VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 02.06.2005 - 12 K 1791/04 - asyl.net: M7215
https://www.asyl.net/rsdb/M7215
Leitsatz:

Einem ausgewiesenen Asylberechtigten oder Konventionsflüchtling kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden; dabei ist der Ausweisungsgrund als allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu berücksichtigen; bei der Ermessensausübung kann eine der Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung entsprechende Wartefrist verlangt werden.

 

Schlagwörter: Ausweisung, Aufenthaltserlaubnis, Sperrwirkung, Asylberechtigte, Konventionsflüchtlinge, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Passpflicht, Visumspflicht, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Identitätszweifel, Mitwirkungspflichten, Ausweisungsgründe, Ermessen, Frist
Normen: AufenthG § 25 Abs. 1; AufenthG § 25 Abs. 2; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2; AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 5 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 2; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2
Auszüge:

Einem ausgewiesenen Asylberechtigten oder Konventionsflüchtling kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden; dabei ist der Ausweisungsgrund als allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu berücksichtigen; bei der Ermessensausübung kann eine der Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung entsprechende Wartefrist verlangt werden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Ansprüche auf Bescheidung seines Antrags auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis können dem Kläger weder aus § 25 Abs. 1 noch Abs. 2 AufenthG erwachsen, obgleich er nach wie vor als Asylberechtigter anerkannt ist und festgestellt ist, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (heute: § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen. Ansprüchen auf Erteilung dieser Titel steht nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG die Sperrwirkung der Ausweisung vom 14.06.1999 entgegen (so auch VG Sigmaringen, Urt. v. 22.02.2005 - 4 K 16/05 - [Vensa]). Auch die Absätze 3 und 4 des § 25 AufenthG können dem Kläger erkennbar keinen Anspruch vermitteln. Daher stützt er sein Begehren inzwischen zutreffend auf § 25 Abs. 5 AufenthG.

Weiter erforderlich sind die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG. Wie ein Vergleich zwischen den beiden Halbsätzen des § 5 Abs. 3 AufenthG belegt, sind sie im Falle des Klägers nicht von vornherein unbeachtlich. Vom Vorliegen der Erfordernisse der Absätze 1 und 2 des § 5 AufenthG kann nach § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG nur nach Ermessen abgesehen werden.

1. Damit bedürfte es zunächst regelmäßig der Erfüllung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 a. A. AufenthG). Wenn nicht schon ein Ausnahmefall nach § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegt, welcher ausnahmsweise ein Absehen von der Erfüllung der Passpflicht zulässt, so ist hier nach Ermessen von der Erfüllung dieses Erfordernisses abzusehen. Das ergibt sich aus der Ausstrahlungswirkung des Asylgrundrechts (Art. 16a Abs. 1 GG). Aufgrund seiner Asylanerkennung ist es dem Kläger nicht zuzumuten, sich in den Einflussbereich seines Verfolgerstaates zu begeben und sich einen Pass ausstellen zu lassen (vgl. auch VG Sigmaringen, a.a.O.).

2. Auch bezüglich des Erfordernisses der Erfüllung der Visumpflicht (§ 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) kann offen bleiben, ob bereits eine grundsätzliche Unzumutbarkeit der Nachholung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Variante AufenthG anzunehmen ist, oder ob von diesem Erfordernis nach § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG nach Ermessen abgesehen werden kann. Denn auch hier gilt die Ausstrahlungswirkung des Asylgrundrechts, welches eine Nachholung des Visumverfahrens verbietet (so auch VG Sigmaringen, a.a.O.).

4. Weiter zu beachten ist der Regelversagungsgrund der fehlenden Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit des Klägers (§ 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG). Von ungeklärter Identität kann zwar nur dann ausgegangen werden, wenn ernstliche Zweifel daran bestehen, dass ein Ausländer tatsächlich die Person ist, die er zu sein behauptet (so Jakober, AktAR, § 8 AuslG Rdnr. 61).

Und da die fehlende Klärung der Identität nicht mehr wie noch im AuslG (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 AuslG) als Versagungsgrund, sondern als Regelerteilungsvoraussetzung ausgestaltet ist, kann sich die Beklagte nicht erst auf das Fehlen dieses Erfordernisses berufen, nachdem sie erfolglos identätsfeststellende Maßnahmen (§ 49 AufenthG) durchgeführt hat (so Storr/Wenger, Komm. z. ZuwG, § 5 Rdnr. 8; a.A. Hailbronner, AuslR, § 5 Rdnr. 19).

Sie hat aber vor einer Berufung auf diese Regelerteilungsvoraussetzung den Kläger zumindest zur Mitwirkung aufzufordern, was bisher unterblieben ist. Zwar kann ihm, wie oben dargelegt, aufgrund seiner Asylberechtigung nicht angesonnen werden, sich um einen Pass bei der Botschaft seines Herkunftsstaates zu bemühen. Es dürfte aber zu fordern sein, dass er sich über Familienangehörige oder Freunde im behaupteten Herkunftsstaat bemüht, sonstige Dokumente, die zumindest ein Indiz für seine Staatsangehörigkeit und Identität bilden könnten, wie etwa ein Führerschein, eine Geburtsurkunde oder einen abgelaufenen Pass, bemüht.

5. Problematisch ist das Regelerfordernis des Fehlens von Ausweisungsgründen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Denn der Kläger hat eine nicht unerhebliche Straftat begangen, welche einen Ausweisungsgrund (§ 53 Abs. Nr. 2 AufenthG) darstellt und zugleich zu seiner Ausweisung geführt hat.

a) Es wird allerdings vertreten, die Straftat, welche zum Erlass der vorangegangenen Ausweisungsverfügung geführt habe, müsse bei der Prüfung von Ausweisungsgründen im Rahmen von §§ 25 Abs. 5 i.V.m. 5 Abs. 1 AufenthG außer Betracht bleiben (so VG Sigmaringen, a.a.O.). Diese Straftat sei durch die ergangene Verfügung verbraucht; ihre erneute Berücksichtigung sei "systemwidrig".

Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Sie kann sich zwar auf Rechtsprechung zum vormals geltenden § 30 Abs. 4 AuslG stützen, nach welcher die zur Ausweisungsverfügung führende Straftat bei der nachfolgende Prüfung der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nur noch im Erteilungsermessen zu berücksichtigen sei (so insbesondere VGH Bad.-Württ., Urt. v. 05.07.2000, InfAuslR 2000, 491; VG Stuttgart, Urt. v. 16.01.2002 - 19 K 3223/01 - [Vensa]; so wohl auch Ziff. 30.4.3 der AVWV zum Ausländergesetz vom 28.06.2000, GMBl. 2000, 618, 690). Diese Ansicht war jedoch schon unter Geltung des AuslG umstritten (vgl. insbesondere die erwägenswerte Kritik von Dienelt in: GK-AuslR, § 30 Rdnr. 136). Und unter Geltung des Aufenthaltsgesetzes sprechen bereits Wortlaut und Systematik der §§ 25 Abs. 5 Satz 1 und 5 Abs. 3 AufenthG gegen sie. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG lässt nach seinem Wortlaut nur ein Absehen von der Sperrwirkung einer Ausweisung, nicht von der Regelerteilungsvoraussetzung des Fehlens eines Ausweisungsgrundes zu. Nach der nun geltenden Systematik ist vielmehr § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG - eine Vorschrift, welche das AuslG so nicht kannte - der normative Ort, an welchem die Ermessenserwägung stattzufinden hat, ob dieser Ausweisungsgrund der Erteilung der humanitären Aufenthaltserlaubnis (noch) entgegensteht. Die Gewichtung der Straftat, welche zum Erlass der Ausweisungsverfügung geführt hat, kann deswegen nicht lediglich in die Abwägung im Rahmen des Erteilungsermessens nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG "verschoben" werden.

b) Die Beklagte hat noch unter Geltung alten Rechts Ermessen ausgeübt und nach Aufforderung des Gerichts vom Januar 2005 diese Ermessenserwägungen mit Schriftsatz vom 28.02.2005 im Hinblick auf die Geltung des AufenthG ergänzt. Dabei hat sie allerdings wiederum die Straftat des Klägers nur im Erteilungsermessen berücksichtigt, nicht im Rahmen der Abwägung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz AufenthG. Da die anzuwendenden Abwägungsmaßstäbe aber identisch sind, kann der Kläger nicht schon aus diesem Grund eine Neubescheidung verlangen.

Einen Anspruch auf Neubescheidung besitzt er aber durch Verstoß der Ermessenserwägungen in Bescheid und Widerspruchsbescheid gegen eine Verwaltungsvorschrift. Kern der vorzunehmenden Abwägung ist zwar die von der Beklagten zutreffend herangezogene Erwägung, dass der Wegfall der Sperrwirkung einer Ausweisung regelmäßig die vorherige Ausreise des Ausländers voraussetzt, selbst dann, wenn er weder freiwillig ausreisen noch abgeschoben werden kann (so unlängst VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.11.2004, InfAuslR 2005, 52 zum alten Recht; so auch § 11 Abs. 1 AufenthG). Wenn also § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis trotz noch bestehender Sperrwirkung ermöglicht, ist vor Erteilung des Titels zumindest ein Vergleich mit der Frist geboten, welche normalerweise - das heißt bei einem Ausländer, welchem eine Ausreise zumutbar wäre - für die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung herangezogen worden wäre (ähnlich wohl auch Dienelt, a.a.O., § 30 Rdnr. 135.1 zum alten Recht).