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SG Hildesheim

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Zitieren als:
SG Hildesheim, Urteil vom 07.07.2005 - S 34 AY 4/05 - asyl.net: M7248
https://www.asyl.net/rsdb/M7248
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Rechtsmissbrauch, Aufenthaltsdauer, freiwillige Ausreise, Serbien und Montenegro, Kosovo, Ashkali, Ägypter, Erlasslage
Normen: AsylbLG § 2
Auszüge:

Die Kläger haben ab dem 01.01.2005 einer Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG n.F. i.V.m. dem SGB XII.

Wie das Gericht bereits in seinem Beschluss vom 28.02.2005 - S 43 AY 2/05 ER - festgestellt hat, stellt die bloße Weigerung, der Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise nachzukommen, keinen Rechtsmissbrauch im Sinne der Neufassung von § 2 AsylbLG dar. Die Gesetzesbegründung zur Neufassung des AsylbLG nennt exemplarisch nur die Vernichtung des Passes und die Angabe einer falschen Identität als Fälle, in denen Rechtsmissbrauch vorliegt. Darüber hinaus lässt sich der Gesetzesbegründung der Hinweis entnehmen, dass die Bestimmung über die Folgen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens an den Entwurf einer Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern anknüpft. In Artikel 16 des Entwurfes werden Formen negativen Verhaltens zusammengefasst, die auf nationaler Ebene eine Einschränkung von Leistungen erlauben, so z. B. bei der Verletzung von Meldepflichten und Auflagen zum Aufenthaltsort sowie bei Verschweigen von finanziellen Mitteln. Den Klägern wird keine der vorgenannten Verhaltensweisen vorgeworfen, sondern der Beklagte legt ihnen allein zur Last, dass sie rechtsmissbräuchlich nicht von der Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr in ihr Heimatland oder nach Serbien oder Montenegro Gebrauch machen und insofern ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen. Das nach der derzeitigen Erlasslage des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport momentan tatsächlich keine Rückführung von Ashkali und Ägyptern in das Kosovo erfolgt, ist nach Ansicht des Beklagten unbeachtlich, weil jedenfalls die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise bestehe.

Dieser Einschätzung vermag das Gericht jedoch nicht zu folgen und sieht den Verbleib der Kläger nicht als rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 2 AsylbLG an. Nach Auffassung des Gerichts ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass ein Rechtsmissbrauch (nur) dann anzunehmen ist, wenn der Ausländer seine Rückführung verhindert bzw zu verhindern versucht. in dem er entweder aktiv bestimmte Maßnahmen ergreift (Vernichtung des Passes) oder durch passives Verhalten ausdrücklichen Mitwirkungspflichten zuwiderhandelt (Angabe der richtigen Identität). Die Rückführung der Kläger scheitert im vorliegenden Fall jedoch weder an einem Tun, noch an einem Unterlassen der Kläger, sondern vor allem daran, dass der Beklagte selbst aufgrund der derzeitigen Erlasslage keine Rückführung von Minderheitenangehörigen in den Kosovo vornimmt. Damit nutzen die Kläger in dieser Konstellation lediglich eine für sie günstige, vom Beklagten zugelassene Situation aus (derzeitiges Absehen von Abschiebungsmaßnahmen), welche der Beklagte selbst beenden könnte, wenn er wollte. Dieses Verhalten kann nach Ansicht der Kammer nicht die Voraussetzungen der Annahme von Rechtsmissbrauch erfüllen. Wenn der Staat selbst von der Vollstreckung der grundsätzlichen Ausreisepflicht abgelehnter Asylbewerber absieht, stellt sich das bloße Nichtausreisen nicht als treuwidrige Verhinderung der Rückführung dar, so dass auch kein Rechtsmissbrauch angenommen werden kann (im Ergebnis ebenso SG Hannover, Beschluss vom 9.05.2005, S 51 AY 51/05 ER; Beschluss vom 4.02.2005, S 51 AY 8/05 ER und Gerichtsbescheid vom 19.05.2005, S 51 AY 29/05) Dies gilt auch im Fall der Kläger, so dass ihnen nach Auffassung des Gerichts keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfen werden kann. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass Rechtsmissbrauch bei nicht erfolgter freiwilliger Ausreise vorliege, wenn die freiwillige Ausreise für den Leistungsberechtigten zumutbar gewesen wäre (Hohm, Leistungsrechtliche Privilegierung nach § 2 I AsylbLG F. 2005, NVwZ 2005, 388, 390), führt dies für den vorliegenden Fall zu keiner anderen Bewertung. Bereits angesichts der Unruhen im März 2004 mit einer Eskalation ethnisch motivierter Gewalt ist immer (noch) fraglich, ob eine freiwillige Rückkehr in den Kosovo zumutbar wäre (vgl. z. B. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.01.2005, 7 S 1769/02). Zudem haben die Erlasse des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 25.06.2004 und vom 23.09.2004, die trotz der Annahme der Möglichkeit zur freiwilligen Rückkehr noch keine Wiederaufnahme der Rückführung von Minderheitenangehörigen der Ashkali und Ägypter vorsehen, weiterhin Gültigkeit und sind als Indiz dafür zu werten, dass die Situation im Kosovo für Minderheitenangehörige offensichtlich nicht unproblematisch sind. Schließlich ergibt sich aus der "agreed note" vom April 2005, dass die Zustimmung zur Rückführung erst nach einem individuellen Prüfverfahren von UNMIK erteilt werden kann, so dass man jedenfalls von einer generellen Zumutbarkeit der Rückkehr derzeit (noch) nicht ausgehen kann. Da die Kläger - wie oben dargestellt - nicht durch Maßnahmen, die in ihrem Verantwortungsbereich liegen, den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen verhindern, sondern ein Nichtvollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen durch die Ausländerbehörde vorliegt ist der Verbleib der Kläger im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland dementsprechend nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen.