylberechtigte - dies allein schon wegen ihrer Einreise auf dem Landweg (vgl. Art. 16 a Abs. 2 des Grundgesetzes - GG - i. V. m. § 26 a Abs. 1 und 2 AsylVfG) - noch die Feststellung beanspruchen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind.

Eine politische Verfolgung der Kläger, die ihren Angaben nach dem Volk der Roma angehören, in Serbien und Montenegro ist nicht feststellbar. Nach der aktuellen, zur Bundesrepublik Jugoslawien ergangenen Rechtsprechung der Kammer (vgl. z. B. die Urteile vom 15. November 2002 - 9 K 246/02.A u. a. - sowie vom 2. September 2002 - 9 K 648/02.A) fand dort vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnislage (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) vom 24. Oktober 2002; sowie Auskünfte vom 22. Januar 2002 an das Verwaltungsgericht (VG) Freiburg und vom 13. November 2001 an das VG Frankfurt am Main) eine (wie auch immer geartete) politische Verfolgung von Volkszugehörigen der Roma nicht statt. Dies galt auch nach Ende des so genannten Kosovo-Krieges. Es ist nichts dafür erkennbar, dass für Serbien und Montenegro Abweichendes zu gelten haben könnte (gl. AA, Lagebericht, a.a.O.; Urteil der Kammer vom 26. Mai 2003 - 9 K 462/02.A -).

Zwar stehen Roma beispielsweise wegen ihrer unzureichenden Schulbildung noch immer am Rand des gesellschaftlichen und politischen Lebens. Indessen gibt es nach wie vor keine Schlechterstellung dieser Volkszugehörigen durch das Gesetz, wenngleich gewisse Benachteiligungen durch die Behörden - parallel zu den in der Gesellschaft bestehenden Vorurteilen - noch zu verzeichnen sind (vgl. AA, Lagebericht, a.a.O.; amnesty international (ai), Länderkurzbericht - Serbien und Montenegro inkl. Kosovo/Kosova - , Oktober 2003, S. 2 f.; ai, Auskunft vom 24. September 1999 an das VG Magdeburg).

Darüber hinaus haben die Kläger bei einer Rückkehr nach Serbien oder Montenegro Übergriffe durch die serbische Bevölkerungsmehrheit nicht zu befürchten. Soweit in der jüngeren Vergangenheit vereinzelt Tätlichkeiten von Skinheads gegenüber Roma bekannt geworden sind, hat es sich hierbei um (nicht hinnehmbare) Einzelfälle gehandelt. In jüngster Zeit hat sich Derartiges nicht fortgesetzt. Vielmehr zeichnen sich nach dem demokratischen Wandel verschiedene Änderungen zu Gunsten eines Minderheitenschutzes ab. Beispielsweise gehört der Bundes- bzw. Unionsregierung Serbiens und Montenegros ein Bosniake als Minister für Menschenrechte und nationale Minderheiten an und wurde ein ethnischer Ungar stellvertretender Premierminister der letzten serbischen Regierung (vgl. AA, Lagebericht, a.a.O.).

Im Übrigen dürften sich die Bemühungen der serbisch und montenegrinischen Bundesregierung, die Lage der Roma durch eine aktive Minderheitenpolitik zu verbessern (vgl. dazu AA, Lagebericht, a.a.O.; AA, Auskunft vom 22. Januar 2002 an das VG Freiburg), nach weiterhin aufrecht zu haltender Einschätzung als erfolgreich erweisen. So hat das jugoslawische Parlament Ende Februar 2002 ein Gesetz zum Schutz der nationalen Minderheiten verabschiedet. Danach sind erstmals auch die Roma als eigenständige Volksgruppe anerkannt. Auf Bundesebene sollen ein Rat der nationalen Minderheiten sowie eine Minderheitenstiftung für ethnische Gruppen gebildet werden. Ziel des neuen Gesetzes ist es nach Angaben der Ministers für Minderheiten, Rasim Ljajic, durch Integration aller Minderheiten zu stabilen zwischenethnischen, zwischenreligiösen und politischen Verhältnissen zu gelangen. Demgemäß sollen den Minderheiten ihre besonderen Rechte auf Sprachgebrauch, Bildung, Religion, Kultur und Information gewährleistet werden (vgl. NZZ vom 28. Februar 2002, "Gesetz über die Minderheiten in Jugoslawien verabschiedet").

Seit dem politischen Wechsel vom 5. Oktober 2000 sind Roma auch wirksamer geschützt: Die Justizbehörden greifen nunmehr Klagen von Roma auf. So wurde im Frühjahr 2001 ein Skinhead wegen eines Überfalls auf einen Roma-Jungen von einem serbischen Gericht verurteilt, nachdem bereits 1998 die Täter, die einen Roma-Jungen getötet hatten, in erster Instanz zu Freiheitsstrafen von zehn bzw. zwölf Jahren verurteilt worden waren (vgl. hierzu: Gesellschaft für bedrohte Völker, Auskunft vom 10. Juli 1998 an das VG Berlin; AA, Auskunft vom 13. November 2001 an das VG Frankfurt am Main).

Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen ist ergänzend auf die gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung zu verweisen. Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Dezember 2002 - 5 A 4364/02.A - und vom 16. Februar 2001 - 5 A 5040/00.A - sowie Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2000 - A 14 S 2559/98 -.

Eine abweichende Beurteilung ist hinsichtlich der bereits mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 25. September 2001 in das Verfahren eingeführten (psychischen) Erkrankung des Klägers geboten. Dieses Vorbringen genügt namentlich den mit Blick auf § 51 VwVfG an Wiederaufgreifensanträge zu stellenden Anforderungen. Allerdings liegt in der Sache kein zielstaatsbezogenes krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.

Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat in seinem Beschluss vom 17. März 2005 - 13 A 2909/04.A - in diesem Zusammenhang, bezogen auf den Kosovo, unter anderem Folgendes ausgeführt: ...