LSG Hamburg

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Zitieren als:
LSG Hamburg, Beschluss vom 24.11.2005 - L 5 B 256/05 ER AS - asyl.net: M7616
https://www.asyl.net/rsdb/M7616
Leitsatz:

Erhielt ein Ausländer nach § 26 BSHG Sozialhilfe, obwohl er ein Studium aufgenommen hat, hat er Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt als Darlehen nach § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II, wenn er das Studium im Vertrauen auf die Finanzierung des Studiums aufgenommen und bereits wesentliche Studienleistungen erbracht hat.

 

Schlagwörter: Grundsicherung für Arbeitssuchende, Studium, Studenten, besondere Härte, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: BAföG § 2; SGB II § 7 Abs. 5 S. 1; SGB II § 7 Abs. 5 S. 2; BSHG § 26
Auszüge:

Erhielt ein Ausländer nach § 26 BSHG Sozialhilfe, obwohl er ein Studium aufgenommen hat, hat er Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt als Darlehen nach § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II, wenn er das Studium im Vertrauen auf die Finanzierung des Studiums aufgenommen und bereits wesentliche Studienleistungen erbracht hat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der am XX.XXXXX 1984 in K./Afghanistan geborene Antragsteller und die am XX.XXXXXXXX 1983 ebenda geborene Antragstellerin hatten als Auszubildende, deren Ausbildungen – im Falle des Antragstellers ein im Wintersemester 2004 begonnenes Studium an der Technischen Universität (TU) Hamburg-Harburg im sechs Semester umfassenden Bachelor-Studiengang Informationstechnologie mit dem Abschluss "Bachelor of Science", im Falle der Antragstellerin ein im Sommersemester 2003 begonnenes Studium an der Hochschule für angewandte Wissenschaft (HAW) in Hamburg im acht Semester umfassenden Diplom-Studiengang Informations- und Elektrotechnik - gemäß § 2 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig sind, gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II. Dass ihr Studium tatsächlich nicht nach dem BAföG gefördert wurde und wird, weil sie als Staatsangehörige von Afghanistan mit der bis zum 29. Juni 2005 geltenden Aufenthaltsbefugnis und der am 23. August 2005 gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG – nicht, wie in § 8 Abs. 1 Nr. 4 BAföG vorausgesetzt, nach § 23 Abs. 2 AufenthG - erteilten Niederlassungserlaubnis und der zwischenzeitlich ausgestellten so genannten Fiktionsbescheinigung die in § 8 Abs. 1 Nrn. 2 bis 9 und Abs. 2 BAföG geregelten ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Jedoch haben sie entgegen der Auffassung des SG Anspruch auf Gewährung dieser Leistungen als Darlehen gemäß § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II, da die Verweigerung der Weiterzahlung für beide eine besondere, d. h. vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Härte beinhalten würde.

Er [der Senat] hält einen Abbruch des Studiums aus finanziellen Gründen für beide Antragsteller für unzumutbar. Beiden ist über den Beginn ihres Studiums hinaus Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG gewährt worden. Beide konnten bei Aufnahme des Studiums von einer gesicherten finanziellen Grundlage ausgehen. In beiden Fällen hatte der Sozialhilfeträger der mit ihm geführten Rücksprache zufolge nach Grundsätzen, die im April 1998 in einem Rundschreiben niedergelegt worden waren, die Härtefallregelung des § 26 BSHG angewandt. Maßgebend dafür waren der frühere Bezug von Hilfe zur Erziehung – bis zum 10. Dezember 2000 - und der gesicherte Aufenthalt durch Besitz einer Aufenthaltsbefugnis und Ausschluss einer Abschiebung. Es ist unerheblich, dass diese Handhabung durch die obergerichtliche Rechtsprechung der OVGe nicht gedeckt war. Der Senat ist an diese Bewertung auch nicht gebunden. Erheblich ist in diesem Zusammenhang aber, dass beide das Studium in der durch objektive Umstände, nämlich die angedeutete Weisungslage, legitimierten Hoffnung aufgenommen haben, eine gesicherte finanzielle Grundlage für ihr Studium zu haben. Ohne den Übergang vom BSHG zum SGB II wäre – weitere Bedürftigkeit unterstellt – die Sozialhilfe weitergezahlt worden. Beide haben im Vertrauen auf diese Förderung bereits nennenswerte Anstrengungen im Studium unternommen. Dies gilt insbesondere für die Antragstellerin. Sie hatte bei Einstellung der Zahlungen bereits das 5. Fachsemester und damit weit mehr als die Hälfte ihres auf acht Semester angelegten Studiums zurückgelegt. Bei dieser Sachlage ist es ihr nicht zuzumuten, das Studium abzubrechen und auf den Ertrag ihrer Anstrengungen zu verzichten. Dies gilt umso mehr, als der Abschluss des Studiums in zeitlicher Hinsicht absehbar ist und ihr eine Arbeitsmarkt verwertbare Qualifikation verschaffen wird.