LG Ingolstadt

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Zitieren als:
LG Ingolstadt, Beschluss vom 25.07.2005 - 1 T 1113/05 - asyl.net: M7457
https://www.asyl.net/rsdb/M7457
Leitsatz:

Eine fehlende Anhörung in Abschiebungshaftsachen kann nicht durch die nachträgliche Anhörung geheilt werden; es liegt keine ausreichende Begründung eines Haftbeschlusses vor, wenn nicht deutlich wird, auf welchen Haftgrund die Haftanordnung gestützt wird.

 

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Anhörung, Amtsgericht, Haftbefehl, Heilung, Verfahrensmangel, Sachaufklärungspflicht, Begründung
Normen: FreihEntzG § 5 Abs. 1 S. 1; FreihEntzG § 5 Abs. 2; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5
Auszüge:

Eine fehlende Anhörung in Abschiebungshaftsachen kann nicht durch die nachträgliche Anhörung geheilt werden; es liegt keine ausreichende Begründung eines Haftbeschlusses vor, wenn nicht deutlich wird, auf welchen Haftgrund die Haftanordnung gestützt wird.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen hin war die Rechtswidrigkeit der beiden amtsgerichtlichen Beschlüsse festzustellen. Insoweit ist erläuternd vorab darauf hinzuweisen, dass das Amtsgericht Ingolstadt - offenbar versehentlich - zwei Beschlüsse erlassen hat, nämlich einen am 04.05.2005 (Bl. 6/8 d.A.) und einen weiteren nach der mündlichen Anhörung des Betroffenen am 09.05.2005 (Bl. 33 d.A), wobei dem letztgenannten Beschluss jede Begründung fehlt. Zu diesen beiden Beschlüssen ist folgendes auszuführen:

1. Amtsgerichtlicher Beschluss vom 04.05.2005 (Bl. 6/8 d.A.):

Dieser Beschluss wurde auf Antrag des Landratsamts Eichstätt vom 04.05.2005 noch am gleichen Tage ohne jegliche mündliche Anhörung oder sonstige Anhörung des Betroffenen bzw. seiner Eltern erlassen. Es ist aus den Akten nicht einmal der Versuch erkennbar, eine Anhörung durchzuführen. Darüberhinaus ist weder aus den Akten noch aus der Begründung des Beschlusses ersichtlich, warum eine mündliche Anhörung unterblieben ist.

Insoweit liegt ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (Unverletzlichkeit der Freiheit der Person) vor. Zu den Verfahrensgarantien, die Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht, gehört die in § 5 Abs. 1 Satz 1 FreihEntzG statuierte richterliche Pflicht, den betroffenen Ausländer vor Anordnung der Abschiebungshaft grundsätzlich mündlich anzuhören (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.03.1996, Az.: 2 BvR 927/95, veröffentlicht u.a. in InfAuslR 1996, Seite 198 ff sowie BayObLG Z 1999, S. 12 ff).

Die nachträgliche Anhörung des Betroffenen am 09.05.2005 vermag diesen Verfahrensverstoß nicht mit Wirkung für die Vergangenheit zu heilen. Verstößt ein Richter gegen das Gebot vorheriger mündlicher Anhörung, so drückt dieses Unterlassen der gleichwohl angeordneten Abschiebungshaft den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf, der auch durch die Nachholung der Anhörung rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist. Das Unterlassen der mündlichen Anhörung stellt mithin eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht dar (§ 3 FreihEntzG i.V.m. § 12 FGG). Der Richter darf sich bei der Anordnung der Freiheitsentziehung nicht auf die Prüfung der Plausibilität der von der antragstellenden Behörde vorgetragenen Gründe für die Abschiebungshaft beschränken, sondern muss eigenverantwortlich die Tatsachen feststellen, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen. Hierfür ist die persönliche Anhörung des Betroffenen ein geeignetes Mittel und auch - von den oben dargestellten Ausnahmefällen abgesehen - stets notwendig (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.03.1996, a.a.O.).

2. Amtsgerichtlicher Beschluss vom 09.05.2005 (Bl. 33 d.A.):

Soweit dieser Beschluss vom 09.05.2005 als eigenständiger Beschluss anzusehen ist, kann von einem der Begründungspflicht genüge leistenden Beschluss nur die Rede sein, wenn man davon ausginge, dass dem neu gefassten Beschluss die gleiche Begründung zugrunde liegen solle, wie dem Beschluss vom 04.05.2005.

In diesem Falle ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die eigenständige Begründung des Beschlusses lediglich darin besteht, das Antragschreiben des Landratsamtes Eichstätt vom 04.05.2005 zu kopieren und dem Tenor anzuheften. Selbst wenn dies eine eigenständige Begründung des Erstgerichts darstellen sollte, ist diese Begründung fehlerhaft. So kann gem. § 62 Abs. 2 AufenthG gegen einen Ausländer Sicherungshaft angeordnet werden, wenn eine der unter den Ziffern 1 bis 5 angeführten Voraussetzungen erfüllt ist. Weder aus dem Tenor noch aus dem Begründungstext ist jedoch ersichtlich, welche dieser 5 Ziffern des § 62 Abs. 2 AufenthG erfüllt sein soll. Im Gegenteil ist die Begründung höchst widersprüchlich. Während unter Ziffer III. der "Gründe" im ersten Satz auf § 62 Abs. 2 AufenthG (ohne Nennung einer Ziffer) Bezug genommen wird, findet sich im 2. Satz der Hinweis, dass Abschiebungshaft angeordnet werden dürfe, wenn zu erwarten sei, "dass die Abschiebung des Ausländers ohne seine Inhaftierung wesentlich erschwert oder vereitelt würde". Dies wäre aber die dem Gesetzestext des § 62 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entsprechende Begründung für die Anordnung einer sogenannten "Vorbereitungshaft".