OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 02.11.2005 - A 1 B 492/03 - asyl.net: M7483
https://www.asyl.net/rsdb/M7483
Leitsatz:

Sikhs aus dem Punjab, die mit friedlichen Mitteln für einen von Indien unabhängigen Staat Khalistan eintreten, steht auch nach Auslandsaktivitäten für die International Sikh Youth Federation - ISYF - seit spätestens Mitte 2001 eine erreichbare und zumutbare inländische Fluchtalternative offen.

 

Schlagwörter: Indien, interne Fluchtalternative, Erreichbarkeit, Punjab, Haryana, Uttar Pradesh, Himachal Presh, Separatisten, Sikhs, SSF, Freizügigkeit, Versorgungslage, Gruppenverfolgung, religiös motivierte Verfolgung, Situation bei Rückkehr, exilpolitische Betätigung, ISYF, Überwachung im Aufnahmeland, Antragstellung als Asylgrund
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Sikhs aus dem Punjab, die mit friedlichen Mitteln für einen von Indien unabhängigen Staat Khalistan eintreten, steht auch nach Auslandsaktivitäten für die International Sikh Youth Federation - ISYF - seit spätestens Mitte 2001 eine erreichbare und zumutbare inländische Fluchtalternative offen.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

a) Der Kläger ist bereits nicht vorverfolgt ausgereist. Denn ihm stand bei seiner Mitte April 2001 erfolgten Ausreise ungeachtet einer etwaigen regionalen Vorverfolgung zumindest eine inländische Fluchtalternative außerhalb des Punjab und der angrenzenden Bundesstaaten (Haryana, Uttar Pradesh, Himachal Presh) sowie der Hauptstadt Neudelhi insbesondere im Süden des Landes offen.

Dies ergibt sich aus der Entwicklung des Konflikts um den Punjab bis zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers. Zwar ist auch für das Jahr 2001 davon auszugehen, dass die Einheit Indiens vom Staat konpromisslos verteidigt und separatistische Bewegungen auch im Punjab gegebenenfalls mit Waffengewalt bekämpft wurden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 5). Selbst die unmittelbar im Gebiet des Punjab entstandenen Unruhen haben sich aber bereits vor dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001 gelegt und die Menschenrechtslage eine entsprechende Entspannung erfahren (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 15; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.1.2004 an das VG Sigmaringen; Bericht des Südasien-Instituts, Abteilung Rechtswissenschaft, vom 26.4.2004 an das VG Gelsenkirchen, dort unter 3.).

Allerdings kam es trotz der Beruhigung der Konfliktregion Punjab auch im Jahr 2001 zu Repressionen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 8). Insbesondere waren junge Männer, die der Sikh-Religion angehörten, im Rahmen des fortgeführten Kampfes der Polizei gegen den Terrorismus dem Risiko willkürlicher Verhaftung ausgesetzt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 15). Separatistische Bewegungen wurden auch strafrechtlich verfolgt, wobei es zu Benachteiligungen in Form härterer Strafen für politisch motivierte Straftäter kam (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 8). Die SSF, in der der Kläger nach seinem Vorbringen Kassierer war, gehörte auch zu den bekanntesten für die Unabhängigkeit des Punjab von Indien eintretenden Oppositionsgruppen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8.5.2001, S. 8).

Jedoch bestand danach, selbst wenn diese Situation als eine Gruppenverfolgung von (insbesondere jungen männlichen) Sikhs oder Mitgliedern der SSF zu bewerten oder der Kläger im Punjab individuell verfolgt gewesen wäre (für die Zeit bis 1991 verneinend ThürOVG, Urt, v. 29.3.2001 - 3 KO 827/98 -, InfAuslR 2002, 154), lediglich eine regional auf das Unruhegebiet begrenzte Bedrohungslage. Dem Kläger war im Süden seines Heimatstaates eine Zuflucht eröffnet, wo er vor weiterer politischer Verfolgung hinreichend sicher war und ihm, beachtlich wahrscheinlich, auch keine sonstigen unzumutbaren Nachteile drohten, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylrechtlich erheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung durch politische Verfolgung gleichkämen und am Herkunftsort so nicht bestanden hätten (vgl. zu § 51 AuslG BVerwG, Urt. v. 5.10.1999 - 9 C 15/99 -, NVwZ 2000, 332 f, zu Art. 16a GG BVerwG, Urt. v. 8.12.1998 - 9 C 177/98 -; BVerfG, Beschl. v. 29.7.2003 - 2 BvR 32/03 -, DVB1 2004, 111 f). Ebensowenig war sein wirtschaftliches und soziales Existenzminimum dort weitergehend als im Punjab gefährdet.

Die Gebiete außerhalb des Punjab waren im Übrigen für den Kläger im Jahr 2001 entgegen seiner Auffassung erreichbar. Hierfür spricht schon der Umstand seiner eigenen gelungenen Ausreise aus dem Punjab in das südwestlich - jenseits weiterer indischer Gebiete - gelegene Nepal. Der Kläger hatte auch infolge der je nach Reiseweg vermeidbaren und im Übrigen weitgehend nicht computergestützten Kontrollen keine Verhaftung zu befürchten. In Indien ist - außer beim Zentralen Ermittlungsbüro, einer Zentralbehörde ähnlich dem deutschen BKA, bei dem jedoch keine Zugriffsrechte anderer Sicherheits- oder Polizeibehörden bestehen - kein einheitliches, flächendeckendes Fahndungssystem mit systematischer Datenerhebung sowie Datenaustausch vorhanden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.1.2004 an das VG Sigmaringen). Es besteht auch keine allgemeine Ausweispflicht. Tatsächlich kann sich eine Person in andere indische Landesteile absetzen, ohne in jedem Fall mit einer staatlichen Verfolgung rechnen zu müssen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2005, S. 18; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15.1.2004 an das VG Sigmaringen).

b) Für den Fall der Rückkehr des Klägers besteht auch aktuell keine beachtliche Wahrscheinlichkeit seiner Verfolgung.

Der Kläger hat nach den aktuellen Verhältnissen insbesondere weder wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Sikh noch wegen der Befürwortung eines freien Khalistan im Rahmen seiner Mitgliedschaft und der ausgeübten Aktivitäten in der SSF oder der ISYF landesweite Verfolgung zu befürchten.

Das staatliche Verfolgungsinteresse ist mit dem Zeitablauf weiter gesunken.

Im Übrigen rechtfertigen auch die Asylantragstellung des Klägers und sein mehrjähriger Aufenthalt in Deutschland nicht die Annahme, er werde bei einer Rückkehr nach Indien einer politischen Verfolgung ausgesetzt sein.