OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.08.2005 - 18 B 633/05 - asyl.net: M7313
https://www.asyl.net/rsdb/M7313
Leitsatz:
Schlagwörter: Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Erlaubnisfiktion, nachträgliche Befristung, Aufenthaltserlaubnis, Abschiebungsandrohung, besondere Härte, eigenständiges Aufenthaltsrecht
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AuslG § 69 Abs. 2; AuslG § 69 Abs. 3; AuslG § 44 Abs. 1 Nr. 2; AuslG § 72 Abs. 2 S. 1; AuslG § 72 Abs. 2 S. 1; AufenthG § 31 Abs. 2
Auszüge:

Soweit sich der Aussetzungsantrag gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis richtet, ist er allerdings bereits unzulässig. Als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kann dieser nur auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ablehnende Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 10. November 2004 gerichtet sein, soweit und sofern diese die Wirkungen eines belastenden Verwaltungsaktes hat, indem sie ein Bleiberecht des Antragstellers in Form einer aufgrund von § 69 Abs. 2 oder Abs. 3 AuslG entstandene Duldungs- oder Erlaubnisfiktion beendet. Derartige Wirkungen hat jedoch der auf Verlängerung der erteilten Aufenthaltserlaubnis gerichtete Aufenthaltsgenehmigungsantrag des Antragstellers vom 4. Oktober 2004 nicht ausgelöst. Der Antrag war bisher bereits vom Ansatz her nicht in der Lage, den mit § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG bezweckten lückenlosen rechtmäßigen Aufenthalt für die hier allein in Betracht kommende Erlaubnisfiktion herbeizuführen (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 13. Februar 2004 - 18 B 2422/03 -, m.w.N.).

Dem Eintritt der Erlaubnisfiktion stand vielmehr entgegen, dass sich der Antragsteller bei Stellung des Verlängerungsantrags nicht mehr (wie es § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG verlangt) rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt. Seine ihm am 27. Februar 2002 bis zum 9. Oktober 2004 erteilte Aufenthaltserlaubnis war nämlich aufgrund der Befristungsverfügung des Antragsgegners vom 16. März 2004 bei Stellung des Verlängerungsantrags bereits erloschen (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 2, § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG). Daran vermochte der dagegen erhobene Widerspruch in Verbindung mit dessen vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. Oktober 2004 (24 L 2031/04 - VG Düsseldorf) festgestellten aufschiebenden Wirkung nichts zu ändern; denn gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG lässt der Widerspruch unbeschadet seiner aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Befristungsverfügung unberührt (vgl. Beschluss des Senats vom 30. April 2003 - 18 E 335/03 -).

Soweit der Aussetzungsantrag sich gegen die in der Ordnungsverfügung vom 10. November 2004 enthaltene Abschiebungsandrohung richtet, ist er demgegenüber zulässig. Diesbezüglich fällt auch die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus, weil die Ausreisepflicht gegenwärtig nicht vollziehbar ist und der Erfolg des von ihm gegen diesen Teil der Ordnungsverfügung erhobenen Widerspruchs und seiner gegen die Befristungsverfügung vom 16. März 2004 erhobenen Klage (24 K 4318/04 - VG Düsseldorf) nach gegenwärtigem Sachstand zumindest offen ist.

Die in der Ordnungsverfügung vom 10. November 2004 enthaltene Abschiebungsandrohung dient rechtlich als Grundlage dafür, die hier bereits aufgrund der Befristungsverfügung vom 16. März 2004 entstandene Ausreisepflicht des Antragstellers gegebenenfalls durch eine Abschiebung vollstrecken zu können. Durch diese erneute Abschiebungsandrohung ist die in der Befristungsverfügung vom 16. März 2004 enthaltene Abschiebungsandrohung gegenstandlos geworden (vgl. Beschluss des Senats vom 3. Januar 2001 - 18 B 656/00 -).

Die mit der erneuten Abschiebungsandrohung verfügte Ausreisefrist bis zum 15. Dezember 2004 ist aber nach jetzigem Sachstand schon deshalb rechtswidrig, weil der Antragsteller aufgrund der Befristungsverfügung vom 16. März 2004 zwar ausreisepflichtig ist, die Ausreisepflicht aber wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers (24 K 4318/04 - VG Düsseldorf) gegenwärtig nicht vollziehbar ist.

Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sachund Rechtslage erscheint es dem Senat offen, ob der Antragsteller einen darauf gerichteten Anspruch auf Verlängerung der ihm mit Gültigkeit ursprünglich bis zum 9. Oktober 2004 erteilten Aufenthaltserlaubnis hat. Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG wird eine Aufenthaltserlaubnis unabhängig von der Voraussetzung des zweijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet verlängert, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, es sei denn für den Ausländer ist eine Verlängerung ausgeschlossen. Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG liegt eine besondere Härte insbesondere dann vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenen Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist. Hinsichtlich der 1. Alternative der Vorschrift geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei der Prüfung, ob eine besondere Härte vorliegt, alle - erheblichen - Beeinträchtigungen zu berücksichtigen sind, die durch die Ausreise des Ausländers aus Deutschland infolge der Beendigung des ehebedingten Aufenthalts einzutreten drohen, soweit diese Beeinträchtigungen während der Gültigkeitsdauer der zu verlängernden Aufenthaltserlaubnis entstanden sind oder zumindest in dieser Zeit ihre wesentliche Prägung erhalten haben (vgl. Beschlüsse des Senats vom 4. Mai 2001 - 18 B 1908/00 -, NVwZ-Beil I 2001, 83, und vom 1. August 2002 - 18 B 1063/00 -, NWVBl 2003, 33 (jeweils zur inhaltsgleichen Regelung des § 19 Abs. 1 AuslG)).

Allerdings genügen weder die persönliche Betroffenheit eines Ausländers durch die Trennung von seinem Ehegatten noch die Aufgabe der wirtschaftlichen Existenzgrundlage im Heimatland oder das Fehlen einer solchen bei einer Rückkehr dorthin für sich genommen, um das Maß einer besonderen Härte im Sinne der ersten Alternative des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu erreichen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 1. Dezember 2000 - 18 B 1754/00 -, und vom 12. Februar 2004 - 18 B 849/03 -, m.w.N.), weil derartige Umstände ihrem Gewicht nach vergleichbar sind mit den Umständen, die eine Vielzahl von Ausländern treffen, die mit dem Ziel eines langfristigen Aufenthalts in Deutschland aus ihrem Heimatland ausgereist sind, Deutschland aber schon nach kurzer Aufenthaltsdauer wieder verlassen müssen.

Hiervon ausgehend sind in der Person des Antragstellers jedoch besondere Umstände gegeben, die seine Situation deutlich von der anderer Ausländer unterscheiden könnten, die Deutschland nach einer kurzfristig gescheiterten Ehe wieder verlassen müssen. Der 1955 geborene Antragsteller, der mit seiner Ehefrau seit 1979 verheiratet ist, siedelte im Oktober 2001 aus L. nach Deutschland über. Seine Ehefrau und die beiden 1980 und 1984 geborenen Söhne fanden in Deutschland Aufnahme als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers, während der Antragsteller als miteinreisender ausländischer Ehegatte registriert wurde. Die Ehefrau und die beiden Söhne haben mit der Übersiedlung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Der Antragsteller ist somit als Teil einer seit langem bestehenden Familie nach Deutschland gekommen. Eine Rückkehr nach L. , von wo die Familie stammt, würde für den Antragsteller bedeuten, nunmehr allein und als einziges Mitglied der Familie dorthin zurückkehren zu müssen. Diese Situation ist deshalb nicht ohne weiteres vergleichbar mit der Situation eines Ausländers, der nach einer Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen oder einem aufenthaltsberechtigten Ausländer hierher kommt und nach dem kurzfristigen Scheitern der Beziehung Deutschland wieder verlassen und in sein Heimatland zurückkehren muss. Neben der Vereinzelungssituation, in die der Antragsteller bei einer Rückkehr nach L. geraten würde, wäre zu dem allein durch die räumliche Distanz der weitere Kontakt zu seinem in Deutschland lebenden älteren Sohn, mit dem nach wie vor eine persönliche familiäre Verbundenheit besteht, deutlich erschwert. Mit Blick auf das Alter des Antragstellers dürfte auch seine Reintegration in die Lebensverhältnisse vor Ort in L. nur unter erschwerteren Bedingungen möglich sein, als sie in ihr Heimatland zurückkehrende Ausländer im Regelfall antreffen. Schon diese Gesichtspunkte lassen es für sich genommen nicht als ausgeschlossen erscheinen, eine besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 AufenthG zu Gunsten des Antragstellers anzunehmen.