VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Beschluss vom 03.11.2005 - 1 L 929/05.A - asyl.net: M7607
https://www.asyl.net/rsdb/M7607
Leitsatz:
Schlagwörter: Folgeantrag, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), neue Beweismittel, Glaubwürdigkeit, Russland, Tschetschenien, Dokumente
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 5 S. 2; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2
Auszüge:

Der sinngemäß gestellte Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 des Asylverfahrensgesetzes vom 26. September 2005 über die Nichtdurchführung eines weiteren Asylverfahrens an die Ausländerbehörde der Stadt Hamm vorläufig, bis zum Abschluss des Klageverfahrens 1 K 2282/05.A, zurückzunehmen, ist gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft. Nur dieser Antrag ist geeignet, dem Begehren der Antragsteller zum Erfolg zu verhelfen, bis zum Abschluss des ihren Asylfolgeantrag betreffenden Klageverfahrens die Abschiebung zu verhindern.

Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), ist gemäß § 71 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zu Grunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (Nr.3). Der Folgeantragsteller hat die Tatsachen oder Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ergibt (§ 71 Abs. 3 AsylVfG).

Es genügt, dass der Folgeantragsteller die Änderung der Sachlage substantiiert und glaubhaft vorträgt. Werden als neue Beweismittel Urkunden vorgelegt, so verpflichtet dies dann nicht zur Durchführung eines Asylfolgeverfahrens, wenn die Urkunden offensichtlich gefälscht oder beweiswertlos sind. Versucht ein Asylfolgeantragsteller, mittels Vorlage einer Urkunde Glaubwürdigkeitszweifel aus dem ersten Verfahren auszuräumen, darf das Gericht den Beweiswert der Urkunde nicht mit dem bloßen Hinweis auf die (gerade zu widerlegenden) Glaubwürdigkeitszweifel verneinen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Beschluss vom 12. November 1991 - 2 BvR 1216/91 -, juris-Dokument Nr. KVRE215099101).

Es lässt sich - jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren - nicht feststellen, dass die vorgelegten Urkunden offensichtlich gefälscht sind. Ihnen kann auch nicht von vorneherein jeglicher Beweiswert abgesprochen werden. Zwar werden nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) vom 30. August 2005, S. 19, von Asylbewerbern aus der Russischen Föderation und gerade auch aus den russischen Kaukasusrepubliken häufig gefälschte oder manipulierte oder formal echte, inhaltlich aber unrichtige Dokumente aller Art vorgelegt; wegen der Lage in Tschetschenien ist es zudem der Deutschen Botschaft in Moskau derzeit unmöglich, die Echtheit von Dokumenten aus Tschetschenien zu verifizieren. Deshalb dürfte in vielen Fällen Urkunden aus Tschetschenien kein oder nur ein geringer Beweiswert zukommen. Andererseits ist es im vorliegenden Fall, in dem ungewöhnlich viele und detaillierte Dokumente vorgelegt worden sind, die aus einer Ermittlungsakte stammen sollen, möglicherweise doch möglich, die Echtheit der Urkunden zu überprüfen oder zumindest nähere Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob die in den Dokumenten genannten Personen tatsächlich existieren und der Ablauf des Verfahrens plausibel erscheint. Auch könnte möglicherweise festgestellt werden, ob der vorgelegte Fahndungsaufruf tatsächlich veröffentlicht worden ist. Hierzu könnte nicht allein auf die Hilfe des Auswärtigen Amtes zurückgegriffen werden, sondern es könnten möglicherweise auch Auskünfte von anderen Stellen, etwa in Tschetschenien tätigen Menschenrechtsorganisationen, eingeholt werden. Den Dokumenten kommt auch nicht allein deshalb kein Beweiswert zu, weil das Gericht im Asylerstverfahren das Vorbringen der Antragsteller letztlich nicht für glaubhaft gehalten hat. Denn die Urkunden sollen gerade diese Glaubwürdigkeitszweifel ausräumen. Das Vorbringen im Erstverfahren war auch nicht in einem Maße widersprüchlich oder unsubstantiiert und deshalb offensichtlich unwahr, dass in keinem Fall einen andere Entscheidung des Gerichts ergehen könnte.