LSG Thüringen

Merkliste
Zitieren als:
LSG Thüringen, Beschluss vom 11.07.2005 - L 8 AY 379/05 ER - asyl.net: M7245
https://www.asyl.net/rsdb/M7245
Leitsatz:

Falsche Angaben zur Identität stellen eine rechtsmissbräuchliche Verlängerung der Aufenthaltsdauer i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG dar; nach Beendigung des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens beginnt die 36-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG neu zu laufen; erst nach Fristablauf sind Leistungen nach § 2 AsylbLG möglich.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Rechtsmissbrauch, Identitätstäuschung, Kinder, Minderjährige, 36-Monats-Frist, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; AsylbLG § 2 Abs. 3
Auszüge:

Falsche Angaben zur Identität stellen eine rechtsmissbräuchliche Verlängerung der Aufenthaltsdauer i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG dar; nach Beendigung des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens beginnt die 36-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG neu zu laufen; erst nach Fristablauf sind Leistungen nach § 2 AsylbLG möglich.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG.

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Dieser Ausschlusstatbestand liegt vor, denn die Antragsteller haben die Dauer des Aufenthalts durch die falschen Identitätsangaben rechtsmissbräuchlich verlängert und damit selbst beeinflusst. Ob die rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer durch die Antragsteller zu 1 und 2 den Antragstellern zu 3 bis 5 zu zurechnen ist, bedarf keiner Erörterung.

Denn als minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern, den Antragsteller zu 1 und 2, in einer Haushaltsgemeinschaft leben, können sie nur darin Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erhalten, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft selbst entsprechende Leistungen erhält, was aber gerade nicht der Fall ist (vgl. § 2 Abs. 3 AsylbLG).

Was unter Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG zu verstehen ist, wird weder in der Vorschrift selbst noch an anderer Stelle des AsylbLG definiert. In der Gesetzesbegründung (vgl. BT Drucksache 15/420, S. 121) werden Beispiele für die rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer genannt; danach sind unter anderem die Vernichtung des Passes sowie die Angabe einer falschen Identität in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich. Die Antragsteller haben im Rahmen des Asylverfahrens Namen angegeben, unter denen sie in ihrem Heimatland nicht geführt werden, und darüber hinaus die Geburtsdaten vertauscht. Identitätspapiere wurden nicht vorgelegt. Dadurch wurde die Feststellung der Identität verhindert und eine Passersatzbeschaffung war bis Juni 2005 nicht möglich. Die abgegebene Erklärung der beantragten Namensänderung im Jahre 2005 hätte bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen können. Die Antragsteller wussten, dass sie unter den angegebenen Namen nicht zu identifizieren sind. Es wäre daher ohne weiteres möglich gewesen, den richtigen Namen im Rahmen des Asylverfahrens früher mitzuteilen. Durch die Vorführung im Dezember 2004 konnte der Antragsteller zu 1 nur als georgischer Staatsbürger identifiziert werden. Erst im Rahmen der Vorführung im Mai 2005 hat er dann den richtigen Namen angegeben. Dieses Verhalten kann nur so gewertet werden, dass die Antragsteller ihre wahre Identität vorsätzlich möglichst lange verschleiern wollten, um dadurch möglichst lange in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben zu können. Die von den Antragstellern abgegebene Begründung der beantragten Namensänderung ist im Übrigen nicht glaubhaft.

Die von den Antragstellern aufgeworfene Frage, ob die mit der rechtsmissbräuchlichen Verlängerung verbundene Ablehnung von Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII zeitlich begrenzt oder von Dauer ist, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben. Es spricht allerdings einiges dafür, dass Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII nur für die Zeit versagt werden können, für die der Leistungsberechtigte die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. Denn der Ausländer, der seinen Aufenthalt auf diese Art beeinflusst, soll nicht gegenüber dem Ausländer privilegiert werden, der sich korrekt verhält. Dies könnte es rechtfertigen, von einem Leistungsausschluss von dem Zeitpunkt an abzusehen, ab dem der Rechtsmissbrauch entfällt. Da aber auch andere Asylbewerber für eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben müssen, um die leistungsrechtliche Besserstellung nach § 2 AsylbLG in Anspruch nehmen zu können, wäre § 2 Abs. 1 AsylbLG, wollte man die Auffassung der Antragsteller teilen, jedenfalls so auszulegen, dass neben der Zeit der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts der Ausländer weitere 36 Monate von den Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII ausgeschlossen ist, weil die Privilegierung nur dann greift, wenn in den 36 Monaten die Dauer des Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst wurde, was im Falle des Antragsteller zu 1 und 2 in der Vergangenheit gerade nicht der Fall war. Eine solche Auslegung ergibt sich schon aus der Verknüpfung der 36-Monatsfrist und dem Nichtvorliegen der missbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes durch das Wort "und" im Gesetzeswortlaut (vgl. auch Hohm, aaO. S. 391 für die Fälle, in denen das von § 2 Abs. 1 AsylbLG sanktionierte rechtsmissbräuchliche Verhalten durch danach eintretende Umstände keinen Fortbestand mehr hat, im übrigen die an § 2 Abs. 1 AsylbLG geknüpfte Rechtsfolge grundsätzlich irreversibel sei). Dies bedeutet, dass die in § 2 AsylbLG normierte "Frist" von 36 Monaten nicht während der Zeit laufen kann, in der ein Missbrauchstatbestand im Sinne des § 2 AsylbLG vorliegt.