VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 13.09.2005 - 2 K 1577/05 - asyl.net: M7544
https://www.asyl.net/rsdb/M7544
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Abschiebung, Folgenbeseitigungsanspruch, Schutz von Ehe und Familie, Deutschverheiratung, Treu und Glauben, Bundesamt, Ausländerbehörde
Normen: VwGO § 123; GG Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 8; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

Mit dem vorliegenden Antrag begehrt der Antragsteller (sachdienlich ausgelegt), dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die am 12.07.2005 vollzogene Abschiebung rückgängig zu machen. Dieser Antrag ist zulässig und auch begründet.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Sache nach macht er einen Folgenbeseitigungsanspruch geltend. Der in § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO vorausgesetzte Folgenbeseitigungsanspruch, der verfassungsrechtlich verankert ist (etwa Art. 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 GG und Grundrechte, vgl. BVerwG, Urt. 26.08.1993, BVerwGE 94, 100, und 23.05.1989, BVerwGE 82, 76) und als allgemeiner Rechtsgedanke in mehreren Schadensersatzansprüchen bei Vollstreckung nachträglich aufgehobener Titel zum Ausdruck kommt (etwa §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO), erfasst die rechtswidrigen Folgen einer Amtshandlung der vollziehenden Gewalt (grundsätzlich: BVerwG, Urt. v. 19.07.1984, BVerwGE 69, 366). Er zielt auf die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes, der ohne den rechtswidrigen Eingriff unverändert bestünde, knüpft also nicht an die Rechtswidrigkeit des Eingriffsakts als solchen an, sondern an die Rechtswidrigkeit des dadurch geschaffenen Zustands, der sich wieder mit der Rechtslage decken soll (BVerwG, Urt. v. 23.05.1989, a.a.O.). Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass durch seine Abschiebung ein noch andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.09.1988, BVerwGE 80, 178) und ihm deshalb ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folge der Vollziehung (sog. Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch) zusteht.

Der Antragsteller ist zwar aus dem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes vom 03.11.1999 vollziehbar ausreisepflichtig. Er macht jedoch geltend, dass seine am 19.04.2001 erfolgte Heirat mit einer inzwischen deutschen Staatsangehörigen (die Einbürgerung der Ehefrau erfolgte am 12.03.2003) ein aus Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK herzuleitendes Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 AufenthG begründe. Die Kammer braucht nicht zu entscheiden, ob dieser Einwand durchgreift. Bei der Gewichtung der nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange des Ausländers im Hinblick auf die rechtliche Zulässigkeit der zwangsweisen Beendigung einer im Bundesgebiet geführten familiären Lebensgemeinschaft ist maßgeblich zu berücksichtigen, ob nach den einschlägigen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes über den Familiennachzug eine Zuwanderung ermöglicht werden soll. Liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht vor (vorliegend steht wegen einer 1998 erfolgten Abschiebung des Antragstellers in die Tschechische Republik der besondere Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG entgegen), kann nicht ohne weiteres durch Annahme einer aus Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK hergeleiteten rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung der weitere Aufenthalt erreicht werden. Der dem § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG zugrunde liegende öffentliche Belang vermag allerdings im Einzelfall den verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Familienschutz nicht zu überwinden mit der Folge, dass zumindest Anspruch auf Erteilung einer Duldung besteht, wenn nicht, was vorrangig ins Auge zu fassen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.06.1997 - 1 C 9.55 -, BVerwGE 105, 35), die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht kommt. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass selbst eine vorübergehende Trennung der Familienangehörigen unzumutbar erscheint. Ob dies vorliegend der Fall ist, kann dahingestellt bleiben, denn die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht des Antragstellers erscheint im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung aus anderen Gründen als rechtswidrig; der Antragsteller konnte sich nach dem Verhalten der zuständigen Behörden und der von diesen abgegebenen verbindlichen Erklärungen darauf verlassen, dass er nicht zwangsweise abgeschoben werden würde, die dennoch durchgeführte Abschiebung verstieß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Der Antragsteller hat am 13.08.2001 einen (zweiten) Asylfolgeantrag gestellt, nachdem ihm von der zuständigen Ausländerbehörde (wegen der 1998 erfolgten Abschiebung) trotz der im April 2001 erfolgten Heirat mit einer - damals - asylberechtigten Staatsangehörigen von Serbien und Montenegro keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war. Das Bundesamt hat mit Bescheid vom 10.04.2002 die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sowie die Abänderung seines Bescheides vom 03.11.1999 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG abgelehnt. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben (Verfahren A 2 K 11018/02). Ausweislich der Niederschrift über die in diesem Verfahren am 04.03.2004 stattgefundene mündliche Verhandlung, bei der das Bundesamt durch eine Regierungsrätin vertreten war, bestand zwischen den Beteiligten Einigkeit, "dass im Hinblick hierauf (gemeint ist die am 12.03.2003 erfolgte Einbürgerung der Ehefrau des Antragstellers) eine Abschiebung des Klägers nicht in Betracht kommt...." Die Beklagten-Vertreterin erklärte, dass sie eine Kopie der (vom Einzelrichter während der mündlichen Verhandlung telefonisch angeforderten und dann auch per Fax durch den nicht anwesenden Prozessbevollmächtigten des Antragstellers übersandten) Einbürgerungsurkunde an die zuständige Abschiebestelle (LAST) senden werde. "Der Kläger müsse dann eine Abschiebung nicht mehr befürchten." Die Beteiligten haben hierauf übereinstimmend das Ruhen des Verfahrens beantragt, das vom Gericht noch in der mündlichen Verhandlung angeordnet worden ist. Der Antragsteller durfte sich darauf verlassen, dass das Bundesamt der Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge - ausländerrechtlicher Teil - LAST (= Vertreter des Antragsgegners im vorliegenden Verfahren), die gem. § 6 Abs. 1 und 2 der Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz und dem Asylverfahrensgesetz sowie über die Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer (Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZuVO -) vom 11.01.2005 für Maßnahmen und Entscheidungen zur Beendigung des Aufenthalts abgelehnter Asylbewerber zuständig ist (insbesondere Organisation und Durchführung der Abschiebung sowie Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz), eine entsprechende Mitteilung machen würde. Mit seiner Abschiebung hätte er somit nur dann rechnen müssen, wenn ihm die LAST ausdrücklich mitgeteilt hätte, dass sie sich an die Erklärung des Bundesamtes nicht gebunden fühle. Dies ist nicht geschehen. Vielmehr hat das Bundesamt in dem Verfahren A 2 K 11018/02 mit Schriftsatz vom 05.08.2004 nochmals mitgeteilt, dass die Heirat mit der deutschen Staatsangehörigen zu einem Vollstreckungshindernis nach Art. 6 GG führe. Der (inzwischen neue) Einzelrichter in diesem Verfahren hat dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers diesen Schriftsatz mit Verfügung vom 05.08.2004 weitergeleitet und um Mitteilung gebeten, ob die Klage zurückgenommen werde, damit dem Antragsteller wegen § 11 AuslG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könne. Wegen des sich aus Art. 6 I GG ergebenden Vollstreckungshindernisses drohe ihm trotz Rücknahme der Klage keine Abschiebung. Daraufhin hat der Antragsteller die Asylklage zurückgenommen. In der Folgezeit sind dem Antragsteller - wie auch bereits zuvor - jeweils Duldungen erteilt worden, ohne dass er jemals darauf hingewiesen worden wäre, dass sich die LAST an die Erklärungen des Bundesamtes und des Verwaltungsgerichts nicht gebunden fühlt. Seine dennoch ohne Vorwarnung erfolgte Abschiebung verstieß somit nach summarischer Prüfung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.

Die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht des Antragstellers erscheint darüber hinaus auch als unverhältnismäßig, denn es erscheint als unzumutbar, dass der Antragsteller und seine deutsche Ehefrau getrennt leben, bis über das vom Antragsteller bereits eingeleitete Verfahren auf Befristung der Wirkungen der Abschiebung rechtskräftig entschieden worden ist. Der Antragsteller hat die nachträgliche Befristung der Wirkungen der Abschiebung bereits am 15.03.2002 beantragt. Angesichts dieser bereits Jahre andauernden Auseinandersetzung hält es die Kammer für unverhältnismäßig, wenn der Antragsteller und seine deutsche Ehefrau auch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens auf Befristung der Wirkungen der Abschiebung getrennt leben müssen und der Antragsteller dieses Verfahren aus dem Kosovo betreiben muss.