VG Magdeburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 06.12.2005 - 5 A 120/05 MD - asyl.net: M7625
https://www.asyl.net/rsdb/M7625
Leitsatz:

Einweisung in Ausreiseeinrichtung durch Auflage zur Duldung ist nur verhältnismäßig, wenn sie in Bezug auf den konkreten Fall und nicht nur durch Textbausteine begründet ist; sind alle denkbaren Maßnahmen zur Passbeschaffung bereits ausgeschöpft, ist die Einweisung unzulässig.

 

Schlagwörter: D (A), Duldung, Auflage, Ausreiseeinrichtung, Wohnsitzauflage, Identität ungeklärt, Passlosigkeit, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Mitwirkungspflichten, Ermessen, Verhältnismäßigkeit
Normen: AuslG § 56 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

Einweisung in Ausreiseeinrichtung durch Auflage zur Duldung ist nur verhältnismäßig, wenn sie in Bezug auf den konkreten Fall und nicht nur durch Textbausteine begründet ist; sind alle denkbaren Maßnahmen zur Passbeschaffung bereits ausgeschöpft, ist die Einweisung unzulässig.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist begründet. Der streitbefangene Bescheid des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist mit der dort verfügten Wohnsitzauflage rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG konnten nach der damaligen Gesetzeslage zur Duldung eines ausreisepflichtigen Ausländers weitere Bedingungen und Auflagen im Ermessen der Behörde angeordnet werden. Die Auflage muss ihre Rechtfertigung im Zweck des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie finden und verhältnismäßig sein; sie muss aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen. Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG eine ausreichende Rechtsgrundlage darstellen kann, ausreisepflichtige Ausländer dazu zu verpflichten, ihren Wohnsitz in einer speziellen Aufnahmeeinrichtung zu nehmen. Zweck derartiger Einrichtungen ist, die Identität eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers festzustellen, um seinen Aufenthalt in Deutschland endgültig beenden zu können. Dafür sind in der Einrichtung besondere organisatorische, personelle und finanzielle Kapazitäten geschaffen worden. Dort wird im Wege kontinuierlicher und intensiver Bemühungen durch die mit dieser Aufgabe betrauten Bediensteten darauf hingewirkt, dass die betroffenen Ausländer an der Aufklärung ihrer Identität und der Ausstellung vom Heimreisedokumenten mitarbeiten. Durch die Unterbringung in einer zentralen Einrichtung sind die dafür notwendigen zahlreichen Kontaktaufnahmen und Betreuungsmaßnahmen seitens mit spezifischen Kenntnissen und Erfahrungen ausgestatteter Mitarbeiter von Ausländerbehörden, Sozialarbeiter und Dolmetscher möglich (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss v. 12.10.2000, 11 M 2455/00; juris). Die auf die endgültige Beendigung des Aufenthalts von unanfechtbar Ausreisepflichtigen gerichteten Maßnahmen sollen dementsprechend auch die finanziellen Interessen der Bundesrepublik Deutschland wahren. Es ist zwar Aufgabe jedes Ausländers, der kein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet mehr hat und ausreisepflichtig ist, seine Identität nachzuweisen bzw. alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Kommt er dem nicht nach oder nicht im ausreichenden Maße, ist es gerechtfertigt, weitergehende sich anbietende Möglichkeiten zur Identitätsfeststellung zu nutzen. In Anbetracht der mit der Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft gegenüber der dezentralen Unterbringung verbundenen Belastungen setzt dies jedoch voraus, dass alle anderen bestehenden Möglichkeiten zur Feststellung der Identität bzw. Beschaffung von Ausreisedokumenten vorab ausgeschöpft wurden und die bei der Unterbringung in der GU möglichen weiteren Maßnahmen Erfolg versprechen. Ist dies der Fall, hat die zuständige Behörde das ihr zustehende Ermessen unter Berücksichtigung der schützenswerten Interessen des Ausländers fehlerfrei auszuüben (vgl. zusammenfassend: VG Braunschweig, Beschluss vom 27.02.2001, 3 B 293/00; Urteil vom 29.08.2002, 3 A 110102; OVG Koblenz, Beschluss vom 19.11.2003, 10 B 11432103; juris).

Vorliegend ist das Gericht der Überzeugung, dass nicht ersichtlich ist, welche zusätzlichen Maßnahmen nunmehr noch sinnvoll und notwendig erscheinen, um den gesetzgeberischen Zweck der Aufenthaltsbeendigung zu erreichen und daher die Wohnsitznahme in der GU-ZASt zwingend erforderlich machen. Denn insoweit ist von besonderer Bedeutung, dass aufgrund des seit dem Jahre 2000 andauernden Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet zahlreiche Versuche zur Identitätsfeststellung und Beschaffung von Ausreisepapieren von den zuständigen Behörden unternommen wurden.

Dabei lässt das Gericht keinen Zweifel daran, dass die Wohnsitzauflage selbstverständlich ein verhältnismäßiges Mittel zur Aufenthaltsbeendigung darstellt. Jedoch muss diese Auflage aufgrund der Eingriffe in die schutzwürdigen Belange des Ausländers wohl überlegt und geprüft werden. Daher bietet sich die Wohnsitzauflage in der GU-ZASt im Regelfall eher im Frühstadium der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen an. Sind diese Maßnahmen allerdings - wie hier - erschöpft, ist die Wohnsitzauflage unzulässig, da unverhältnismäßig. Denn die bereits vorgenommenen Maßnahmen zur Identitätsfeststellung und Dokumentenbeschaffung würden sich nur wiederholen; neue Mittel stehen nicht zur Verfügung und wurden von dem Beklagten auch nicht vorgetragen. Die vom Beklagten angesprochenen und ohne Frage vom gesetzgeberischen Willen getragenen Vorteile der Wohneinrichtung, wie soziale Betreuung und Dolmetschereinsatz sowie konsequente Durchsetzung des Sachleistungsprinzips, um die Ausreisebereitschaft (freiwillig) zu fördern, sind eher theoretischer Natur und reichen allein eben nicht aus, um die Verhältnismäßigkeit der Auflage im Einzelfall zu tragen. Die dem Gericht übersandte Übersicht über die durchgeführten Maßnahmen zur Passbeschaffung (Bl. 24 GA) enthalten nämlich auch den Hinweis, dass die Unterbringung in der GU-ZASt zur Identitätsfeststellung geprüft werde und "danach kann er z.B. wieder Taschengeld erhalten, wenn er mitwirkt. Weiterhin kann man ihn darauf hinweisen, dass er seinen Wohnsitz sofort wieder im LK nehmen kann, wenn er mitwirkt und seine Identität feststeht." Daher besteht vorliegend die Gefahr, dass die Wohnsitzauflage vordringlich dazu diente, einen unzulässigen sachfremden Druck auf den Kläger auszuüben.