VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 25.08.2005 - 9 K 2754/04.A - asyl.net: M7384
https://www.asyl.net/rsdb/M7384
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen Konversion zum Christentum.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Christen (neuapostolische), Konversion, Apostasie, Missionierung, Religionsfreiheit, religiös motivierte Verfolgung, Scharia, Todesstrafe, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, religiöses Existenzminimum, Ausnahmefall
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung wegen Konversion zum Christentum.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sind gegeben.

Zwar gehen nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen von der Regierung Karzai derzeit regelmäßig keine politischen Verfolgungsmaßnahmen mehr für die unter dem Regime der Taliban gefährdeten Bevölkerungsgruppen aus. Doch gibt es nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen hinreichend Hinweise darauf, dass zum Christentum konvertierten Muslimen in Afghanistan Verfolgung droht, wenn sie sich dort als Christen zu erkennen geben, und insbesondere dann, wenn sie versuchen zu missionieren (vgl. AA, Lagebericht vom 21. Juni 2005, S. 20 f.; Danesch, Auskunft vom 13. Mai 2004 an VG Braunschweig; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 1. März 2004, S. 12; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Oktober 2003 - A 1 B 114/00 -; Urteile der Kammer vom 24. Juli 2003 - 9 K 2258/00.A - und 15. Juli 2004 - 9 K 7238/03.A -).

Zwar gewährleistet die Ende Januar 2004 in Kraft getretene neue Verfassung grundsätzlich das Recht auf freie Religionsausübung. Nach Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion, doch räumt Absatz 2 der Vorschrift Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften das Recht ein, im Rahmen der Gesetze ihren Glauben auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen. Dieses Grundrecht umfasst aber nicht die Freiheit, vom Islam zu einer anderen Religion zu konvertieren. In diesem Fall kommt das Sharia-Recht zur Anwendung, nach dem einem Konvertiten, der seinen moslemischen Glauben aufgegeben hat, die Todesstrafe droht (vgl. AA vom 22. Dezember 2004 an VG Hamburg; Danesch vom 13. Mai 2004 an VG Braunschweig).

Das Gericht hat die Überzeugung gewonnen, dass die Hinwendung des Beigeladenen zum Christentum einem wahrhaftigen und nachhaltigen inneren Anliegen entspricht.

Nach den Ausführungen des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vom 25. August 2005 steht es für das Gericht fest, dass es für den Beigeladenen unzumutbar wäre, nach einer Rückkehr nach Afghanistan seine neue Glaubensüberzeugung zu leugnen und seinen christlichen Glauben lediglich im ganz privaten Bereich auszuüben. Das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, in der man sich gegenseitig respektiert und gemeinsam Gottesdienste feiert, ist für den Beigeladenen nach seinen glaubhaften Angaben besonders wichtig. Das Bedürfnis nach Ehrlichkeit, das immer schon Teil seiner Lebenshaltung war, prägt jetzt, nach dem Übertritt zum Christentum, seine Identität noch stärker. Es wäre ihm offensichtlich nicht möglich, nach außen als Moslem zu leben, seinen christlichen Glauben also zu verleugnen, ohne auch einen Teil seiner Identität preiszugeben.

§ 28 Abs. 2 AsylVfG steht der Feststellung nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht entgegen.

Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift, die durch das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I 1950) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 dem alten § 28 AsylVfG angefügt worden ist und die "Umstände im Sinne des Absatzes 1" in Bezug nimmt, erschließt sich über die Regelung des Absatzes 1. Danach wird ein Betroffener, selbst wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Heimatlandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, als Asylberechtigter anerkannt, vorausgesetzt, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Wenn der Entschluss nicht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung entspricht, wird der Betroffene in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt. Eine Ausnahme von der Regel gilt insbesondere dann, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte. Weitere Ausnahmen von der Regel sind möglich.

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber für Asylbewerber, die bereits ein Asylverfahren hinter sich haben, eine besondere "Wohlverhaltenspflicht" begründen und die Anforderungen gegenüber § 28 Abs. 1 AsylVfG verschärfen wollte, sind nicht ersichtlich. Vielmehr soll offensichtlich durch die pauschale Verweisung auf "Umstände im Sinne des Absatzes 1" ohne konkretisierenden Hinweis auf Satz 1 oder 2 bzw. Satz 1 Halbsatz 1 das Regel-Ausnahme-Verhältnis des Absatzes 1 insgesamt auf die Konstellation Folgeverfahren/Begehren der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG übertragen werden.

Eine solche Ausnahme von der Regel setzt nach der Intention des § 28 AsylVfG notwendig voraus, dass der Ausländer sich nicht "asylunwürdig" verhalten, insbesondere nicht versucht hat, durch eine risikolose Verfolgungsprovokation vom gesicherten Ort aus ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erzwingen.

Davon ist hier hinsichtlich des Beigeladenen auszugehen. Wie oben dargelegt, entspricht seine Hinwendung zum Christentum einem wahrhaftigen und nachhaltigen inneren Anliegen und ist nicht zum Zwecke der Beeinflussung eines möglichen weiteren Asylverfahrens erfolgt. Dem Beigeladenen kann ein "asylunwürdiges" Verhalten nicht vorgeworfen werden. Vielmehr ist hier aufgrund der dargestellten besonderen Umstände des Einzelfalles von der Ausnahmeregelung in § 28 Abs. 2 AsylVfG Gebrauch zu machen und an der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG/§ 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, festzuhalten.