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VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 21.10.2005 - 7 UZ 2005/05.A - asyl.net: M7652
https://www.asyl.net/rsdb/M7652
Leitsatz:

Die Qualifikationsrichtlinie ist vor Ablauf der Umsetzungsfrist noch nicht direkt anwendbar.

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Kroatien, Krankheit, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Situation bei Rückkehr, Sozialhilfe, Anerkennungsrichtlinie, ernsthafter Schaden, allgemeine Gefahr, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, Unterzeichnerstaat
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c; EGV Art. 249 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Qualifikationsrichtlinie ist vor Ablauf der Umsetzungsfrist noch nicht direkt anwendbar.

(Leitsatz der Redaktion)

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor dieses Beschlusses näher bezeichnete Urteil ist gemäß § 78 Abs. 4 AsylVfG statthaft. Der Antrag bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Denn keiner der vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe greift ein.

Der zunächst geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG liegt nicht vor.

Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob in Kroatien im Falle der Rückkehr für Schwerkranke die ärztliche und fachärztliche und für Risiko-Schlaganfallpatienten die fachärztliche Behandlung in dem erforderlichen Umfang sichergestellt ist.

Hierzu hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. März 2000 zutreffend ausgeführt, dass die medizinische Versorgung in Kroatien gewährleistet ist. Aus dieser Auskunft ergibt sich weiter, dass auch chronische Krankheiten ohne Einschränkung im öffentlichen Gesundheitswesen behandelt werden. In den letzten Jahren ist das medizinische Versorgungssystem in Kroatien weiter ausgebaut worden. Nunmehr ist flächendeckend eine ambulante und eine stationäre Behandlung grundsätzlich aller Erkrankungen - und damit auch für die beiden vom Kläger bezeichneten Personengruppen - möglich (Deutsche Botschaft vom 05.04.2005 an VG Lüneburg). Des Weiteren ist die Versorgung mit Medikamenten in Kroatien gewährleistet. Die staatlichen Apotheken führen alle gängigen Medikamente (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.03.2000). Ferner müssen Rückkehrer grundsätzlich nicht befürchten, die für sie notwendige medizinische Versorgung aus finanziellen Gründen nicht erreichen zu können. Alle Rückkehrer erhalten zunächst eine für sechs Monate gültige sog. "Rückkehrerkarte", wenn sie sich bei dem kroatischen Flüchtlingsamt (OPDR) registrieren lassen. Damit wird ihnen eine medizinische Grundversorgung ermöglicht und sie bekommen - in Abhängigkeit von ihrer konkreten persönlichen Situation - einen bestimmten Geldbetrag zugeteilt (Gutachten des UNHCR vom 01.02.2002). Rückkehrer, die bereits vor ihrer Ausreise in Kroatien ihren Wohnsitz hatten und Krankenversicherungsbeiträge gezahlt haben, werden nach ihrer Anmeldung bei der für ihren Wohnsitz zuständigen Behörde wieder in die staatliche Krankenversicherung aufgenommen. Wurden nie Beiträge an die staatliche Krankenversicherung gezahlt und wird kein Arbeitsverhältnis eingegangen, besteht die Möglichkeit, als Selbstzahler mit einem monatlichen Mitgliedsbeitrag von ca. 25,00 in die Krankenversicherung aufgenommen zu werden. Bei nachgewiesener Mittellosigkeit werden die Behandlungskosten durch das örtlich zuständige Sozialamt nach dem "Gesetz für die soziale Fürsorge" übernommen. Diese Sozialleistungen stehen allen kroatischen Staatsangehörigen zu, so dass alle Rückkehrer bei nachgewiesener Mittellosigkeit die erforderlichen medizinischen Leistungen in Anspruch nehmen können. Auch bei der Notwendigkeit längerer ärztlicher Behandlung werden Unterstützungsleistungen gewährt (Auskünfte der Deutschen Botschaft vom 29.07. und 31.10.2003 jeweils an BAAFl).

Der Kläger hält weiter sinngemäß für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob erwerbsunfähige, ältere Personen im Falle ihrer Rückkehr nach Kroatien das wirtschaftliche Existenzminimum sichern können.

Diese Tatsachenfrage ist angesichts der eindeutigen Quellenlage ebenfalls nicht klärungsbedürftig. Hierzu ergibt sich aus den vorliegenden Auskünften, dass wohnungslose Personen von den kroatischen Behörden in Sammelunterkünften, Hotels oder leerstehenden Gebäuden untergebracht werden. Alle bedürftigen Personen haben unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit Zugang zur Sozialhilfe, die allerdings die Kosten einer Lebenshaltung in den Großstädten nicht vollständig abdeckt. Das Bestehen weiterer Einkunftsquellen ist weit verbreitet (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 20.06. und 29.06.2000 jeweils an VG Magdeburg). Hieraus folgt, dass der Bedarf für Lebensmittel und Kleidung grundsätzlich nicht vollständig abgedeckt wird, weil - wie im Fall des Klägers - der verbleibende Restbedarf durch andere Einkünfte in gewissem Umfang abgesichert werden kann. Ohne dass es insoweit für die Entscheidung über die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung noch darauf ankommt, wird darauf hingewiesen, dass der Kläger die Möglichkeit hat, finanzielle Hilfe durch seine beiden noch lebenden Brüder und seine zwei in den Niederlanden lebenden Schwestern zu erhalten. Ein Leben unterhalb des Existenzminimums ist deshalb für ihn nicht beachtlich wahrscheinlich.

Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen sind ebenfalls nicht klärungsbedürftig.

Soweit der Kläger sinngemäß die Frage aufwirft, ob die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über "Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes" - sog. Qualifikationsrichtlinie - bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist von den Gerichten zu beachten ist, ergibt sich eine Klärung bereits aus dem Zusammenhang mit anderen europarechtlichen Regelungen. Aus Art. 249 Abs. 3 EGV folgt, dass sich Richtlinien allein an die Mitgliedsstaaten richten (hierzu: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl., Art. 249 Rdnr. 37). Der Einzelne kann grundsätzlich erst nach der Umsetzung durch nationales Recht aus den entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften berechtigt und verpflichtet werden. Nur in den Fällen, in denen ein Mitgliedsstaat eine Richtlinie nicht fristgerecht oder nur unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat und in denen die Bestimmungen der Richtlinie unbedingt und hinreichend genau sind, kann sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil die Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie gemäß Art. 38 Abs. 1 dieser Richtlinie erst am 10. Oktober 2006 abläuft (vgl. hierzu Bay. VGH, B. v. 02.05.2005 - 14 B 02.30703 -; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 18.05.2005 - 11 A 533/05.A - beide zit. n. juris).

Ferner verstößt die Wertung des nationalen Gesetzgebers in § 60 Abs. 7 AufenthG und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht möglicherweise gegen Art. 15c Qualifikationsrichtlinie. Die vom Kläger angesprochene Frage, ob ein "ernsthafter Schaden" in Form einer "ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson" im Sinne von Art. 15c Qualifikationsrichtlinie auch dann vorliegt, wenn hiervon eine Bevölkerungsgruppe im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG betroffen ist, lässt sich nämlich zweifelsfrei verneinen. Denn die Erwägungen in der Präambel der Richtlinie legen unter Nr. 26 gerade fest, dass Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen sind (so zutreffend auch VG Stuttgart, U. v. 21.01.2005 - A 12 K 10986/04 - u. VG Köln, U. v. 17.06.2005 - 18 K 5407/01.A - beide zit. n. juris).