VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 14.06.2005 - 7 K 1166/04 - asyl.net: M7293
https://www.asyl.net/rsdb/M7293
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Subsidiärer Schutz, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Entscheidungszeitpunkt, Ausländerbehörde, Bindungswirkung, Anerkennungsbescheid, Widerruf, Bestandskraft, Suspensiveffekt, Ausnahmefall
Normen: AufenthG § 25 Abs. 3; AsylVfG § 42 ; AsylVfG § 75; AsylVfG § 73; AufenthG § 84 Abs. 2; AsylVfG § 73 Abs. 6
Auszüge:

Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnenden Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG (§ 113 Abs. 1, 5 VwGO).

Bei der Prüfung, ob ein Abschiebungshindernis vorliegt, ist die Ausländerbehörde an eine Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gebunden, sofern eine solche vorliegt (vgl. § 42 Satz 1 AsylVfG). Diese sog. Bindungswirkung besteht im vorliegenden Fall nach wie vor. Der Umstand, dass die (positive) Feststellung durch den Bescheid vom 24.02.2003 durch denjenigen vom 16.12.2003 widerrufen wurde, steht dem nicht entgegen, da der Widerrufsbescheid noch nicht bestandskräftig ist. Das beklagte Land sieht sich an die Widerrufsentscheidung gebunden, obwohl diese noch nicht rechtskräftig ist und knüpft dabei offenbar an die innere Wirksamkeit des Verwaltungsaktes an. Sie entnimmt diese Rechtsauffassung offenbar der Beurteilung der Rechtslage beim Entstehen der Bindungswirkung. Diese tritt nämlich nicht erst mit der Bestands- oder Rechtskraft der Entscheidung des Bundesamtes ein, sondern bereits mit der Bekanntgabe (äußere Wirksamkeit), welcher Zeitpunkt üblicherweise mit der inneren Wirksamkeit identisch ist (vgl. zur Bindungswirkung Sennekamp, HTK-Ausländerrecht/§ 42 AsylVfG/Bindungswirkung 12/2004). Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht entscheidend auf die Frage der inneren oder äußeren Wirksamkeit eines Verwaltungsakts abzustellen. Es geht nämlich nicht darum, ob der Widerrufsbescheid des Bundesamts rechtliche Wirkung zeitigt, sondern darum, ob er einer belastenden Entscheidung zu Grunde gelegt werden darf. Maßgeblich ist also, ob eine belastende Maßnahme - hier die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis - auf eine behördliche Entscheidung gestützt werden darf, die ihrerseits noch nicht bestands- oder rechtskräftig ist. Hierfür ist entscheidend, ob die gegen den Widerruf der Feststellung von Abschiebungshindernissen gerichtete Klage aufschiebende Wirkung entfaltet oder nicht und was diese bewirkt. Nach § 75 AsylVfG hat eine Klage gegen eine Entscheidung nach § 73 AsylVfG aufschiebende Wirkung. Die rechtliche Bewertung der aufschiebenden Wirkung ist im einzelnen streitig. Vertreten wird einerseits die sog. "Wirksamkeitstheorie", die im Suspensiveffekt eine Wirksamkeitshemmung des gesamten Verwaltungsakts sieht und zum anderen die sog. "Vollziehbarkeitstheorie", die die aufschiebende Wirkung lediglich als eine Vollziehbarkeitshemmung in dem Sinne versteht, dass der Verwaltungsakt wirksam bleibt, dass jedoch lediglich keine Folgen aus ihm gezogen werden können (vgl. hierzu Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, RdNr. 6 zu § 80 m.w.N.). Selbst wenn man mithin der Vollziehbarkeitstheorie folgt, ergibt sich also aus der aufschiebenden Wirkung die Verpflichtung der Behörde, Maßnahmen zu unterlassen, die die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsakts voraussetzen. Solange also die Widerrufsentscheidung des Bundesamtes nicht bestands- oder rechtskräftig ist, besteht die positive Bindungswirkung des § 42 AsylVfG fort. Es ist auch keine Vorschrift ersichtlich, die zu einem anderen Ergebnis führen könnte. Insbesondere kann nicht auf § 84 Abs. 2 AufenthG (früher § 72 Abs. 2 AuslG) abgestellt werden. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung oder eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Diese Vorschrift betrifft allein Entscheidungen nach dem Aufenthaltsgesetz. Die Regelung kann nicht - ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage - mittelbar auf Verwaltungsakte nach dem Asylverfahrensgesetz ausgedehnt werden (vgl. hierzu - und auch zum Zusammenhang zwischen innerer Wirksamkeit des Verwaltungsaktes und Fragen der aufschiebenden Wirkung - VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.03.2001 - 11 S 2374/99 -, VBlBW 2001, 454 zu der Frage, ob der Widerruf einer Aufenthaltserlaubnis vor Eintritt der Bestandskraft des Widerrufs der Asylanerkennung zulässig ist; ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 22.07.1998 - 1 K 2819/97 -, InfAuslR 99, 47). § 84 Abs. 2 AufenthG greift im übrigen auch tatbestandlich nicht ein, die Widerrufsentscheidung des Bundesamts ist nämlich keine solche, die die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet. Diese Wirkung tritt nur in den in § 51 AufenthG geregelten Fällen ein.

Auch aus den weiteren, vom Beklagten herangezogenen Vorschriften lässt sich nicht der Schluss ziehen, die Bindungswirkung der Entscheidung des Bundesamtes ende vor dem Eintritt der Bestandskraft dieser Entscheidung. § 73 Abs. 6 AsylVfG, auf den das beklagte Land u.a. abstellt, regelt, dass im Falle der Unanfechtbarkeit des Widerrufes oder der Rücknahme der Anerkennung als Asylberechtigter und der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des AufenthG vorliegen, § 72 Abs. 2 AufenthG entsprechend gelte, d.h. dass der Ausländer einen Anerkennungsbescheid und einen Reiseausweis unverzüglich abzugeben hat. Aus dieser Vorschrift lässt sich keinesfalls - wie der Beklagte offenbar meint - der Schluss ziehen, alle anderen Absätze des § 73 AsylVfG setzten die Unanfechtbarkeit des Widerrufs gerade nicht voraus. Umgekehrt ließe sich aus dieser Vorschrift eher der Schluss ziehen, belastende Maßnahmen dürften an die Widerrufsentscheidung erst dann anknüpfen, wenn dieser rechtskräftig ist. Soweit die Ausländerbehörde auf § 25 Abs. 1, 2 und 5 AufenthG abstellt, lässt sich diesen ebenfalls nicht der Umkehrschluss entnehmen, für eine Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 sei keine Unanfechtbarkeit erforderlich. Dies ergibt sich schon daraus, dass § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG einen zwingenden Anspruch enthalten, der an die Unanfechtbarkeit der Feststellung des Bundesamtes anknüpft. Wenn der Gesetzgeber in § 25 Abs. 3 AufenthG, der als Sollvorschrift ausgebildet ist, darauf verzichtet, die Unanfechtbarkeit der Bundesamtsentscheidung als Tatbestandsmerkmal aufzuführen, ist dem nicht zu entnehmen, dass die Unanfechtbarkeit irrelevant sein sollte. Vielmehr bedurfte es angesichts der in § 42 AsylVfG geregelten Bindungswirkung keiner detaillierteren Regelung. Nachdem die Bindungswirkung der Entscheidung des Bundesamtes fortbesteht, war die Ausländerbehörde hieran gebunden und ist der Tatbestand des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfüllt.

Anders als die in § 30 AuslG enthaltene Vorgängervorschrift ist § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG als Sollvorschrift ausgestaltet, d.h. die Aufenthaltserlaubnis ist zu erteilen, sofern keine atypische, vom Regelfall abweichende Fallgestaltung vorliegt. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann eine solche Atypik nicht darin gesehen werden, dass der Feststellungsbescheid des Bundesamtes zwar widerrufen, jedoch der Widerruf noch nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist. Dieser Rechtszustand ist schon nicht "atypisch", sondern regelmäßig - mehr oder weniger lange andauernd - an eine Widerrufsentscheidung anschließend gegeben. Die Atypik kann sich mithin nicht aus der verfahrensrechtlichen Situation ergeben, sondern muss sich aus dem Sachverhalt als solchem ergeben. Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die aufschiebende Wirkung rückwirkend entfällt, falls die Klage gegen die Widerrufsentscheidung des Bundesamts abgewiesen wird, so dass in diesem Fall dann die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis nach § 48 LVwVfG vorliegen werden. Im übrigen kann das beklagte Land dem Umstand, dass das Widerrufsverfahren eingeleitet ist und wohl in absehbarer Zeit eine Entscheidung ergehen wird, dadurch Rechnung tragen, dass es die Aufenthaltserlaubnis angemessen befristet. Auch aus diesem Grunde ist es nicht gerechtfertigt, eine atypische Fallgestaltung anzunehmen.