OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.10.2005 - 13 A 3690/05.A - asyl.net: M7394
https://www.asyl.net/rsdb/M7394
Leitsatz:
Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung, Genfer Flüchtlingskonvention, Wegfall-der-Umstände-Klausel, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Serbien und Montenegro, Kosovo, UNMIK
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1; AsylVfG § 73 Abs. 3; AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 3; GFK Art. 1 C 5
Auszüge:

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) ist nicht gegeben.

Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob sich die Prüfung im Rahmen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG lediglich spiegelbildlich auf den Wegfall der ursprünglich die Verfolgung begründenden Umstände beschränkt, oder aber ob im Sinne der "Wegfall-der-Umstände-Klausel" des Artikel 1 C (5) der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) eine objektive Veränderung der Umstände im Herkunftsland des Betroffenen eingetreten sein muss, aufgrund derer der Flüchtling es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz seines Herkunftsstaates wieder in Anspruch zu nehmen, bedarf keiner grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren, denn sie steht hinsichtlich des im Zulassungsantrag bezeichneten § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht an, beantwortet sich außerdem auf Grund einer Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften bzw. ist in der Rechtsprechung bereits geklärt.

Durch den mit der Klage angefochtenen Bescheid des (früheren) Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. Juni 2004 wurde eine für den Kläger positive Entscheidung zu dem (früheren) § 53 Abs. 6 AuslG, dem jetzt § 60 Abs. 7 AufenthG entspricht, widerrufen. Die für den Widerruf maßgebende und auch im Widerrufsbescheid genannte Rechtsgrundlage des § 73 Abs. 3 AsylVfG (nicht, wie vom Kläger angegeben, § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) enthält, anders als § 73 Abs. 1 AsylVfG, keine weitergehenden einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen für den Widerruf und verweist insbesondere nicht auf die humanitär orientierte Zumutbarkeitsklausel des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, wonach von einem Widerruf abzusehen ist, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Dementsprechend ist bereits zweifelhaft, ob die humanitäre Härteklausel des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG im Rahmen des § 73 Abs. 3 AsylVfG überhaupt Anwendung findet (verneinend: VG Ansbach, Urteil vom 23. September 1999 - AN 17 K 99.31173 -, InfAuslR 2000, 45).

Selbst wenn angesichts dessen, dass § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG am Wortlaut des Art. 1 C Nr. 5 GK orientiert ist, und vor dem Hintergrund der humanitären Intention der Konvention von einer Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG (auch) im Rahmen des § 73 Abs. 3 AsylVfG ausgegangen wird, bedarf die als grundsätzlich bedeutsam formulierte Frage keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Sowohl dem § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG als auch dem Art. 1 C Nr. 5 GK ist die Frage immanent, ob der betroffene Ausländer noch eines asylrechtlichen Schutzes bedarf und/oder ihm die Rückkehr in den Herkunftsstaat zumutbar ist.

Ob die Voraussetzungen für den Ausnahmetatbestand des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gegeben sind und einem Rückkehrverpflichteten die Rückkehr in den Herkunftsstaat zumutbar ist, unterliegt der Tatsachenwürdigung durch den erstinstanzlichen Richter. Eine die Zulassung der Berufung rechtfertigende grundsätzliche Bedeutung zur Anwendbarkeit und Auslegung von Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wird wegen der Abhängigkeit der Frage der Zumutbarkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (u. a. Maß der Veränderung der dortigen Verhältnisse und etwaige im Hinblick auf Art und Schwere der früher erlittenen Verfolgung zu erwartende Nachwirkungen, sowie weitere den jeweiligen Rückkehrer betreffende Gesichtspunkte) insoweit nicht begründet. Angesichts dessen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nur dann zu bejahen ist, wenn die Abschiebung eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands bewirkt, d. h. zu außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen führen würde, wären in einem Berufungsverfahren vielmehr die persönlichen Umstände des Klägers in einem derart großen Ausmaß für die Anwendung von § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG maßgeblich, dass mit einer generellen Klärung der als grundsätzlich bedeutsam formulierten Frage nicht gerechnet werden kann.

Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf das Vorbringen im Zulassungsantrag, dass der Kosovo wegen des nicht auf Dauer ausgerichteten UNMIK-Mandats gekennzeichnet sei "durch einen vorübergehenden, alles andere als endgültigen Status". Nach dem Schutzzweck des Art. 1 C Nr. 5 GK, wonach internationaler Schutz nicht mehr gewährt werden soll, wo er nicht mehr erforderlich oder nicht mehr gerechtfertigt ist, weil die Gründe, die dazu führten, dass jemand ein Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen, reicht es aus, dass der Flüchtling in das Land seiner Staats- angehörigkeit zurückkehren kann und dort vor der politischen Verfolgung, deretwegen er sein Heimatland verlassen hat, hinreichend sicher ist. Dieser Schutz muss nicht notwendigerweise gerade durch die "Regierung" seines Heimatlandes (hier des serbisch-montenegrinischen Staates) gewährt werden; vielmehr reicht es aus, wenn dieser Schutz auf Grund einer UN-Resolution für eine Übergangszeit von einer von ihr legitimierten Verwaltung gewährleistet wird. Dies gilt um so mehr, wenn die "Regierung" des Heimatstaates - wie hier im Rahmen der UN-Resolution 1244 - der internationalen Präsenz ausdrücklich zugestimmt hat. Maßgeblich kommt es dementsprechend darauf an, ob dem Flüchtling in dem Land seiner Herkunft Schutz gewährt wird, nicht jedoch darauf, durch welche Schutzmacht dies geschieht (Schl.-H. OVG, Beschluss vom 3. Juni 2004 - 3 LA 3/04).