VG Osnabrück

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Zitieren als:
VG Osnabrück, Urteil vom 19.09.2005 - 5 A 736/04 - asyl.net: M7126
https://www.asyl.net/rsdb/M7126
Leitsatz:

§ 25 Abs. 5 AufenthG für staatenlosen Kurden aus Syrien; nach Vorlage einer Bescheinigung aus syrischem Ausländerregister keine Vorlage von "Negativbescheinigungen" der irakischen oder türkischen Botschaft erforderlich.

 

Schlagwörter: Syrien, Irak, Türkei, Kurden, Staatsangehörigkeit, Staatenlose, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Ausreisehindernis, tatsächliche Unmöglichkeit, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Lebensunterhalt, Ausnahmefall, Abschiebungshindernis, Passlosigkeit, Duldung, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Identitätszweifel
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; StlÜbk Art. 17
Auszüge:

§ 25 Abs. 5 AufenthG für staatenlosen Kurden aus Syrien; nach Vorlage einer Bescheinigung aus syrischem Ausländerregister keine Vorlage von "Negativbescheinigungen" der irakischen oder türkischen Botschaft erforderlich.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist - da es sich um einen Verpflichtungsantrag handelt, für den das im gerichtlichen Entscheidungszeitpunkt maßgebliche Recht anzuwenden ist - § 25 Abs. 5 AufenthG.

Der Kläger ist als abgelehnter Asylbewerber vollziehbar ausreisepflichtig.

Seine Ausreise ist auch aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich, ohne dass mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit zurechnen ist. Dies folgt daraus, dass der Kläger staatenlos ist. Im vom Gericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. Uwe Brocks vom Deutschen Orient Institut Hamburg ist ausgeführt, dass die vom Kläger eingereichte Bescheinigung über die Eintragung in das Ausländerregister der Provinz Al-Hassakeh echt ist.

Mit den erbrachten, wenn auch im Rahmen der Beweiserhebung nicht geforderten rechtlichen Schlussfolgerungen des Gutachtens geht die Kammer davon aus, dass für eine türkische oder irakische Staatsangehörigkeit keinerlei Anhaltspunkte bestehen. Hierfür ist nichts erkennbar; die Kammer hat auch angesichts der aufgrund der feststehenden Staatenlosigkeit, die durch die eingereichten Bescheinigungen belegt ist, keinen Anhaltspunkt dafür, die es gebieten könnten, dem Kläger das Beibringen von Negativerklärungen der irakischen oder der türkischen Botschaft aufzugeben.

Steht damit fest, dass der Kläger staatenlos ist, so stehen seiner Ausreise mangels eines aufnahmebereiten Staates und mangels der Ausstellbarkeit von Heimreisepapieren rechtliche und tatsächliche Gründe im Sinne einer Unmöglichkeit entgegen, mit deren Wegfall nicht zu rechnen ist und die nicht in seiner Sphäre liegen und damit seinem Verschulden nicht unterfallen können.

Die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis ist auch nicht wegen eines Regelversagungsgrundes (§ 5 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG) ausgeschlossen. Zwar ist dieser Regelversagungsgrund auch im Anwendungsbereich des § 25 Abs. 5 AufenthG zu beachten (vgl. zur Vorgängerregelung des § 7 Abs. 2 AuslG BVerwG, Beschluss vom 26. März 1999, InfAuslR 1999, 332). Der Kläger kann sich aber, was der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, auf einen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichneten Ausnahmefall berufen, der das sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes beseitigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1993, BVerwGE, 94, 35).

Die Annahme eines Ausnahmefalles ist gerechtfertigt, weil sich nichts dafür abzeichnet, dass das gegenüber dem Kläger bestehende Abschiebungshindernis - dessen Staatenlosigkeit und damit denklogisch zwingend verbunden dessen Passlosigkeit - in absehbarer Zeit entfällt (VGH Mannheim, Urteil vom 17. Dezember 1998, VBlBB 199, 150).

Ist der Kläger wie ausgeführt staatenlos, so besteht eben keine Abschiebemöglichkeit. Weil ebenso wenig abzusehen ist, wann der Lebensunterhalt des Klägers im Sinne von § 5 Abs. 1 Ziffer 1 AufenthG vollständig gesichert sein wird, hätte das Eingreifen des Regelversagungsgrundes zur Folge, dass dem vorliegenden Abschiebungshindernis auch weiterhin nur durch Erteilung einer Duldung Rechnung getragen werden könnte. Dies wiederum widerspricht der Funktion der Duldung, die kein vorbereitendes oder ersatzweises Aufenthaltsrecht gewähren soll (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997, BVerwGE 105, 35, 43). Der dauerhafte Fortbestand des Abschiebungshindernisses beseitigt damit das Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes.

Liegen damit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 vor und ist ein Regelversagungsgrund wie ausgeführt nicht anzunehmen, hatte der Beklagte gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 eine Ermessensentscheidung zu treffen. Diese ist gerichtlich im Rahmen des § 114 VwGO überprüfbar. Bei der gebotenen Ermessensausübung sind sämtliche einschlägigen öffentlichen und privaten Belange gegeneinander abzuwägen, wobei auch die vorliegenden Regelversagungsgründe mit dem ihnen nach der Entscheidung des Gesetzgebers zukommenden Gewicht einbezogen werden dürfen. Sie haben nicht allein deshalb, weil ein von der Regel abweichender Fall vorliegt, zurückzutreten; es kommt ihnen allerdings nicht - wie im Regelfall - von vornherein ein ausschlaggebendes Gewicht zu (BVerwG Urteil vom 29. Juni 1993 BVerwGE 94, 35, 43 zur Bedeutung des Sozialhilfebezuges wie ausländerrechtliche Ermessenentscheidungen).

Diese Ermessenerwägungen halten einer gerichtlichen Nachprüfung nicht stand; es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Kläger einen ermessensreduzierten Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG hat. Soweit dem Kläger in den angestellten Ermessenerwägungen entgegenhalten wird, dass er es unterlassen habe, unabhängig von Mitteln der Sozialhilfe zu leben, kommt dieser Erwägung angesichts des Umstandes, dass der Kläger ohne einen bestimmten Aufenthaltsstatus gar nicht die Möglichkeit hatte, frei von Sozialhilfe zu leben, kein ausschlaggebendes Gewicht bei. Erst die längerfristige Aufenthaltsperspektive wird es dem Kläger ermöglichen, einen dauerhaften Arbeitsvertrag auch auf dem angespannten deutschen Arbeitsmarkt zu erhalten. Sonstige in eine Ermessensentscheidung einzustellende Kriterien zu Lasten des Klägers sind nicht ersichtlich. Zugunsten des Klägers ist vielmehr davon auszugehen, dass aufgrund der nunmehr feststehenden Staatenlosigkeit eine Aufenthaltsbeendigung nicht erfolgen kann und wird und damit das private Interesse des Klägers an einer Aufenthaltsverfestigung das öffentliche Interesse überwiegt. Berücksichtigt man ferner, dass der Kläger aufgrund der nunmehr feststehenden Staatenlosigkeit durch Art. 17 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen (vom 28. September 1954, BGBl. 1976 II S. 474) begünstigt ist und dass weitere in eine Ermessensentscheidung zu Lasten des Klägers einzustellende Gesichtspunkte weder im hier maßgeblichen Widerspruchsbescheid enthalten sind noch in der mündlichen Verhandlung dargetan wurden, so geht die Kammer bei dieser Sachlage davon aus, dass die Ermessensentscheidung des Beklagten sich auf die einzig mögliche Entscheidung der Erteilung des Aufenthaltstitels verdichtet hat.