VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 23.09.2005 - 2 K 4125/03.A - asyl.net: M7649
https://www.asyl.net/rsdb/M7649
Leitsatz:

Gefährdung wegen exilpolitischer Betätigung für die Arbeiterkommunistische Partei Irans (API) oder einer ihrer Nebenorganisationen (hier: Internationale Föderation Iranischer Flüchtlinge (IFIR)).

 

Schlagwörter: Iran, exilpolitische Betätigung, Arbeiterkommunistische Partei Iran, API, IFIR, Hambastegi - Internationale Föderation Iranischer Flüchtlinge, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Gefährdung wegen exilpolitischer Betätigung für die Arbeiterkommunistische Partei Irans (API) oder einer ihrer Nebenorganisationen (hier: Internationale Föderation Iranischer Flüchtlinge (IFIR)).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Bescheid des Bundesamtes vom 6. Juni 2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Iran vorliegen.

Dabei kann vorliegend dahin stehen, ob der Kläger vorverfolgt ausgereist ist, da ihm bei verständiger, nämlich objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles angesichts seiner exilpolitischen Aktivitäten aufgrund von asylrelevanten Nachfluchtgründen (BVerfG, Beschluss vom 26. November 1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51, 64 ff. sowie Beschluss vom 15. März 1990 - 2 BvR 496/89 -, InfAuslR 1990, 197 ff.) politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, sodass ihm nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren (BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162, 169).

Für die Annahme einer Verfolgung für den Fall der Rückkehr reicht allerdings nicht jede öffentlich zur Schau getragene Kritik, sondern nur ein nach außen hin in exponierter Weise für eine regimefeindliche Organisation erfolgtes Auftreten aus. Welche Anforderungen tatsächlicher Art an eine exilpolitische Tätigkeit gestellt werden müssen, damit diese als "exponiert" in diesem Sinne anzusehen ist, lässt sich nicht allgemein beantworten. Eine derartige Tätigkeit wird vielmehr durch die jeweils völlig unterschiedlichen konkret-individuellen Umstände des Einzelfalles geprägt (stdg. Rspr., zuletzt Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 13. Juli 2004 - 5 A 2711/04.A - unter Verweis auf den Beschluss vom 16. April 1999 - 9 A 5338/98.A -; ferner Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 5. Juni 2002 - 2 B 92/01 -; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 9. Juli 2003 - 11 UE 275/02.A -; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 2. Oktober 2003 - 14 ZB 03.31125).

Indes ist im Fall des Klägers zu berücksichtigen, dass er nicht nur Mitglied der Arbeiterkommunistischen Partei Irans (API) ist, sondern als Vorsitzender der Sektion L3 der Organisation Hambastegi - Internationale Föderation Iranischer Flüchtlinge Verband Deutschland e.V. (IFIR) fungiert, einer Nebenorganisation der API. Die API, die sich 1991 von der Kommunistischen Partei Irans abgespalten hat, ist ausweislich ihrer Gründungserklärung eine marxistische Partei, welche die soziale Revolution der Arbeiterklasse zur Beseitigung des kapitalistischen Systems organisieren und eine neue Gesellschaft auf der Basis ökonomischer und sozialer Gleichheit sowie politischer Freiheit und freier geistiger und materieller Entfaltung der Menschen aufbauen will. Sie ist eine antireligiöse und antiislamische Partei (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, Auskunft an das VG Wiesbaden vom 12. März 2003 sowie Auskunft vom 10. September 1999 an das Verwaltungsgericht Köln).

Sie ist in der Vergangenheit mehrfach durch gewalttätige Aktionen in Erscheinung getreten, etwa durch Störungen während der Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung im April 2000 oder im Oktober 2002 bei einer Veranstaltung, bei der Angehörige des iranischen Kulturministeriums zugegen waren (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz vom 12. März 2003, a.a.O.).

Auch die IFIR hat mehrfach gewaltsame Demonstrationen vor iranischen Generalkonsulaten organisiert, in deren Verlauf es zu Eier-, Stein- und Farbbeutelwürfen auf die Konsulate kam (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz vom 12. März 2003, a.a.O.).

Unterliegen Anhänger der latent gewaltbereiten API deshalb einer besonderen Beobachtung durch den iranischen Nachrichtendienst und sind damit einer besonderen Gefährdung bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatland unterworfen, soweit es sich bei ihnen um Führungspersonen oder Einzelpersonen mit Außenwirkung handelt (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz vom 12. März 2003, a.a.O., Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Iran - Online Loseblattwerk -, 14. Asylverfahren, April 2004, S. 23/24), so ist davon auszugehen, dass dies auch dies auch für die Internationale Föderation Iranischer Flüchtlinge Verband Deutschland e.V. (IFIR) gilt, bei der es sich um eine Nebenorganisation der Arbeiterkommunistischen Partei handelt (vgl. auch allgemein zur Gefährdungen von Exilanten, die in herausgehobener, nach außen sichtbarer Position tätig werden: Deutsches Orient-Institut, Auskunft an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht vom 26. Mai 2003 und Auskunft an das VG Kassel vom 26. Mai 2003; Protokoll über Vernehmung des Sachverständigen Uwe Brocks am 11. März 2003 vor dem VG Wiesbaden - 4 E 1641/00.A(1) -; VG Düsseldorf, Urteil vom 6. April 2004 - 22 K 7796/02.A).

Nach Auffassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (Auskunft vom 23. August 2000 an das VG Köln) sind von einer besonderen Gefährdung vor allem Personen betroffen, die

- Führungs- oder Funktionsaufgaben wahrnehmen oder für solche Ämter kandidieren (insbesondere dem Vorstand angehörende Personen),

- an Veranstaltungen teilnehmen, die führenden Mitgliedern der Organisation vorbehalten sind, ohne erkennbar Außenstehende zu sein oder

- Verantwortung für Presseerzeugnisse, öffentliche Veranstaltungen oder wirtschaftliche Belange der Organisation übernehmen.

Diese Anforderungen an eine hinreichend wahrscheinliche Gefährdung im Falle der Rückkehr erfüllt der Kläger.