VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 02.11.2005 - 10a K 403/03.A - asyl.net: M7608
https://www.asyl.net/rsdb/M7608
Leitsatz:
Schlagwörter: Guinea, Anhörung, Dolmetscher, Übersetzungsfehler, Glaubwürdigkeit, exilpolitische Betätigung, RPG, Rassemblement du Peuple de Guinée, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Inhaftierung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Auch die Voraussetzungen zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - liegen nicht vor.

Das Gericht hat erhebliche Zweifel an dem von ihm geltend gemachten individuellen Verfolgungsschicksal.

Die vom Kläger vorgelegten verschiedenen schriftlichen Unterlagen rechtfertigen keine andere Bewertung. Mitgliedsausweisen und sonstigen Bescheinigungen von guineischen Parteien kommt für sich genommen kein hinreichender Beweiswert zu. Sie sind "wohlfeil" und können von jedem Ausländer, der Kontakt zu politischen Gruppierungen seines Heimatlandes hat, erstanden werden und werden erfahrungsgemäß in einer Vielzahl von Gerichtsverfahren bzw. Verwaltungsverfahren vorgelegt.

Das Gericht ist auch nicht davon überzeugt, dass dem Kläger wegen der von ihm geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten gegen sein Heimatregime im Bundesgebiet politische Verfolgung droht. Nur Aktivitäten, die den guineischen Regierungsstellen bekannt werden und die sie als Ausdruck einer ernst zu nehmenden Gegnerschaft gegen das herrschende Regime des Lansana Conte ansehen, sind geeignet, einen Flüchtling im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG zu gefährden. Von einer ernst zu nehmenden Gegnerschaft kann nur bei einer exponierten exilpolitischen Betätigung, mit der der Asylbewerber "ein eigenes Gesicht" zeigt, gesprochen werden (vgl. dazu allgemein: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 16. Oktober 1998, DVBl. 1999, 165, 166).

Der Kläger beruft sich hier auf sein Engagement für die RPG in Deutschland. Nach der dem Gericht vorliegenden Erkenntnislage kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein guineischer Staatsangehöriger im Einzelfall bei einer Rückkehr in sein Heimatland staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein kann, sofern er einer exilpolitisch-oppositionellen Betätigung in herausgehobener Position nachgeht, die sich als Fortführung von in Guinea erkennbar betätigten oppositionellen Aktivitäten darstellt und - die guineische Regierung verletzend - das übliche Maß regimekritischer Äußerungen überschreitet; weiterhin müssen die guineischen Sicherheitskräfte hiervon Kenntnis erlangen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. August 2000 - 11a K 4100/99.A -, Beschluss vom 09. August 2000 - 11a K 2370/00.A -, Beschluss vom 16. März 2001 - 11a K 5695/00.A).

Auch die Stellung eines Asylantrags in Deutschland und der damit verbundene mehrjährige Auslandsaufenthalt in Deutschland gefährden den Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht. Nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen (vgl. etwa AA vom 18. März 1998 an VG Karlsruhe; AA vom 8. August 1997 an VG Hamburg, ferner IAK vom 1. Februar 2000 an VG Hamburg), führt die bloße Stellung eines Asylantrags nicht zu staatlicher Verfolgung, zu § 51 Abs. 1 AuslG: ebenso VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juni 2002 -A 13 S 1206/97-; OVG NRW, Beschluss vom 9. August 2000 - 11 A 2370/00.A -, ferner OVG Koblenz, Beschluss vom 8. E. 1997 - 2 A 11169/95 -.

Es besteht weder Veranlassung, an der Richtigkeit dieser Auskünfte noch an deren weiterer Aktualität zu zweifeln. Das Auswärtige Amt stützt sich zum Beleg auf Erkenntnisse der dortigen Menschenrechtsorganisation ODGH und begründet sie plausibel damit, dass die Stellung eines Asylantrags von den staatlichen Stellen in Guinea (nur) als legitimes Mittel zur Aufenthaltssicherung in Europa angesehen wird.

Dem Gericht liegen auch sonst keine Erkenntnisse vor, aus denen geschlossen werden kann, dass der unverfolgt ausgereiste Kläger bei einer Rückkehr nach Guinea mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG gefährdet ist.

Die Kammer hat keine verlässlichen Erkenntnisse darüber, dass abgeschobene Asylbewerber, die Guinea unverfolgt verlassen haben, bei einer Wiedereinreise längerfristig inhaftiert, misshandelt oder gefoltert werden (ebenso VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juni 2002 -A 13 S 1206/97-; OVG NRW, Beschlüsse vom 9. August 2000 - 11 A 2370/00.A -, vom 18. August 2000 -11 A 4089/00.A- und -11 A 4100/00.A.- und vom 17. Mai 2001 -11 A 1941/01.A.; zuletzt Beschluss vom 25. März 2003 - 11 A 1940/01.A).

Das Auswärtige Amt hat konfrontiert mit gegenteiligen Berichten der IGFM (vgl. Bericht vom 25. September 1999, an das erkennende Gericht adressiert mit Schreiben vom 5. Oktober 1999) mehrfach die Auskunft erteilt, es könne deren Angaben nicht bestätigen (AA vom 2. September 1999 an VG Arnsberg, AA vom 17. November 1999 an VG Arnsberg, AA vom 24. Januar 2000 an das Bundesamt; AA vom 24. Mai 2000 an VG Hamburg).

Das Gericht hat keinen Anlass zu bezweifeln, dass auch diese Auskünfte zutreffen. Wie das Auswärtige Amt immer wieder dargelegt hat, bedient sich die deutsche Botschaft in D. bei ihren Nachforschungen der dortigen Menschenrechtsorganisation ODGH, deren Arbeit als verlässlich angesehen wird. Diese konnte jedoch bislang mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln keine gesicherten Erkenntnisse über behauptete Verhaftungen von aus Deutschland abgeschobenen Guineern gewinnen. So sind nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 11. Februar 2000 die im November und E. 1999 durchgeführten Rückführungen von Asylbewerbern aus Deutschland nach Guinea ohne besondere Vorkommnisse verlaufen.

Anderslautende Stellungnahmen der IGFM (zuletzt vom 19. E. 2001 an das VG Freiburg) zu diesemFragenkomplex machen eine Gefährdung von Asylbewerbern bei einer Rückkehr nach Guinea für das Gericht nicht überwiegend wahrscheinlich.

Auch jüngere Auskünfte von amnesty international (an das VG Ansbach vom 22. August 2000 und an das VG Hamburg vom 13. November 2001) sowie des Instituts für Afrika-Kunde (an das VG Ansbach vom 1. August 2000) lassen keine andere Gefährdungsprognose zu. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahmen haben weder amnesty international noch das Institut für Afrika-Kunde konkrete Erkenntnisse darüber, dass Asylbewerbern, die nach Guinea zurückkehren, bei der Einreise Übergriffe auf Leib, Leben oder Freiheit drohen, insbesondere sind ihnen keine Einzelschicksale kraft eigener Erkenntnisse bekannt.