VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 18.05.2005 - 10 K 287/03.A - asyl.net: M7138
https://www.asyl.net/rsdb/M7138
Leitsatz:

Keine Verfolgungsgefahr für Albaner oder Roma im Kosovo; kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG wegen allgemeiner Gefahren, da gleichwertiger Abschiebungsschutz durch Erlasslage besteht und keine extreme Gefahrenlage vorliegt.

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Roma, Albaner, Kosovo, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, nichtstaatliche Verfolgung, Flüchtlingsbegriff, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, KFOR, UNMIK, Märzunruhen, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Erlasslage, Abschiebungsstopp, Diskriminierung, Versorgungslage, Sicherheitslage, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 73 Abs. 1
Auszüge:

Keine Verfolgungsgefahr für Albaner oder Roma im Kosovo; kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG wegen allgemeiner Gefahren, da gleichwertiger Abschiebungsschutz durch Erlasslage besteht und keine extreme Gefahrenlage vorliegt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Beklagte hat die in dem Bescheid vom 08.10.1993 zugunsten des Klägers getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1, 53 Abs. 6 AuslG vorliegen, zu Recht widerrufen. Der angefochtene Widerrufsbescheid vom 16.06.2003 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung des Klägers ist § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, in dessen neuer Fassung lediglich die Nennung des § 51 Abs. 1 AuslG durch die Bezeichnung des § 60 Abs. 1 AufenthG ersetzt worden ist. Danach ist die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen,

Das ist hier der Fall, wobei offen bleiben kann, ob der Kläger ethnischer Kosovo-Albaner oder Angehöriger der Volksgruppe der Roma ist, denn die maßgeblichen Verhältnisse in seinem Heimatland haben sich für alle ethnischen Gruppierungen nachträglich geändert. Nach Ergehen des Anerkennungsbescheides des Bundesamtes vom 08.10.1993 ist es im Kosovo im Juni 1999, wie der angefochtene Bescheid der Beklagten zutreffend ausführt, durch den Einmarsch der KFOR-Truppen, den Abzug der serbischen Sicherheitskräfte, den Abschluss eines Militärabkommens zwischen der (damaligen) Bundesrepublik Jugoslawien und der NATO sowie die Resolution des UN-Sicherheitsrates über eine Friedenslösung im Kosovo zu einer erheblichen Änderung der für die Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse gekommen. Nach der ständigen und obergerichtlich bestätigten Rechtsprechung der Kammer kann von einer aktuellen Gefahr politischer Verfolgung für ethnische Albaner und Angehörige ethnischer Minderheiten im Kosovo im Verständnis des § 51 Abs. 1 AuslG (nunmehr § 60 Abs. 1 AufenthG) ungeachtet der künftigen völkerrechtlichen Situation des Kosovo nicht mehr ausgegangen werden (vgl. bspw. Urteil der Kammer vom 07.05.2003, 10 K 462/03.A, m.w.N. z. Rspr.; des Weiteren OVG des Saarlandes, Urteil vom 20.09.1999, 3 R 29/99, und Beschluss vom 30.03.2005, 1 Q 11/05).

Deswegen hätte der Kläger bei einer Entscheidung im heutigen Zeitpunkt keinen Ansutspruch mehr auf die Feststellung seiner Eigenschaft als politischer Flüchtling.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ergibt sich mit Blick auf die durch die Einfügung des § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG veränderte Rechtslage nichts anderes. Bezogen auf die Gruppe der ethnischen Minderheiten ins Kosovo sind die Voraussetzungen der genannten Vorschrift bei Zugrundelegung der aktuellen Verhältnisse im Kosovo jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil die die staatliche Gewalt ausübenden UN-Kräfte (UNMIK und KFOR) sowohl willens als auch hinreichend in der Lage sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten.

Auch mit Blick auf die ethnisch motivierten Auseinandersetzungen im März 2004 im Kosovo ergibt sich keine andere Beurteilung. Es ist nicht gerechtfertigt, deswegen anzunehmen, UNMIK und KFOR seien aktuell bzw. zukünftig nicht in der Lage, den betroffenen Minderheiten Schutz vor ähnlichen Übergriffen seitens nicht staatlicher Akteure zu bieten (so aber VG Stuttgart, Beschluss vom 31.01 2005, A 10 K 123481/04).

Auch der Widerruf der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG (jetzt § 60 Abs. 7 AufenthG) ist gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG zu Recht erfolgt, da die Voraussetzungen dieses Abschiebungshindernisses nicht mehr vorliegen. Dies gilt im Ergebnis sowohl unter der Annahme, dass der Kläger albanischer Volkszugehöriger ist, als auch dann, wenn er im Kosovo als Angehöriger der Volksgruppe der Roma angesehen werden sollte.

Soweit er insoweit erstmals im vorliegenden Verfahren geltend macht, er werde wegen seines äußeren Erscheinungsbildes und seines früheren Wohnortes in seiner Heimat als Roma angesehen und sei deshalb im Falle einer Rückkehr Übergriffen ausgesetzt, macht er nicht eine ihm individuell drohende Gefährdung geltend, sondern eine solche, die zugleich der gesamten Bevölkerungsgruppe der Roma im Kosovo droht.

Eine solche Ausnahmesituation, die die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG aufheben würde, besteht für Angehörige der Volksgruppe der Roma im Kosovo derzeit offensichtlich nicht. Zwar liegt für diese Bevölkerungsgruppe zurzeit keine wirksame Anordnung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG bzw. § 54 AuslG (mehr) vor. Es liegt aber das einer Abschiebung ebenfalls rechtlich zwingend entgegenstehende gesetzliche Abschiebungshindernis einer tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung (§ 60 a Abs. 2 AufenthG; früher § 55 Abs. 2 AuslG) vor, dessen Beachtung durch die Ausländerbehörden mit einer für diese rechtlich verbindlichen generellen Erlassregelung der obersten Landesbehörde vorgegeben wird (vgl. zur Frage der Sperrwirkung bei generellen Abschiebestoppregelungen und gleichwertigem Abschiebungsschutz: BVerwG, Beschluss vorn 10.09.2002, 1 B 26/02; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.04.2001, A 14 S 1850/00, jeweils zitiert nach juris).

Aber selbst wenn man in Betracht zieht, dass der genannte Erlass des Saarländischen Innenministeriums alsbald aufgehoben wird, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Denn es besteht keine extreme Gefährdungslage in dem beschriebenen Sinne im Hinblick auf die behauptete Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Roma aus dein Kosovo, die eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen könnte.

Nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial kann trotz der nach wie vor anhaltenden rassistisch motivierten Diskriminierung der Roma durch die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo und der wegen der angespannten wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Situation verschärften Lebensverhältnisse dieser ethnischen Minderheit nicht angenommen werden, dass jeder Angehörige dieser Volksgruppe gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde. Dieser Annahme steht entgegen, dass UNMIK und KFOR nicht nur durchweg bereit, sondern im Großen und Ganzen auch in der Lage sind, den Roma im Kosovo Schutz zu gewähren. Zumindest kann mit Blick auf die jüngste Entwicklung und insbesondere die seit den ethnisch motivierten Auseinandersetzungen vom März 2004 verstärkten Aktivitäten von UNMIK und KFOR zum Schutz von ethnischen Minderheiten (vgl. bereits oben) eine landesweite extreme Gefahrenlage ausgeschlossen werden.