VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 24.05.2005 - 1 A 916/03 - asyl.net: M7393
https://www.asyl.net/rsdb/M7393
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für ehemaligen Funktionär der DVPA wegen drohender Racheakte durch frühere Mudschaheddin; kein Schutz durch die afghanische Regierung, so dass die Frage des Bestehens einer staatlichen Herrschaftsmacht unerheblich ist.

 

Schlagwörter: Afghanistan, DVPA, Nadjibullah-Anhänger, Kommunisten, Funktionäre, nichtstaatliche Verfolgung, Racheakte, Schutzfähigkeit, Schutzbereitschaft, interne Fluchtalternative, Warlords
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für ehemaligen Funktionär der DVPA wegen drohender Racheakte durch frühere Mudschaheddin; kein Schutz durch die afghanische Regierung, so dass die Frage des Bestehens einer staatlichen Herrschaftsmacht unerheblich ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Aufgrund des Vorbringens des Klägers sowie insbesondere des auf u.a. den Kläger bezogenen Gutachtens des Dr. Mostafa Danesch vom 13. November 2003 lässt sich nach der Überzeugung des Einzelrichters feststellen, dass der Kläger seit 1972 aktives Mitglied der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) war. Zu seinen Mentoren gehörte u.a. der spätere Präsident Najibullah. Diese Tätigkeiten machten ihn als "kommunistischen Aktivisten" weithin bekannt, u.a. insbesondere auch bei den späteren Mujaheddin-Kommandanten wie etwa Gulbuddin Hekmatyar, Ahmad Schah Masud, Abdul Rasul Sayyaf oder Rabbani.

Dr. Danesch konstatiert weiter, dass zurzeit in Afghanistan und auch in der Provinz Wardak wieder genau diejenigen Leute an der Macht sind, die der Kläger seinerzeit bekämpfte. Einer dieser ehemaligen Mudjaheddin-Kommandanten ist Toran Amanullah, der gegenwärtig einer der mächtigsten Lokalfürsten in Wardak ist. Dessen Leute haben den Grundbesitz der Familie des Klägers in der Provinz Wardak mit der Begründung beschlagnahmt, er sei ein "gottloser Kommunist". Der Gutachter kommt daher zum Schluss, dass die Todfeindschaft der ehemaligen Mudjaheddin gegenüber dem Kläger weiter bis auf den heutigen Tag besteht und dass sein Leben bei einer Rückkehr nach Afghanistan sowohl in der Provinz Wardak als auch in Kabul akut gefährdet ist.

Insgesamt ist das Vorbringen des Klägers daher als glaubwürdig zu bezeichnen mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan als erfüllt anzusehen sind. Bei den angeführten Gegnern des Klägers handelt es sich um "nichtstaatliche Akteure" i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c) AufenthG. Eine inländische Fluchtalternative hat der Kläger bei dieser Sachlage ebenso wenig wie die erfolgversprechende Möglichkeit einer Schutzgewährung durch "staatliche" oder sonstige Stellen i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstaben a) und b) AufenthG oder in Afghanistan operierende internationale Organisationen.

Auf die vom Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid und auch vom Gericht bisher verneinte (vgl. etwa Urt. v. 6.5.2004 - 1 A 283/03 -) Frage, ob und inwieweit in Afghanistan inzwischen ein Staat oder staatsähnliche Organisationen, die den jeweiligen Staat verdrängt haben oder denen dieser das Feld überlassen hat und die ihn daher insoweit ersetzen (staatliche Herrschaftsmacht), vorhanden sind oder nicht, kommt es im Rahmen der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c) AufenthG nicht (mehr) an.