VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 06.12.2005 - 1 E 1407/04.A(2) - asyl.net: M7640
https://www.asyl.net/rsdb/M7640
Leitsatz:

Apostasie ist im Jemen zwar mit der Todesstrafe bedroht, faktisch findet aber keine Verfolgung allein wegen Übertritts zum Christentum (hier: Zeugen Jehovas) statt; § 60 Abs. 7 AufenthG für allein stehende und allein erziehende Frau, die wegen Übertritts zum Christentum nicht die notwendige Unterstützung durch die Familie erhält.

 

Schlagwörter: Jemen, Zeugen Jehovas, Apostasie, Konversion, Christen, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Todesstrafe, alleinstehende Frauen, alleinerziehende Frauen, Ehrenmord, Situation bei Rückkehr
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 60 Abs. 1; jStGB Art. 259; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Apostasie ist im Jemen zwar mit der Todesstrafe bedroht, faktisch findet aber keine Verfolgung allein wegen Übertritts zum Christentum (hier: Zeugen Jehovas) statt; § 60 Abs. 7 AufenthG für allein stehende und allein erziehende Frau, die wegen Übertritts zum Christentum nicht die notwendige Unterstützung durch die Familie erhält.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, noch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG.

Anknüpfungspunkt einer asylrelevanten Verfolgung kann im Falle der Klägerin nur ihr Übertritt vom muslimischen zum christlichen Glauben durch Taufe als Jehovas Zeugin sein.

Eine staatliche asylrelevante Verfolgung kann das Gericht unter Zugrundelegung der dargestellten Grundsätze nicht erkennen.

Das Gericht ist aufgrund der Auskunftslage davon überzeugt, dass die Strafandrohung der Apostasie gleichsam als leere Hülse im jemenitischen Strafgesetzbuch verankert ist. Da weder das den Zeugen Jehovas wichtige Missionieren unter den asylrelevanten Schutz der Religionsfreiheit fällt und der Klägerin eine zurückhaltende Religionsausübung möglich bleibt, das sogenannten "forum internum" der Religionsausübung nicht beeinträchtigt ist, kann das Gericht einen asylrelevanten Eingriff in die Religionsfreiheit der Klägerin nicht erkennen.

Die Klägerin hat indes einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG.

Übereinstimmend haben das Auswärtige Amt und das Deutsche Orient-Institut im Rahmen der zum Beweiszweck eingeholten Auskünften ausgeführt, dass die Klägerin, sollte sie bei ihrem Glauben verbleiben, in ihrer Familie in keinem Fall mehr den sozialen-familiären Halt und die Hilfe hätte, derer sie als alleinstehende Frau und alleinerziehende Mutter im Jemen bedürfte, um überleben zu können. Das Auswärtige Amt schließt sogar einen Ehrenmord nicht aus. Ehrenmorde kommen in der jemenitischen Gesellschaft regelmäßig vor und werden nicht stringent durch staatliche Strafverfolgung gesühnt. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes können potentielle Opfer vor religiös-gesellschaftlich motivierten Ehrenmorden auch nicht präventiv geschützt werden. Der Gefahr, Opfer eines Ehrenmordes zu werden, kann die Klägerin nach Auskunft des Auswärtigen Amtes auch nicht dadurch ausweichen, indem sie sich in einer der Großstädte des Jemens niederläßt.

Aufgrund des traditionalistischen gesellschaftlichen Lebens ist eine Frau auf soziale und gesellschaftliche Absicherung durch Ehemann und/oder Familie angewiesen. Wird diese Unterstützung ihr entzogen, wovon im Falle der Klägerin durch ihren Übertritt zu den Zeugen Jehovas auszugehen ist, entfällt die Lebensgrundlage.