VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 06.06.2005 - 1 K 7591/03.A - asyl.net: M7224
https://www.asyl.net/rsdb/M7224
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung trotz drohender Todesstrafe wegen Blasphemie, da die Bestrafung wegen Blasphemie alle Iraner gleichermaßen bedroht.

 

Schlagwörter: Iran, Blasphemie, religiös motivierte Verfolgung, Folter, Todesstrafe, menschenrechtswidrige Behandlung, Video, Bahai, Alkoholverbot, Politmalus
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; iran. StGB Art. 514; iran. StGB Art. 513; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Keine Flüchtlingsanerkennung trotz drohender Todesstrafe wegen Blasphemie, da die Bestrafung wegen Blasphemie alle Iraner gleichermaßen bedroht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zu. Dem Kläger droht wegen des von ihm vorliegenden Spott-Videos keine politische Verfolgung i.S.d. Vorschrift. Einschlägig sind insoweit Art. 513 des Iranischen Strafgesetzbuches vom 09.07.1996 (Schmähung der Heiligtümer des Islam, der Propheten und Imame) sowie Art. 514 (Beleidigung des Begründers und Führers der Islamischen Republik Imam Khomeini). Art. 513 sieht eine Haftstrafe von einem bis zu fünf Jahren vor. Sollte der Richter zusätzlich den Straftatbestand der Blasphemie bejahen, wäre sogar die Verhängung der Todesstrafe möglich. Art. 514 sieht Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zwei Jahren vor (vgl. dazu die Auskunft des AA an das VG Mainz vom 01.04.2005 - 508-516.80/43482 - und Stellungnahme des Kompetenzzentrums Orient-Okzident in Mainz vom 15.04.2005 für das VG Mainz (Bearbeiter: Dr. Jörn Thielmann; Geschäfts.-Nr.: 7 K 774/04.MZ).

Diese Vorschriften stellen jedoch keine politische Verfolgung dar, weil sie dem Ziel dienen, den Islam und seine Repräsentanten zu schützen, und alle Iraner gleichermaßen treffen. In politische Verfolgung schlagen Strafen erst um, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt werden, die dadurch gerade wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugung getroffen werden sollen. Auch die Schwere der angedrohten Strafe für sich genommen vermag deren politischen Charakter nicht zu begründen. Dies gilt selbst für die Todesstrafe. Zwar mag ein Staat, der als Sanktion für Straftaten seiner Bürger die Todesstrafe verhängt, seine Strafgewalt unter Verletzung einer nach der Wertordnung des Grundgesetzes geltenden Grenze ausüben. Art. 16 a Abs. 1 GG schützt jedoch nicht schlechthin gegen jede exzessive staatliche Machtausübung (So OVG NRW, Beschluss vom 15.02 2000 - 9 A 4615/98.A - (Amtl. Umdruck S. 12 f.).

Daher kann man von drohender politischer Verfolgung wegen des Verhaltens des Klägers nicht ausgehen.

In der Person des Klägers liegen jedoch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vor. Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu werden und zudem mit der Todesstrafe gerechnet werden muss. Von der Abschiebung soll auch abgesehen werden, wenn für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers vor. Er muss damit rechnen, dass ihm wegen des Spott-Videos der Vorwurf der Blasphemie gemacht wird. Dieser Vorwurf muss umso schwerer wiegen, weil das Video anlässlich einer privaten Veranstaltung der Bahaie gedreht worden ist, die als abtrünnige Muslime und Gottlose gelten. Als weiterer Erschwerungsgrund kommt hinzu, dass die Beteiligten alkoholisiert waren. Auf Grund dessen bringt das aufgefundene Video den Kläger in konkrete Lebensgefahr bei einer Rückkehr in den Iran.