OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.09.2005 - 18 B 1493/05 - asyl.net: M7311
https://www.asyl.net/rsdb/M7311
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Rechtsweggarantie, Abschiebungsankündigung, Schutz von Ehe und Familie, Abschiebung, rechtliche Unmöglichkeit, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung
Normen: GG Art. 19 Abs. 4; AufenthG § 60a Abs. 5 S. 4; AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2
Auszüge:

Dem Antragsteller ist ferner nicht darin zu folgen, dass seiner Abschiebung § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG entgegen steht. Nach dieser Vorschrift ist einem Ausländer, der länger als ein Jahr geduldet war, die für den Fall des Erlöschens der Duldung durch Ablauf der Geltungsdauer oder durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen.

Der nach dem Schutzzweck der Norm vorausgesetzte Vertrauenstatbestand (vgl. zu der wortgleichen Regelung in § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG Senatsbeschluss vom 18. November 2002 - 18 B 2289/02 -, NVwZ-RR 2003, 386 = EZAR 044 Nr. 19 -) ist unter den hier gegebenen Umständen in der Person des Antragstellers nicht gegeben. Die Ankündigung der Abschiebung eines länger als ein Jahr geduldeten Ausländers beruht auf der besonderen Situation, die aufgrund der längere Zeit andauernden Nichtvollziehung der Ausreisepflicht geschaffen wird. Der Vollzug soll in derartigen Fällen nicht überraschend erfolgen. Dem Ausländer soll die Möglichkeit gegeben werden, sich rechtzeitig auf die Aufenthaltsbeendigung einzustellen und seine persönlichen Angelegenheiten zu ordnen (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. April 2001 - 9 C 22.00 -, InfAuslR 2001, 357 = DVBl. 2001, 1522 = NVwZ-Beil. I 2001, 113 = DÖV 2001, 865, und vom 22. Dezember 1997 - 1 C 14.96 -, InfAuslR 1998, 217 = NVwZ-RR 1998, 455 = AuAS 1998, 111 = EZAR 041 Nr. 4).

Jedenfalls erfolgte mit jeder dem Antragsteller im Anschluss an dessen Vorführung bei der aserbaidschanischen Botschaft am 27. November 2004 erteilten Duldung eine den Anforderungen des § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG bzw. § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG genügende konkludente Ankündigung seiner Abschiebung, für die es der Schriftform nicht bedurfte (vgl. hierzu ebenfalls Senatsbeschluss vom 18. November 2002 - 18 B 2289/02 -, a.a.O.).

Für den Antragsteller war spätestens seitdem ohne weiteres erkennbar, dass - was auch ohne Benennung eines konkreten Abschiebedatums grundsätzlich ausreicht (vgl. Senatsbeschluss vom 8. August 2003 - 18 B 1205/03) seine Ausreisepflicht vollzogen werden soll, sobald ein Reisedokument vorliegt. Dies folgt zweifelsfrei aus seiner zur Beschaffung eines Reisedokumentes dienenden Vorführung bei der aserbaidschanischen Botschaft und dem am selben Tag unter Mitwirkung des Antragstellers eingeleiteten Passersatzpapierverfahren für B. Worauf der Antragsteller unter diesen Umständen zumindest ab dem 27. November 2004 sein Vertrauen gründen konnte, vorerst weiterhin mit seiner Abschiebung nicht rechnen zu müssen, ist weder vorgetragen worden noch ersichtlich.

Ein Anordnungsanspruch folgt schließlich auch nicht aus der durch eidesstattliche Versicherungen belegten Einlassung des Antragstellers, er und seine Lebensgefährtin stünden nunmehr zur gemeinsamen Abschiebung zur Verfügung bzw. seien zur freiwilligen gemeinsamen Ausreise bereit. Insoweit beruft sich der Antragsteller mit Blick auf die durch seine Abschiebung bevorstehende Trennung von seinen Kindern und seiner Lebensgefährtin vergeblich auf die rechtliche Unmöglichkeit seiner Abschiebung (§ 60a Abs. 2 AufenthG iVm Art. 6 Abs. 1 und 2 GG).

Art. 6 GG, dessen Schutzbereich sich nicht auf Deutsche beschränkt, gewährt zwar unmittelbar keinen Anspruch auf Aufenthalt im Bundesgebiet. Er verpflichtet aber als wertentscheidende Grundsatznorm die zuständigen Behörden und Gerichte, bei der Entscheidung über den weiteren Aufenthalt eines Ausländers die bestehenden familiären Bindungen an berechtigterweise im Bundesgebiet lebende Personen in einer Weise zu berücksichtigen, die der Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz in Art. 6 dem Schutz von Ehe und Familie beimisst. Der Schutzumfang ist abhängig von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere von der Intensität der familiären Beziehungen, dem Alter der Kinder, der Betreuungsbedürftigkeit einzelner Familienmitglieder und der voraussichtlichen Dauer der bevorstehenden Trennung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59 = InfAuslR 2000, 67 = AuAS 2000, 34 = EZAR 622 Nr. 37; BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 -, BVerwGE 109, 305 = InfAuslR 2000, 93 = DVBl. 2000, 419 = EZAR 043 Nr. 41 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 23).

Danach steht dem Antragsteller, der insofern darlegungs- und beweispflichtig ist, ein sich aus Art. 6 GG ergebendes Bleiberecht, das seiner Abschiebung derzeit entgegenstehen könnte, nicht zu.

Die getrennte Abschiebung von Familienmitgliedern ist diesen grundsätzlich zuzumuten, wenn - wie hier - bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber nicht nur ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen, sondern durch Täuschung über ihre Identität ihre Abschiebung zu verhindern versuchen. In einer derartigen Fallkonstellation haben die Familienmitglieder regelmäßig ihre temporäre Trennung selbst zu vertreten, wenn nicht sogar willentlich herbeigeführt. Deshalb ist es ihnen zur Sicherung des öffentlichen Interesses daran, dass das Asylverfahren nicht für den verfahrensfremden Zweck der Sicherung eines sonst nicht bestehenden Aufenthaltsrechts in Deutschland missbraucht wird, zuzumuten, die Trennung der Familienmitglieder hinzunehmen, die nur temporär sein wird (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 13. Juni 2005 - 18 B 901/05 -).

Dies gilt erst Recht, wenn - wie vorliegend - eine gemeinsame Abschiebung daran scheitert, dass unverzichtbare Mitwirkungshandlungen bei der Beschaffung eines Passersatzpapieres (hier: Vorlage von Passfotos) unterlassen werden.