VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 15.11.2005 - 12 K 114/05.A - asyl.net: M7526
https://www.asyl.net/rsdb/M7526
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Baath, Mitglieder, nichtstaatliche Verfolgung, Racheakte, interne Fluchtalternative, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Sicherheitslage, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Kriminalität, Terrorismus
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - zum 01.01.2005 zutreffend auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG gerichtete Klage bleibt ohne Erfolg.

Dafür, dass dem Kläger von der derzeitigen irakischen Regierung Verfolgungsmaßnahmen allein deshalb drohen würden, weil ihm in der Regierungszeit von Saddam Hussein angeblich der Vorwurf gemacht worden sei, einem Offizier der irakischen Armee zur Flucht in den Iran verholfen zu haben, spricht nichts.

Ebenso wenig ist feststellbar, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak auf Grund seiner angeblichen Mitgliedschaft in der Baath-Partei oder seiner früheren Dienstzeit in der irakischen Armee staatliche Verfolgung befürchten müsste. Insbesondere die Mitgliedschaft in der am 16.04.2003 aufgelösten Baath-Partei war ein Massenphänomen im Irak; sie war notwendig, um eine Arbeit zu finden bzw. einigermaßen unbehelligt zu leben und ein Muss für jeden, der irgendeine höhere Position erreichen wollte. Allein die Mitgliedschaft in derselben ist daher kein Grund für die Befürchtung einer nachwirkenden Verfolgung. Ganz im Gegenteil versucht die irakische Regierung, sich die Sachkunde von Funktionären des gestürzten irakischen Regimes zu Nutze zu machen (vgl. dazu Deutsches Orient-Institut, Gutachten an VG Karlsruhe vom 18.10.2004, an VG Münster vom 02.02.2004 und an VG Regensburg vom 27.10.2003; ferner Hajo/Savelsberg, Gutachten an VG Köln vom 17.12.2004).

Von daher ist weder annehmbar, dass dem Kläger wegen seiner angeblichen Mitgliedschaft in der Baath-Partei noch auf Grund seiner früheren Dienstzeit in der irakischen Armee staatliche Verfolgungsmaßnahmen drohen.

Darüber hinaus ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit politischer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure rechnen muss. Als ehemaliges Mitglied der Baath-Partei wäre eine diesbezügliche Gefährdung des Klägers allenfalls dann denkbar, wenn er sich insoweit konkreter Grausamkeiten schuldig gemacht hätte oder dieser konkret verdächtigt würde (vgl. dazu Deutsches Orient-Institut, Gutachten an das erkennende Gericht vom 20.12.2002 sowie an VG Düsseldorf vom 14.06.2005; ferner Hajo/Savelsberg, Gutachten an VG Köln, vom 17.12.2004).

Die weitere Befürchtung des Klägers, bei einer Rückkehr in den Irak Racheakten von Seiten der Familienangehörigen einer Frau ausgesetzt zu sein, mit der er vor seiner Ausreise aus dem Irak eine außereheliche Beziehung gehabt habe, vermag die Annahme einer Verfolgung aus politischen Gründen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil etwaige private Racheakte ersichtlich nicht an asylerhebliche unverfügbare Merkmale wie etwa politische Überzeugung, Religion oder Rasse anknüpften.

Schließlich kann der Kläger auch nicht die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen.

Dabei kann dahinstehen, ob eine Rückkehr des Klägers zu seiner Familie in den Irak und in seinen Heimatort auf Grund der ihm gegenüber angeblich erklärten Tötungsabsicht der Familie der Frau, mit der er vor seiner Ausreise eine außereheliche Beziehung gehabt haben will, mit erheblichen Gefahren für Leib und Leben verbunden wäre. Denn die Kammer hält es nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger vor etwaigen Racheakten von Angehörigen dieser Familie auch landesweit bedroht ist, was aber für die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Voraussetzung wäre. Dem Kläger ist es vielmehr unbenommen, in einer anderen Region des Irak als seiner Heimatregion Wohnsitz zu nehmen. Dass dem Kläger eine Wohnsitznahme in anderen Teilen des Iraks nicht möglich wäre, ist für die Kammer nicht erkennbar, auch wenn die Niederlassung in einer Region, in der der Kläger über keine verwandtschaftlichen Kontakte bzw. Bekannte verfügt, unter wirtschaftlichen Aspekten schwierig sein mag.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich für den Kläger schließlich auch nicht aus der angespannten Sicherheitslage im Irak, da insoweit die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entgegensteht.

Davon, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak landesweit einer derart extremen Gefährdungslage ausgesetzt sein könnte, kann indes nicht ausgegangen werden.