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VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Beschluss vom 30.12.2005 - A 2 K30400/05 - asyl.net: M7639
https://www.asyl.net/rsdb/M7639
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Folgeantrag, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Auslandsvertretung, nichtstaatliche Verfolgung, Passverfügung, Erlass, Abschiebungsstopp, Erlöschen, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AsylVfG § 15 Abs. 1; AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 4; AsylVfG § 15 Abs. 6; AufenthG § 48 Abs. 3; GG Art. 16a Abs. 1; AsylVfG § 72 Abs. 1 Nr. 1
Auszüge:

Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gestellte Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet.

a) Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der Vorlage eines Passes bzw. der Vorsprache bei der Botschaft des Herkunftsstaates sowie der dortigen Beantragung eines Passes ist § 15 Abs. 2 Nr. 4 und 6 AsylVfG.

c) Die Voraussetzungen nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 und 6 AsylVfG sind im vorliegenden Fall erfüllt.

bb) Der Antragsteller ist nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses und hat dies auch im Rahmen der Anhörung durch den Antragsgegner in seiner Erklärung zu Personalien und zum Passbesitz vom 21.7.2005 versichert. Somit liegen die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG vor. Die dem Ausländer danach obliegende Mitwirkung umfasst alle Tat- und Rechtshandlungen, die zur Beschaffung der fehlenden Identitätspapiere erforderlich sind und nur von ihm persönlich ausgeführt werden können, d.h. neben der eigenhändigen Unterzeichnung eines Antragsformulars auch die vorliegend verlangte Vorsprache bei der diplomatischen oder konsularischen Auslandsvertretung des Heimatstaates (VG Chemnitz, Beschl. v. 4.8.1999 - 4 K 1446/99 - InfAuslR 2000, 146 [149]; Hailbronner, AuslR, § 15 AsylVfG, Rn. 26).

d) Die Verpflichtung des Antragstellers zur Beantragung des Passes und zur Vorsprache bei der irakischen Botschaft und deren eventuelle Durchsetzung im Wege der Verwaltungsvollstreckung stehen im Einklang mit dem geltenden Verfassungsrecht.

bb) Das Asylgrundrecht nach Art. 16a Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt, weil eine Unvereinbarkeit von § 15 AsylVfG mit Art. 16a Abs. 1 GG grundsätzlich nur gegeben wäre, wenn Maßnahmen der Ausländerbehörde stattfänden, solange der Aufenthalt infolge des Asylantrages gestattet ist.

(1) Das Asylgrundrecht schützt zwar selbst bei Bestehen des vorläufigen Bleiberechts des Asylbewerbers grundsätzlich nicht vor einem Ergreifen von Maßnahmen, die die Aufenthaltsbeendigung im Erlöschensfalle während des laufenden Asylverfahrens vorbereiten (VGH Mannheim, Urt. v. 6.10.1998 - 9 S 856/98, InfAuslR 1999, 287 [289]; vgl. SächsOVG, Urt. v. 10.10.2001 - 3 BS 281/00 -, zit. n. JURIS). Im Einzelfall können jedoch materiell-asylrechtliche Fragen zu einer Einschränkung - insbesondere bei Anordnungen durch die allgemeinen Ausländerbehörden - führen. Dies kann der Fall sein, wenn bereits die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland die Gefahr staatlicher Verfolgung durch den Heimatstaat begründet und der Herkunftsstaat durch die Passbeantragung davon erfahren könnte. Da der Gesetzgeber die asylrechtliche Beurteilung allein dem Bundesamt zuweist und die allgemeinen Ausländerbehörden nicht über das nötige speziell ausgebildete Personal sowie über eine besondere Verfahrensordnung verfügen, dürfen die Ausländerbehörden asylrechtlich sensible Entscheidungen nur treffen, wenn deren asylrechtliche Unbedenklichkeit aufgrund einer Vorentscheidung im Asylverfahren feststeht oder wegen vergleichbarer Umstände angenommen werden kann. Aus diesem Grund gebietet Art. 16a Abs. 1 GG eine einschränkende Auslegung des § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG. Hiernach darf der Ausländer erst dann zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung durch die allgemeine Ausländerbehörde verpflichtet werden, wenn das Asylverfahren ein Stadium erreicht hat, das auch die Aufenthaltsbeendigung selbst erlaubt (VGH Mannheim, Urt. v. 6.10.1998 - 9 S 856/98, InfAuslR 1999, 287 [290]). Wie lange dem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, der Aufenthalt zu Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist, hat der Gesetzgeber in § 55 Abs. 1, § 67 AsylVfG im Einzelnen bestimmt. Damit hat er zugleich entschieden, dass jenseits der in § 67 AsylVfG bestimmten Zeitpunkte kein Anlass für weitere Schutzgewährung mehr besteht (vgl. BayVGH, Urt. v. 11.7.2000 - 10 B 99.3200 - zit. n. JURIS). § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG ist somit dahingehend einschränkend auszulegen, dass von einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, so lange nicht verlangt werden kann, an der Passbeschaffung mitzuwirken, als seine Aufenthaltsgestattung nicht erloschen ist (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 6.10.1998 - 9 S 856/98, - InfAuslR 1999, 287 [289]).

(2) Für Folgeantragsteller folgt hieraus, dass nicht jeder Asylfolgeantrag dazu führt, die Mitwirkungspflicht zu suspendieren (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 6.10.1998 - 9 S 856/98, InfAuslR 1999, 287 [290]; VG Chemnitz, Beschl. v. 4.8.1999 - 4 K 1446/99 - InfAuslR 2000, 146 [147]). Denn im Gegensatz zum (erstmaligen) Asylantrag führt die Stellung des Antrags auf Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht zu einem Aufenthaltstitel nach § 55 Abs. 1 AsylVfG und insoweit auch nicht zu einer Einschränkung der Mitwirkungspflichten nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG (Hailbronner, AuslR, § 15 AsylVfG, Rn. 32). Eine Suspendierung der Mitwirkungspflicht nach 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG ist deshalb nur dann anzunehmen, wenn der Folgeantrag auf beachtliche Wiederaufnahmegründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG gestützt ist und daher zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt. Nur dann nämlich kommt ernstlich in Betracht, dass der Ausländer trotz des bereits negativen Abschlusses seines ersten Asylverfahrens dennoch von politischer Verfolgung bedroht sein könnte (VGH Mannheim, Urt. v. 6.10.1998 - 9 S 856/98, InfAuslR 1999, 287 [290 f.]). Demzufolge darf die Ausländerbehörde die Vorsprache bei der Auslandsvertretung nicht anordnen, wenn das Bundesamt durch Zwischenbescheid über den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens positiv entschieden hat oder wenn es aufgrund des Folgeantrags über das Asylbegehren erneut sachlich entscheidet, sofern es den Asylantrag nicht als offensichtlich unbegründet ablehnt. Gleiches gilt, wenn das Verwaltungsgericht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Vollziehung der Abschiebung aussetzt (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 6.10.1998 - 9 S 856/98, InfAuslR 1999, 287 [291]). Daraus folgt aber nicht, dass die allgemeine Ausländerbehörde bis zu einer Entscheidung über den Asylfolgeantrag keine Maßnahmen nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG treffen könnte.

(3) Die Unzumutbarkeit der Mitwirkungsverpflichtung durch die Ausländerbehörde während eines Asylfolgeverfahrens vor einer entsprechenden positiven Entscheidung des Bundesamtes kann sich wegen der verfahrensrechtlichen Vorwirkung des Asylgrundrechts gem. Art. 16a Abs. 1 GG nach Auffassung des Gerichts im Einzelfall jedoch daraus ergeben, wenn der Folgeantragsteller seine Furcht gerade - beispielsweise aufgrund neuer Umstände in seinem Heimatland - daraus herleitet, dass seine Auslandsvertretung auf eine nunmehr asylerhebliche Folgeantragstellung oder auf (neue) asylrelevante Tatsachen aufmerksam wird und der Herkunftsstaat daran auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder im Falle der Rückkehr im Heimatland asylerhebliche Maßnahmen anknüpft (Hailbronner, AuslR, § 15 AsylVfG, Rn. 32). Die Ausländerbehörde ist jedoch nur dann an einer Anordnung zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG gehindert, wenn der Ausländer seine Furcht vor einer entsprechenden unmittelbaren staatlichen Verfolgung durch den Herkunftsstaat gegenüber dem Bundesamt und der Ausländerbehörde geltend macht und eine derartige Gefahr - solange eine Entscheidung im eigentlichen Asylfolgeverfahren durch das Bundesamt nicht vorliegt - wegen vergleichbarer Umstände angenommen werden kann (vgl. zu den entsprechenden Anforderungen an die Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörden während des Asylverfahrens VGH Mannheim, Urt. v. 6.10.1998 - 9 S 856/98, InfAuslR 1999, 287 [290]). Eine darüber hinausgehende Prüfungspflicht obliegt der Ausländerbehörde nicht, da sie gerade keine Prüfung, ob dem Kläger politische Verfolgung droht, durchzuführen hat. In diesem Einzelfall wäre die Mitwirkung an der Passbeschaffung unzumutbar, so dass bei einer entsprechenden Passverfügung der Ausländerbehörde die Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Verwaltungsgericht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes in Betracht kommt.

cc) Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung insoweit keine Bedenken an der Rechtmäßigkeit des streitbefangenen Bescheides. Dementsprechend steht auch die Tatsache, dass gegenwärtig aufgrund eines Erlasses des Sächsischen Staatsministeriums des Innern keine Abschiebungen in den Irak vorgenommen werden, der Mitwirkungspflicht nicht entgegen. Die Mitwirkungspflicht eines Ausländers besteht insoweit grundsätzlich unabhängig davon, ob eine Abschiebung möglich ist (vgl. BayVGH, Urt. v. 11.7.2000 - 10 B 99.3200 - zit. n. JURIS). Eine (Zwischen-)Entscheidung des Bundesamtes über den Folgeantrag liegt derzeit nicht vor. Es ist auch nicht offensichtlich und wurde vom Antragsteller nicht dargelegt, dass im vorliegenden Fall wegen der Beantragung eines Passes bei der Auslandsvertretung seines Herkunftslandes eine unmittelbar staatliche Verfolgung zu besorgen ist.

dd) Auch im Hinblick auf § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG bestehen keine Bedenken bezüglich der Zumutbarkeit und Rechtmäßigkeit der dem Antragsgegner auferlegten Pflichten. Die der Beantragung eines Reisespasses nach einer durch Verwaltungsakt unter Zwangsgeldandrohung erfolgten Aufforderung durch die Ausländerbehörde kann keinesfalls als ein die Anerkennung als Asylberechtiger ausschließendes freiwilliges Verhalten gewertet werden. Eine Indizwirkung für ein "unter den Schutz des Heimatstaates stellen" entfaltet die Annahme oder Verlängerung eines Passes, die erforderlich wird, um Amtshandlungen von deutschen Behörden vorzubereiten oder vorzunehmen, gerade nicht, so dass davon die Erfolgsaussichten des Folgeantrags unberührt bleiben (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.12.1991, BVerwGE 89, 231; Hailbronner, AuslR, § 15 AsylVfG, Rn. 30; § 72 AsylVfG, Rn. 9; a.A. Renner, AuslR, 8. Aufl., 2005, § 15 AsylVfG, Rn. 11). Insoweit liegt auch kein Verstoß gegen Art. 1 C Nr. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention vor (vgl. VGH Mannheim, Beschl; v. 12.9.1979 - XI 1131/79 -, zit. n. JURIS).