VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 07.06.2005 - A 11 K 10380/05 - asyl.net: M7133
https://www.asyl.net/rsdb/M7133
Leitsatz:

§ 14 a Abs. 2 AsylVfG ist nicht auf Kinder anwendbar, die vor dem 1.1.2005 in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren worden sind.

 

Schlagwörter: Antragsfiktion, Asylantrag, Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Zuwanderungsgesetz, Rückwirkung, Anzeigepflicht, Übergangsregelung, Altfälle
Normen: AsylVfG § 14a Abs. 2
Auszüge:

§ 14 a Abs. 2 AsylVfG ist nicht auf Kinder anwendbar, die vor dem 1.1.2005 in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren worden sind.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der angefochtene Bescheid kann nach Auffassung des Gerichts allein deshalb keinen Bestand haben, weil die Vorschrift des § 14a AsylVfG auf den Kläger nicht anzuwenden ist.

Doch auch § 14a Abs. 2 AsylVfG dürfte entgegen der Annahme des Bundesamtes nicht eingreifen.

Schon der Wortlaut der vorgenannten Norm dürfte eine Anwendung auf den Kläger nicht zulassen, da dieser weder am 01.01.2005 oder danach in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren worden ist. Hätte der Bundesgesetzgeber gewollt, dass von dem ab 01.01.2005 geltenden § 14a Abs. 2 AsylVfG auch Kinder erfasst werden, die vor dem 01.01.2005 in das Bundesgebiet eingereist sind oder hier geboren worden sind, hätte er nach dem Sprachgebrauch des Zuwanderungsgesetzes bzw. des AsylVfG a.F. eine andere Formulierung gewählt, indem er den ersten Halbsatz des § 14a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG sinngemäß etwa wie folgt gefasst hätte: "Ist ein lediges, unter 16 Jahre altes Kind des Ausländers nach dessen Asylantragstellung ins Bundesgebiet eingereist" (vgl. insoweit § 15a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 AufenthG sowie § 87a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) "oder ist es hier geboren worden" (vgl. insoweit § 104 Abs. 3 AufenthG). Selbst wenn man den Wortlaut des § 14a Abs. 2 AsylVfG nicht für "eindeutig" halten wollte, deutet er jedenfalls nicht darauf hin, dass die Neuregelung auch alle bei ihrem Inkrafttreten am 01.01.2005 vorhandenen "Altfälle" hat erfassen wollen.

Auch die in § 14 a Abs. 2 AsylVfG in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung des Zuwanderungsgesetzes vorgesehene Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Geburt eines Kindes im Bundesgebiet spricht dafür, dass die Norm nur für nach dem Inkrafttreten der neuen Regelung geborene Kinder anzuwenden ist, denn bei Kindern, die - wie der Kläger - schon Jahre zuvor geboren worden sind, ist eine unverzüglich nach der Geburt erfolgende Anzeige gar nicht mehr möglich.

Dem Gesetzgeber des Zuwanderungsgesetzes muss wohl auch bekannt gewesen sein, dass die Anwendung des neuen § 14a AsylVfG auf "Altfälle" wie den des Klägers einer ausdrücklichen Übergangsregelung bedurft hätte (vgl. VG Göttingen, Beschl. v. 17.03.2005 - 3 B 272/05 -, AuAS 2005, 117 ff.). Die Norm mit ihrer Fiktion der Asylantragstellung für ledige Kinder bis zum vollendeten 16. Lebensjahr, durch die verhindert werden soll, dass durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten in Deutschland ohne aufenthaltsrechtliche Perspektive für die Betroffenen entstehen (vgl. BT-Drucks. 15/420; S. 108), geht maßgeblich auf einen Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen ("Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes") zurück. Vor Einbringung des Gesetzesantrages im Bundesrat hat das Nds. Justizministerium u.a. die Präsidenten aller niedersächsischen Verwaltungsgerichte um Stellungnahme gebeten. Der damalige Präsident des VG Göttingen hat in seinem Bericht an den Präsidenten des Nds. OVG zu diesem Gesetzesantrag vom 14.04.2000 - Geschäfts-Nr.. 373/6 - zu Artikel 3 (Inkrafttreten) ausdrücklich festgestellt, ihm erschienen "Übergangsregelungen unverzichtbar" (Bericht S. 9). Beispielsweise sei "dringend regelungsbedürftig" (Bericht, a.a.O.), ob etwa die formellen Vorschriften dieses Gesetzes "ausnahmsweise, nur teilweise oder überhaupt nicht auch für Ausländer gelten sollen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingereist bzw. im Bundesgebiet geboren worden sind, für die aber bisher kein eigener Asylantrags gestellt worden ist (vgl. § 14a E-AsylVfG)". Wenn der Bundesgesetzgeber trotz solcher Hinweise Übergangsvorschriften zu § 14a AsylVfG nicht getroffen hat, spricht dies dafür, dass er sie nicht etwa "vergessen" hat, sondern dass er sie bewusst nicht hat treffen wollen.

Mangels einer im AsylVfG enthaltenen oder einer anderweitig im Zuwanderungsgesetz bestimmten und hier anwendbaren Übergangsvorschrift ist davon auszugehen, dass § 14a Abs. 2 AsylVfG nur Sachverhalte erfassen soll, bei denen minderjährige ledige Kinder von Asylbewerbern oder ehemaligen Asylbewerbern ab 01.01.2005 ins Bundesgebiet einreisen oder ab 01.01.2005 hier geboren werden. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger aber zweifelsfrei nicht.

Ist hiernach § 14a Abs. 2 AsylVfG unanwendbar, ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 14.03.2005, der trotz Fehlens eines rechtswirksam gestellten oder als gestellt geltenden Asylantrages (vgl. § 13 AsylVfG) erlassen worden ist, rechtswidrig (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 27.2.1985 - 1 OE 50/81 -, NVwZ 1985, 498). Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Eltern des Klägers mit Schreiben vom 09.02.2005 (zugestellt am 10.02.2005) auf ihr Widerspruchsrecht (vgl. § 14a Abs. 3 AsylVfG) hingewiesen wurden, und ungeachtet der Tatsache, dass der Kläger mit der vorliegenden Klage über die Aufhebung des Bescheides vom 14.03.2005 hinaus zunächst auch die Anerkennung als Asylberechtigter sowie Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 und Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG begehrt hat. Der Bevollmächtigte des Klägers hat das Asylverfahren nicht in irgendeiner Weise wirksam "genehmigt", sondern in seinem Schreiben vom 09.03.2005 vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er § 14a Abs. 2 AsylVfG nicht für anwendbar und das Verfahren für rechtswidrig halte.