Asylanerkennung eines Angehörigen einer nicht registrierten christlichen Kirche aus China.
Asylanerkennung eines Angehörigen einer nicht registrierten christlichen Kirche aus China.
(Leitsatz der Redaktion)
Der Kläger hat einen Anspruch darauf, als Asylberechtigter anerkannt zu werden (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat glaubhaft seine Verfolgung und seine Ausreise geschildert. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich das Geschehen im Kern so abgespielt hat, wie der Kläger es geschildert hat. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Der Kläger ist nach der Überzeugung des Gerichts Anhänger einer christlichen, aber nicht registrierten Kirche.
Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger Mitglied der Glaubensgemeinschaft der "Huhanpai" ist. Die Gruppe der "Huhanpai" (Lehre der Rufer) gehört zur Gruppe der in der VR China nicht anerkannten und als Sekte eingestuften Glaubensgemeinschaften (ausführlich dazu Kupfer, "Geheimgesellschaften" in der VR China, christlich inspirierte, spirituell-religiöse Gruppierungen seit 1978, 2001, unter: www.chinapolitik.de/studien/china_analysis/geheimgesellschaften.pdf). Ihre religiösen Aktivitäten sind wegen der fehlenden Registrierung illegal und können strafrechtlich verfolgt werden (ai, Auskunft vom 26.07.2005; dagegen unergiebig: Auskunft des AA vom 14.06.2005). Auf die Verfolgung der Gruppe der Huhanpai weist der Bericht von Human Rights Watch aus 1997 ebenso hin (Bl. 75 GA) wie die Berichte über eine Verfolgung wegen Schmuggelns von Bibeln im Jahr 2002 (Bl. 79 f. GA).
Der Kläger hat auch seine Festnahme und seine Haft so geschildert, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner Angaben überzeugt ist.
Die Schilderung des Klägers erscheint angesichts der dem Gericht vorliegenden Auskunftslage zur Verfolgungssituation von Hauskirchen in der VR China plausibel:
Artikel 36 der Verfassung der VR China unterscheidet zwischen der garantierten Glaubensfreiheit und der Freiheit "normaler" Religionsausübung, die die öffentliche Ordnung, die Gesundheit der Bürger und das staatliche Erziehungssystem nicht beeinträchtigen darf. Sämtliche religiöse Aktivitäten unterliegen staatlicher Kontrolle und Genehmigung. Diese Aktivitäten dürfen nicht der Regierungspolitik in anderen Bereichen zuwiderlaufen, wie z. B. den Grundsätzen der Familienplanung oder dem Ziel der staatlichen Einheit. Die Aktivitäten müssen von ausländischer Einflussnahme unabhängig sein. Die Zahl der Gläubigen ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Die fünf offiziell anerkannten Religionen bzw. Konfessionen Taoismus, Buddhismus, Islam, Protestantismus ("Drei-Selbst-Vereinigung") und Katholizismus ("Patriotische Vereinigung") haben etwa 200 Mio. Mitglieder. Für die protestantische Kirche gibt das Auswärtige Amt an, etwa 0,8-1,2 % der Bevölkerung seien offiziell registrierte Protestanten, etwa 2,4 % bis 6,5 % gehörten Untergrundkirchen an.
Es gibt eine Reihe anerkannte chinesischer christliche Religionsgemeinschaften: die Patriotische Vereinigung der chinesischen Katholiken, den chinesischen Katholischen Bischofsrat (nicht vom Vatikan anerkannt), das Chinesische Christliche Patriotische Komitee, der "Drei-Selbst" und den Chinesischen Christlichen Verein. Im allgemeinen konzentriert sich das behördliche Vorgehen gegen Ausübungen der Religionsfreiheit vor allem auf die Fälle, die aus Sicht des Staates eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellen. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes werden Mitglieder der Kirchen in der Regel nicht wegen bloßer Mitgliedschaft und Glaubensüberzeugung verfolgt. In der Praxis bestünden aber große regionale Unterschiede im Verhalten der Behörden gegenüber religiösen Aktivitäten (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik China, Stand: Oktober 2004).
Nach Auskunft von amnesty international unterscheiden die chinesischen Behörden zwischen den registrierten Glaubensgemeinschaften und den sog. Untergrundkirchen. Glaubensgemeinschaften müssen offiziell gemeldet werden und Kontrollen des Personals, der Aktivitäten und Finanzen über sich ergehen lassen; zuständig sei das Büro für religiöse Angelegenheiten. Die einzelnen Regelungen ergeben sich aus dem Dekret 145 vom 31.01.1994 (in Englisch: Regulation Governing Venues for Religious Activities, promulgated by Decree 145 of the State Council, 31.01.1994) Für die christlichen Kirchen bedeute dies, dass nur die religiösen Aktivitäten, die im Rahmen der vom Staat registrierten und kontrollierten Organisationen stattfinden, als legitim angesehen werden. Jede Aktivität außerhalb dieser Organisationen ist illegal und kann strafrechtlich verfolgt werden. Die Registrierung wird Hauskirchen häufig verweigert. Nach Einschätzung von amnesty international habe sich die Regierung zum Ziel gesetzt, jegliche Manifestationen von Religiosität, die sich ihrer Kontrolle entziehe, zu unterdrücken. Zu diesem Zweck bediene sie sich einer entschiedenen, systematischen und harten Strafverfolgung. Bei Missachtung der Verordnungen über die religiösen Aktivitäten drohten Repressionsmaßnahmen, in schweren Fällen könnten die Betroffenen nach § 300 des chinesischen Strafgesetzbuchs verfolgt werden (ai, Auskunft an VG Bremen vom 19.04.2005).
Zum Umfang der Verfolgung gegen Hauskirchen liegen unterschiedliche Angaben vor. Nach Auskunft des AA an das VG Gießen vom 12.01.1998 gehen die Einsätze der Sicherheitsbehörden, sofern sie überhaupt gegen Hauskirchen vorgehen, dahin, dass die Versammlungen aufgelöst werden und die Behörden versuchten, den Gläubigen einen Schreck zu versetzten. Weitergehende Maßnahmen erfolgten nur, wenn die Aktivitäten der Hauskirchen als Bedrohung angesehen würden; der bloßen Existenz von Hauskirchen werde ein geringer Bedrohungsfaktor zugemessen (ebenso AA, Auskunft an das VG Oldenburg, 04.05.1999). In ähnliche Richtung deutet auch die Auskunft des AA an das VG Sigmaringen vom 28.11.2002. Danach hat ein Mitglied einer nicht anerkannten religiösen Vereinigung nur mit staatlichen Repressionen zu rechnen, wenn es seine Überzeugung in der Öffentlichkeit äußert. Andere Auskünfte betonen, wie der Lagebericht des AA vom 25.10.2004, die regional unterschiedliche Intensität der Verfolgung. Es sei lokal sehr unterschiedlich, auf welche Weise religiöse Aktivitäten geahndet werden (China-Zentrum e. V., Auskunft an das VG Stade vom 14.08.2002). Die Presse hat vereinzelt über das Vorgehen Haus- und Untergrundkirchen berichtet (FAZ, 21.11.2003; dpa, Meldung vom 30.05.2001), Berichte über das Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen protestantische religiöse Aktivitäten gibt es ebenso (NZZ, 26.02.2004). Lokale Behörden können Untergrundgottesdienste stören und die Teilnehmer bestrafen, festnehmen, schlagen oder Kirchen schließen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Gutachten vom 02.02.2005, S. 4).
Die Verfolgung verletzte das religiöse Existenzminimum des Klägers. Denn die Inhaftierung des Klägers erfolgte angesichts einer geschlossenen Versammlung von Gläubigen in einem Raum, also ohne Bezug zur Außenwelt. Auch in dieser Versammlung unter Gleichgesinnten war dem Kläger eine Ausübung seines religiösen Bekenntnisses nicht möglich, da er staatlicher Verfolgung ausgesetzt war und immerhin über einen längeren Zeitraum inhaftiert war.
Zu den Haftbedingungen in der VR China liegen dem Gericht folgende Erkenntnisse vor: Nach
Angaben des Auswärtigen Amtes sind die Strafzumessungspraxis und Haftbedingungenungemein streng. Misshandlungen von Gefangenen durch Strafvollzugs- und Sicherheitsorgane räumen auch staatliche Stellen ein. Sie werden von der chinesischen Regierung als streng verfolgte Exzesse individueller Amtsträger dargestellt. Neben der ,,normalen" Haft (Arbeitslager), die durch Gerichtsurteil angeordnet wird und deren Rechtsgrundlagen das chinesische StGB und das Strafprozessgesetz sind, gibt es auch die sog. "Administrativhaft", nach deren rechtlichen Grundlagen es möglich ist, "asoziale Elemente" ohne Gerichtsbeschluss für bis zu vier Jahre in Arbeitslager einzuweisen. Die Gefängnisse bleiben internationalen Beobachtern weitgehend verschlossen. Die Haftbedingungen werden allgemein als sehr hart beschrieben mit oftmals unzureichender Ernährung und medizinischer Betreuung (AA, Lagebericht, a. a. O., S. S. 34; Auskunft vom 05.07.1999 an das VG Leipzig). In weiteren Auskünften führt das Auswärtige Amt aus, dass Folter und andere körperliche Misshandlungen in chinesischen Gefängnissen verbreitet seien. Es werde jedoch staatlicherseits missbilligt und, soweit dies bekannt werde, auch bestraft. Das chinesische Justizwesen sei darum bemüht, Gefängnisse zu modernisieren und den Schutz der Gefangenen vor Misshandlungen zu verbessern. Körperliche Misshandlungen seien weder systematisch noch staatliche Politik. Ein gewisses Risiko körperlicher Misshandlungen in den Gefängnissen könne dennoch nicht ausgeschlossen werden (Auskunft vom 06.09.1999 an VG Gelsenkirchen; in der Sache ebenso Prof. Scherer, Universität Hamburg, Auskunft vom 06.04.2005). Bei dieser Auskunftslage muss von harten Haftbedingungen in der VR China ausgegangen werden, bei denen es auch immer wieder zu menschenrechtswidrigen Maßnahmen der Vollzugsbediensteten kommt. Angesichts dieser drohenden Gefährdung ist dem Kläger eine Rückkehr in die VR China nicht zuzumuten.