BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 02.09.2005 - 2 BvQ 25/05 - asyl.net: M7253
https://www.asyl.net/rsdb/M7253
Leitsatz:

Keine einstweilige Anordnung des BVerfG gegen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit wegen Wiedererlangung der ursprünglichen Staatsangehörigkeit.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Staatsangehörigkeit, Verlust, Einbürgerung, Wiedereinbürgerung, Folgenabwägung, Verfassungsbeschwerde, Einstweilige Anordnung, Wahlrecht, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: StAG § 25 Abs. 1; BVerfGG § 32 Abs. 1
Auszüge:

Keine einstweilige Anordnung des BVerfG gegen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit wegen Wiedererlangung der ursprünglichen Staatsangehörigkeit.

(Leitsatz der Redaktion)

 

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall - auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache (vgl.BVerfGE 92, 130 <133>; stRspr) - einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Für die Beurteilung dieser Voraussetzungen gilt ein strenger Maßstab (vgl.BVerfGE 108, 45 <48>).

2. Die gebotene Folgenabwägung ergibt jedenfalls nicht das erforderliche Überwiegen der Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen.

Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich aber eine in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde später als begründet, wäre der Antragstellerin bis dahin die Behandlung als deutsche Staatsangehörige zu Unrecht vorenthalten worden; die aus der deutschen Staatsangehörigkeit folgenden Rechte hätte sie vorläufig nicht wahrnehmen können. Als konkret drohender Nachteil ist insoweit vor allem zu berücksichtigen, dass ihr die Ausübung des Wahlrechts bei der auf den 18. September 2005 angesetzten Bundestagswahl versagt bliebe, obwohl sie gemäß § 12 Abs. 1 BWG wahlberechtigt wäre. Weitere konkrete und gewichtige Nachteile, die bereits in näherer Zukunft eintreten könnten, sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Vor allem ist der weitere Aufenthalt der Antragstellerin angesichts ihres nach Auffassung des zuständigen Landratsamtes fristgerecht gestellten und damit nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AufenthG positiv zu bescheidenden Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gesichert. Nachdem die Antragstellerin auf das ihr zugegangene formlose Anschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, mit dem sie zur Auskunft über einen etwaigen Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit aufgefordert wurde, bereits reagiert hat, braucht sie auch mit einer Auskunftsverpflichtung durch förmlichen Bescheid und gegebenenfalls dessen zwangsweiser Durchsetzung nicht zu rechnen. Im Übrigen läge darin auch kein besonders ins Gewicht fallender Nachteil.

Erginge die einstweilige Anordnung, bliebe der Antragstellerin aber in der Hauptsache der Erfolg versagt, so würde sie vorläufig zu Unrecht weiter als deutsche Staatsangehörige behandelt. Vor allem könnte sie bei den Wahlen zum 16. Deutschen Bundestag das Wahlrecht ausüben, obwohl ihr dieses mangels Deutscheneigenschaft im Sinne des § 12 BWG in Wahrheit nicht zustünde.

Die Nachteile im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl wögen in beiden Fällen gleich schwer: Es käme jeweils zu einem Wahlfehler, der im Wahlprüfungsverfahren geltend gemacht werden könnte, zur Ungültigkeit der Wahl indes nur bei gegebener Mandatserheblichkeit führen würde (vgl.BVerfGE 34, 81 <95>). An diesem "Bewertungspatt" ändert sich auch dann nichts, wenn man bei der Einschätzung der jeweils drohenden Nachteile nicht allein den Fall der Antragstellerin berücksichtigt, sondern auch die Folgen in den Blick nimmt, die sich bei gleicher Behandlung anderer, möglicherweise zahlreicher, gleichgelagerter Fälle ergeben.

Stehen somit die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgekonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüber, gebietet es die gegenüber der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers notwendige Zurückhaltung des Gerichts, die Anwendung der mittelbar angegriffenen Vorschrift nicht zu hindern, bevor geklärt ist, ob sie vor der Verfassung Bestand hat.