VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 26.07.2005 - 2 K 20428/03.Me - asyl.net: M7342
https://www.asyl.net/rsdb/M7342
Leitsatz:

Keine aserbaidschnische Staatsangehörigkeit bei Ausreise vor dem 31.12.1998; keine Abschiebungsandrohung nach Aserbaidschan bei Staatenlosen.

 

Schlagwörter: Aserbaidschan, Russland, Staatsangehörigkeit, Staatenlose, Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt, Ausbürgerung, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbestimmung
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine aserbaidschnische Staatsangehörigkeit bei Ausreise vor dem 31.12.1998; keine Abschiebungsandrohung nach Aserbaidschan bei Staatenlosen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

2. Die Voraussetzungen des Art. 16 a GG sowie die Voraussetzungen des § 60 AufenthG liegen weder hinsichtlich Aserbaidschan noch hinsichtlich der Russischen Förderation (Russland) vor; der Kläger ist vielmehr staatenlos.

4.1 Die vorgenannten Voraussetzungen liegen hinsichtlich Aserbaidschan nicht vor. Der vor dem 31.12.1998 ausgereiste Kläger ist nicht aserbaidschanischer Staatsangehöriger. Er ist bereits im Jahr 1990 ausgereist und hat deshalb die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit nicht erworben. Er hat Aserbaidschan zu einem Zeitpunkt verlassen, als die Republik Aserbaidschan als eigenständiger Staat und somit auch eine aserbaidschanische Staatsangehörigkeit noch nicht existierte. Eine entsprechende Regelung hat der Staat Aserbaidschan erst mit dem Gesetz über die Staatsangehörigkeit vom 26.06.1990 getroffen, das zum 01.01.1991 in Kraft getreten ist. Nach Art. 4, 1. Alternative dieses Gesetzes sind Staatsangehörige der aserbaidschanischen SSR Personen, die sich im Besitz der Staatsangehörigkeit der aserbaidschanischen SSR am Tage des Inkrafttretens der vorliegenden Gesetze befanden. Ohne Wohnsitz in Aserbaidschan konnte die Staatsangehörigkeit jedoch nicht erworben werden (Institut für Ostrecht, Gutachten vom 22.11.2000 an VG Berlin).

Der Kläger hat die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit auch dann nicht erworben, wenn er dort möglicherweise gemeldet bzw. amtlich registriert war. Denn eine formale Registrierung allein reichte nicht für den Staatsangehörigkeitserwerb nach Art. 4, 1. Alternative des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1990 aus (Institut für Ostrecht, Gutachten vom 20.11.2000 an VG Berlin; VG Schleswig-Holstein, U. v. 14.04.2004 - Az.: 4 A 54/01; VG Braunschweig, U. v. 04.12.2002 - Az. 8 A 546/01, juris).

Soweit die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit auf Grund der Verknüpfung von Registrierung und Wohnsitz nicht erworben hat, ist dies nicht auf asylrelevante Merkmale bezogen und damit asylrechtlich nicht relevant.

Aber auch dann, wenn man davon ausginge, dass der Kläger die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz von 1990 ursprünglich erworben hätte, wäre er im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) nicht (mehr) als aserbaidschanischer Staatsangehöriger anzusehen. Er hat nämlich die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit jedenfalls dem Staatsangehörigkeitsgesetz vom 30.09 1998 verloren, wobei der Verlust ebenfalls nicht an asylrelevante Merkmale anknüpft.

Kläger ist nicht Staatsangehöriger Russlands. Er hat die russische Staatsangehörigkeit nicht erworben. Nach seinen glaubhaften Angaben hat er seit 1990 illegal ohne Papiere in Russland gelebt. Es erwarben jedoch automatisch die russische Staatsbürgerschaft nur solche Binnenflüchtlinge, die seit Inkrafttreten des russischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 28.11.1992 ständig in Russland registriert waren (VG Schleswig-Holstein, U. v. 14.04.2004 - Az.: 4 A 54/01, m.w.N.; vgl. AA, Lagebericht Ziffer VI, Nr.4 Stand: 26.03.2004) und sich damit legal dort aufhielten.

Russland kann auch nicht (mehr) als Land des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des § 3 AsylVfG angesehen werden. Dem Kläger wird, nachdem er Russland verlassen hat, die Wiedereinreise verweigert, wobei diese Weigerung nicht an asylrelevante Merkmale anknüpft (vgl. oben Nr. 3.2). Nach de Auskunft des AA vom 14.10.1999 an VG Schleswig stellen russische Behörden in der Regel keine Passersatzpapiere für staatenlose ehemalige Sowjetbürger zur Einreise nach Russland aus, wenn - wie hier - kein offizieller Status als Flüchtling vorliegt, wobei ethnische oder andere asylerhebliche Merkmale keine Rolle spielen (vgl auch VG Schleswig Holstein, U. v. 14.04 2004 - Az.: 4 A 54/01, VG Schleswig, U. v. 14.07.2005).

5. Der angefochtene Bescheid ist jedoch hinsichtlich Nr. 4 (Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach Aserbaidschan) rechtswidrig und war insoweit aufzuheben.

Zwar ist es für die Beurteilung des in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Zielstaats grundsätzlich unerheblich, ob der Kläger dessen Staatsangehörigkeit besitzt oder ob er staatenlos ist (BVerwG, B.v. 01.09.1998 Buchholz 402.240). Nach § 59 Abs. 3 AufenthG steht einer Abschiebungsandrohung auch nicht das Vorliegen von Abschiebungsverboten entgegen. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger auf unabsehbare Zeit weder abgeschoben werden noch freiwillig nach Aserbaidschan zurückkehren kann (VG Schleswig-Holstein, U.v. 14.07.2005 - Az. 14 A 94/03). Um einen möglichen Rechtsschein zu beseitigen, ist es in diesem Fall geboten, die Ausreiseaufforderung und Abscbiebungsandrohung nach Aserbaidschan, Nr. 4 des angefochtenen Bescheides, aufzuheben (vgl. BVerwG U v. 10.07.2003, BVerwGE 118, 308 im Fall eines staatenlosen Kurden aus Syrien VG Holstein; U. v. 02.02.2005 - Az. 4 A 265/03;VG Schleswig-Holstein, 14.07.2005 Az.: 14 A 98/03 Sächsisches OVG, U. v. 22.08.2003).