VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 13.05.2005 - 28 V 63.04 - asyl.net: M7446
https://www.asyl.net/rsdb/M7446
Leitsatz:

Kein Ehegattennachzug, wenn sich der stammberechtigte Ehegatte in Strafhaft befindet und die eheliche Lebensgemeinschaft vorher noch nicht bestand; keine Sicherung des Lebensunterhalts durch Leistungen von Dritten, auf die kein Anspruch besteht; berücksichtigt werden nur Mittel von Familienangehörigen, die in familiärer Lebensgemeinschaft mit dem Stammberechtigten leben oder leben möchten.

 

Schlagwörter: Ehegattennachzug, Türken, Freiheitsstrafe, eheliche Lebensgemeinschaft, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Lebensunterhalt, Schutz von Ehe und Familie
Normen: AufenthG § 27 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 2 Abs. 3; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Kein Ehegattennachzug, wenn sich der stammberechtigte Ehegatte in Strafhaft befindet und die eheliche Lebensgemeinschaft vorher noch nicht bestand; keine Sicherung des Lebensunterhalts durch Leistungen von Dritten, auf die kein Anspruch besteht; berücksichtigt werden nur Mittel von Familienangehörigen, die in familiärer Lebensgemeinschaft mit dem Stammberechtigten leben oder leben möchten.

(Leitsatz der Redaktion)

 

1. Der Erteilung des begehrten Visums zum Zwecke des Ehegattennachzugs steht bereits § 27 Abs. 1 AufenthG entgegen. Danach wird die auch Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Ehegattennachzugs nur zum Zwecke der Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet erteilt. Eine solche kann der Kläger - auch wenn er dies vielleicht gerne möchte - nach Einreise keinesfalls herstellen. Denn er muss nach Einreise zunächst seine Restfreiheitsstrafe von jedenfalls 203 Tagen, wie die Beigeladene zuletzt mitgeteilt hat, verbüßen. Eine eheliche Lebensgemeinschaft wird zwar durch eine unfreiwillige Trennung der Eheleute, wie etwa die Strafhaft, nur dann beendet, wenn nicht erwartet werden kann, dass die Lebensgemeinschaft nach Strafhaft fortgesetzt wird (vgl. HessVGH InfAuslR 1998, 51 f. zu § 17 Abs. 1 AuslG). Der vorliegende Fall ist jedoch anders gelagert. Hier geht es nicht um die Perpetuierung eines bestehenden Aufenthaltstitels für einen Strafgefangenen oder seinen Ehepartner während der Strafhaft, sondern um die Neuerteilung eines Aufenthaltstitels. Diese sieht das Aufenthaltsgesetz grundsätzlich nur dann vor, wenn eine dem Leitbild des Art. 6 Abs. 1 GG entsprechende eheliche Lebensgemeinschaft in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Einreise zwischen den Eheleuten hergestellt werden wird. Eine eheliche Besuchsgemeinschaft, die während der Strafhaft des Klägers allenfalls mit seiner Ehefrau bestehen könnte, entspricht diesem Leitbild nicht.

2. Der Erteilung des begehrten Visums zum Zwecke des Ehegattennachzugs steht auch § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG entgegen. Der Lebensunterhalt des Klägers ist nicht gesichert. Das wäre nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nur dann der Fall, wenn der Ausländer selbst seinen Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Der Grundfall des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG geht mithin davon aus, dass ein Ausländer grundsätzlich nur für seinen eigenen Lebensunterhalt einschließlich der Kosten ausreichenden Krankenversicherungsschutzes (Bedarf) zu sorgen hat. Gesichert ist der so verstandene Lebensunterhalt nur dann, wenn "er" - also der Ausländer selbst - ihn "bestreiten kann". Aus dem Satzteil "er" läßt sich nun folgern, dass es nur auf diejenigen Mittel ankommen kann, die dem Ausländer selbst im Sinne eines subjektiven Rechts zustehen (eigene Mittel). Denn er selbst kann seinen Lebensunterhalt nur aus demjenigen bestreiten, was auch ihm selbst zusteht; über das er im bürgerlich-rechtlichen Sinne verfügen kann. "Bestreiten kann" der Ausländer seinen Lebensunterhalt aus seinen eigenen Mitteln nur dann, wenn sie den Bedarf wenigstens erreichen (quantitative Lebensunterhaltssicherung) und überdies zu erwarten ist, dass das aktuelle Niveau an eigenen Mitteln in absehbarer Zeit den Bedarf nicht unterschreiten wird (qualitative Lebensunterhaltssicherung).

§ 2 Abs. 3 Satz 3 AufenthG modifiziert die in § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG enthaltene Grundregel in mehrerlei Hinsicht. Nach der Vorschrift werden bei Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt. Die Vorschrift erfasst also Fälle in denen der Ausländer, um dessen gesicherten Lebensunterhalt es geht, entweder bereits in einer familiären Lebensgemeinschaft im Sinne des § 27 Abs. 1 AufenthG lebt oder aber die Herstellung einer solchen im Bundesgebiet anstrebt. Die Vorschrift erweitert die sicherungsfähigen eigenen Mittel im Sinne der obigen Grundregel um Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen. Sie ist aber nicht dahingehend zu verstehen, wie der Kläger dies offenbar möchte, dass jeder Betrag, den ein noch so entfernter Verwandter des Ausländers diesem faktisch zukommen läßt, zu berücksichtigen ist. Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ist vielmehr nur derjenige Verwandte, der bereits mit dem Ausländer in ehelicher oder familiärer Lebensgemeinschaft lebt bzw. dies als Ergebnis eines Nachzugsverfahrens tun möchte. Das folgt zum einen aus dem Wortlaut aber auch aus dem von der Vorschrift vorausgesetzten Zusammenhang mit der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug. Es folgt aber auch aus dem Begriff des "Beitrags zum Haushaltseinkommen". Beiträge zum Haushaltseinkommen leisten dem natürlichen Wortverständnis nach nur Haushaltsangehörige.

Der Berücksichtigung von Beiträgen von Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen auf der Einnahmeseite entspricht es, den zu sichernden Bedarf im Sinne der obigen Grundregel aus dem Bedarf aller Haushaltsangehörigen zu berechnen mit denen der Ausländer in ehelicher oder familiärer Lebensgemeinschaft lebt bzw. leben möchte. Letztlich ordnet § 2 Abs. 3 Satz 3 AufenthG mithin an, dass für die Entscheidung über die Frage, ob der Lebensunterhalt eines Ausländers, der in einer ehelichen oder familiären Lebensgemeinschaft lebt bzw. leben möchte, sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite auf alle Mitglieder dieser Lebensgemeinschaft abzustellen ist.