VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 20.04.2005 - unbekannt - asyl.net: M7129
https://www.asyl.net/rsdb/M7129
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Bundesbeauftragter, Zwangsheirat, geschlechtsspezifische Verfolgung, nichtstaatliche Verfolgung, soziale Gruppe, Schutzbereitschaft
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässige Klage des Bundesbeauftragten ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig. Zu Recht hat das Bundesamt bezüglich der Beigeladenen festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs.1 AuslG - jetzt § 60 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Iran vorliegen.

Das Gericht hält das Vorbringen der Beigeladenen bezüglich der "Zwangsverlobung" mit einem hochrangigen, sehr viel älteren Mann der Ordnungskräfte vor einem politischen Rehabilitationsinteresse des Vaters der Klägerin sowie ihre entgegen dem Willen des Vaters eingegangene Beziehung zu einem anderen Mann für glaubhaft. Gleiches gilt hinsichtlich der Misshandlungen durch den Vater und den Verlobten.

Die Bedenken des Klägers gegen die Glaubwürdigkeit greifen vor diesem Hintergrund nicht durch. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Vortrags der Klägerin, ihr Verlobter, ca. 32 Jahre alt, sei Oberst gewesen. Abgesehen davon, dass die Klägerin in ihrem damaligen jugendlichen Alter noch nicht ohne Weiteres den zutreffenden Rang ihres Verlobten erkennen konnte, erscheint es der Kammer in einem Land wie dem Iran nicht ausgeschlossen, dass eine Person mit besonderen Verdiensten z.B. im Hinblick auf ein Kriegsgeschehen, in relativ jungen Jahren schon den Rang eines Obersts erhält. Dass es der Beigeladenen und ihrer Mutter angesichts der beschriebenen Situation aussichtslos erscheinen musste, sich schutzsuchend an die iranischen Stellen zu wenden, liegt auf der Hand. Dies würde im Falle einer Rückkehr der Beigeladenen in den Iran auch landesweit gelten, zumal ihr Verlobter aufgrund seiner Stellung einen besonderen Einfluss und besondere Möglichkeiten hat, die Beigeladene, die sich in der iranischen Gesellschaft kaum alleine behaupten könnte, ausfindig zu machen (vgl. dazu auch VG Freiburg, Urt. v. 26.01.2005 - A 1 K 110 12/03 -).

Die wie im Falle der Klägerin durch die Tradition und die gesellschaftlichen Verhältnisse gebilligte und vom Staat tolerierte dauerhafte Diskriminierung und Entrechtung von Frauen in Fällen der vorliegenden Art durch Zwangsverlobung mit geplanter Zwangsverheiratung auf Lebenszeit mit einem sie misshandelnden Mann vor dem Hintergrund von Misshandlungen durch den eigenen Vater, dem es um seine politische Rehabilitierung geht, stellt im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 c AufenthG eine nicht staatliche Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe dar, nämlich eine allein an das Geschlecht anknüpfende Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit und Freiheit. Diese im Einzelfall auch im Iran noch vorkommende ausgrenzende, weil allein Frauen wegen ihrer vermeintlichen Minderwertigkeit und Rechtlosigkeit betreffende Maßnahme hat öffentlichen Charakter, umfasst das Element einer dauerhaft ausweglosen Lage und ist auf das unverfügbare und unverzichtbare Merkmal der (sexuellen und körperlichen) Selbstbestimmung gerichtet und kann wegen der Schwere der damit verbundenen Menschenrechtsverletzung der Betroffenen nicht mehr als noch hinnehmbar zugemutet werden.