BVerfG

Merkliste
Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 - 2 BvR 524/01 - asyl.net: M7471
https://www.asyl.net/rsdb/M7471
Leitsatz:

Mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ist es nicht vereinbar, die erleichterte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ein im Bundesgebiet geborenes Kind allein an den Aufenthaltstitel der Mutter, nicht hingegen auch des Vaters zu knüpfen.

 

Schlagwörter: in Deutschland geborene Kinder, Mutter, Vater, Gleichheitsgrundsatz, Verfassungsmäßigkeit, Geschlecht, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung
Normen: GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 3 S. 1; AuslG § 21; AufenthG § 33
Auszüge:

Mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ist es nicht vereinbar, die erleichterte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ein im Bundesgebiet geborenes Kind allein an den Aufenthaltstitel der Mutter, nicht hingegen auch des Vaters zu knüpfen.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG war mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar, soweit danach ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Anknüpfung an den Vater ausgeschlossen ist, weil einem Kind, das im Bundesgebiet geboren wird, eine Aufenthaltserlaubnis ausschließlich dann zu erteilen ist, wenn die Mutter eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitzt.

2. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Regelung stellt die im Bundesgebiet geborenen ausländischen Kinder, deren Mutter eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung hat, gegenüber denjenigen besser, bei denen allein der Vater einen entsprechenden ausländerrechtlichen Status hat. Darin liegt eine Bevorzugung wegen des Geschlechts im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Diese Differenzierung ist nicht gerechtfertigt.

a) § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG differenziert zwischen beiden Elternteilen. Nur in Anknüpfung an die Mutter besteht ein gebundener Anspruch ohne weitere Voraussetzungen. Im Hinblick auf den Vater bleibt es hingegen bei den Vorschriften der §§ 17 ff. AuslG, insbesondere der Regelung des Kindernachzugs in § 20 AuslG. Angeknüpft wird mithin an das Geschlecht eines Elternteils; die Vater-Kind-Beziehung wird benachteiligt. Die nunmehr geltende Regelung des § 33 Satz 1 AufenthG entspricht § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG und führt diese Benachteiligung fort.

Die Anknüpfung an den aufenthaltsrechtlichen Status der Mutter führt zu einer gewichtigen Bevorzugung gegenüber anderen minderjährigen Ausländern, namentlich solchen im Bundesgebiet geborenen, deren Vater eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und deren Mutter - aus welchen Gründen auch immer - kein Aufenthaltsrecht vermitteln kann. Der Aufenthalt des Kindes wird von Geburt an ohne weitere Prüfung von Amts wegen legalisiert. Der Anspruch auf erstmalige Erteilung einer Aufenthalterlaubnis nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG besteht, solange das Kind minderjährig ist und der entsprechende Status der Mutter andauert.

Die Privilegierung dieser Kinder ist nicht beschränkt auf die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von Amts wegen im Anschluss an die Geburt. Sie erstreckt sich vielmehr auch auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Gemäß § 21 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AuslG ist die Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, solange die Mutter oder der allein personenberechtigte Vater - der Vater wird wiederum anders behandelt als die Mutter - eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung besitzt. Die Verlängerung erfolgt zwar nach Maßgabe des § 17 AuslG, jedoch kommt es nicht darauf an, ob ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht und der Lebensunterhalt gesichert ist. Die aufenthaltsrechtlichen Nachteile für das im Bundesgebiet geborene Kind, bei dem lediglich der Vater im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung ist, setzen sich somit bis zum Erwerb eines eigenständigen Aufenthaltsrechts fort.

bb) Dass § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG nicht die Rechtsverhältnisse der Eltern selbst, sondern das Aufenthaltsrecht der Kinder in Abhängigkeit vom Geschlecht der Eltern unterschiedlich regelt, hindert nicht, die Vorschrift an Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu messen. Zum einen ist entscheidend, ob die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale Anknüpfungspunkt für differenzierende Regelungen sind. Daher kann eine gemäß Art. 3 Abs. 3 GG unzulässige Differenzierung, von der Rechtspositionen Dritter abhängen, von diesen jedenfalls als Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) geltend gemacht werden. Zum anderen ist die durch Art. 6 GG geschützte Eltern-Kind-Beziehung zu berücksichtigen. Regelungen über das Aufenthaltsrecht des Kindes betreffen angesichts der grundrechtlich geschützten wechselseitigen familiären Bindungen sowohl die Elternteile als auch das Kind. Insoweit sind die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und des Art. 6 GG in besonderer Weise verbunden und Differenzierungen im Aufenthaltsrecht der Kinder nach dem Geschlecht der Eltern anhand des speziellen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu beurteilen (vgl.BVerfGE 37, 217 <244 ff.>).

b) Die Bevorzugung der Kinder, deren Mutter eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitzt, gegenüber Kindern in vergleichbarer Lage, jedoch ohne Möglichkeit, an ein Aufenthaltsrecht des Vaters anzuknüpfen, ist vor Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zu rechtfertigen.

aa) Die in der angegriffenen Vorschrift vorgesehene Differenzierung ist zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, nicht zwingend erforderlich.

§ 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG enthält keine Regelung zum Schutz der Mutter-Kind-Beziehung, so dass hier nicht über die sachliche und zeitliche Reichweite dieses Differenzierungsgrundes zu befinden ist.

Nach Gegenstand und Zielsetzung der gesetzlichen Regelung ist deren Anknüpfung ausschließlich an das Aufenthaltsrecht der Mutter, wenn überhaupt, so jedenfalls nicht zwingend erforderlich. Eine Gleichbehandlung beider Elternteile ist ohne Weiteres möglich. Der zu ordnende Lebenssachverhalt - der Aufenthaltsstatus des Kindes - betrifft Vater und Mutter in gleicher Weise. Die Erwägung, die Mutter - insbesondere während des Kleinst-, aber auch des Kleinkindalters - von der Erfüllung ausländerrechtlicher Verpflichtungen zu entlasten, geht fehl, weil dieser Effekt auch bei Anknüpfung an das Aufenthaltsrecht des Vaters erzielt würde.

bb) Das Aufenthaltsrecht des Kindes (auch) von dem des Vaters abzuleiten, stößt ferner nicht auf unüberwindbare praktische Schwierigkeiten, so dass auch von daher die Anknüpfung an das Aufenthaltsrecht der Mutter nicht zwingend erforderlich ist. Die Annahme, Väter, die in Deutschland ein Aufenthaltsrecht haben, seien typischerweise nicht erreichbar, wäre offensichtlich verfehlt. Die mögliche Erwägung, das Aufenthaltsrecht des Kindes bedürfe schneller und einfacher Klärung und deshalb sei allein auf die Mutter abzustellen, hat im Gesetz keinen Niederschlag gefunden und trägt auch in der Sache nicht. Für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG besteht kein zeitlicher Rahmen. Zudem mag das Ziel, den Aufenthalt des Kindes rasch und möglichst rechtssicher zu regeln, zwar unter Zweckmäßigkeitsaspekten berechtigt sein, einen zwingenden Grund für eine geschlechtsspezifische Differenzierung stellt es indes nicht dar. Überdies bedarf die Erfüllung der Passpflicht, von der die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG abhängt (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 AuslG), nicht selten geraumer Zeit sowie eines Tätigwerdens der Eltern als gemeinschaftliche Vertreter des Kindes (vgl. § 68 Abs. 4 AuslG).

cc) Die Ungleichbehandlung ist auch nicht auf Grund einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht gerechtfertigt.

(1) Das durch Art. 6 GG in verschiedenen Ausprägungen gewährleistete Kindeswohl verlangt nicht, dass das Kind aufenthaltsrechtlich ausschließlich der Mutter zugeordnet wird.

Im Gegenteil stehen der in § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG vorgenommenen Differenzierung die verfassungsgestützen Wertungen des Familienrechts entgegen. Leitbild des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist eine Gleichberechtigung beider Elternteile (vgl.BVerfGE 10, 59 67>; 37, 217 250 f.>; 47, 85 100>; 55, 171 ff.; 84, 168 178 ff.>; 92, 158 176 ff.>; 99, 145 164>; 108, 82 101>). Mit dem Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2942 ) hat der Gesetzgeber verdeutlicht, dass die gemeinsame Sorge beider Elternteile für das Kind der Regelfall sein soll und Umgangsrechte und -pflichten im Hinblick auf beide Elternteile bestehen. Gestärkt wurden sowohl die kindlichen Interessen am Schutz der Beziehung zu beiden Elternteilen als auch die gemeinsame elterliche Verantwortlichkeit für das Kind. Zugleich wurde eine rechtliche Aufwertung und Festigung des Verhältnisses zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater angestrebt (vgl. BTDrucks 13/4899 S. 1, 29 f., 63 f.).

Vor diesem Hintergrund kann die besonders geschützte Mutter-Kind-Beziehung nicht - auch nicht im Hinblick auf deren typischerweise intensivste Phase unmittelbar nach der Geburt - eine generelle und auf Dauer wirkende Benachteiligung des Vaters im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsrecht des Kindes rechtfertigen. Wenn der Gesetzgeber für das erleichterte Aufenthaltsrecht des Kindes allein auf den Aufenthaltsstatus der Mutter abhebt, vernachlässigt er sowohl die Sorgerechtslage als auch die tatsächlichen Lebensverhältnisse der Familien, die häufig von gemeinsamer Sorge und häufiger als früher sogar von einer vorrangigen oder ausschließlichen Betreuung des Kindes durch den Vater geprägt sind (zu vergleichbaren Erwägungen in Bezug auf den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit VerfGE 37, 217 244 ff.>).

(2) Allerdings ist der Gesetzgeber befugt, bei der Ausgestaltung der konkreten Rechte beider Elternteile die unterschiedlichen tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen (vgl. näher VerfGE 107, 150 169 ff.> ). Für die Frage der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an ein in Deutschland geborenes Kind bedeutet dies, dass es zulässig sein könnte, an das Aufenthaltsrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes nur dann anzuknüpfen, wenn ihm ein Sorgerecht zusteht oder er in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem Kind lebt. Auch dies rechtfertigt aber nicht die alleinige, voraussetzungslose und dauerhafte Anknüpfung an den Status der Mutter für die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

§ 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG war mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar, soweit er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Anknüpfung an das Aufenthaltsrecht des Vaters ausschließt. Die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz erfasst auch die an § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG anschließenden Regelungen der Sätze 2 und 3. Aus denselben Gründen sind auch § 31 Abs. 2 AuslG und § 33 Satz 1 AufenthG mit dem Grundgesetz unvereinbar; der Entscheidungsausspruch ist auf diese Vorschriften zu erstrecken (§ 78 Satz 2 BVerfGG). Der Gesetzgeber ist gehalten, den Gleichheitsverstoß bis zum 31. Dezember 2006 zu beheben. Bis dahin können die genannten Bestimmungen zugunsten von Kindern, die ein Aufenthaltsrecht von der Mutter ableiten, weiter angewandt werden. Entscheidungen über Anträge, die an das Aufenthaltsrecht des Vaters anknüpfen, sind auszusetzen.