VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 28.04.2005 - 7 E 1504/02.A - asyl.net: M7658
https://www.asyl.net/rsdb/M7658
Leitsatz:
Schlagwörter: Georgien, Jesiden, Kurden, Gruppenverfolgung, mittelbare Verfolgung, politische Entwicklung, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, medizinische Versorgung, psychische Erkrankung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klägerin kann sich auch nicht auf ein Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 1 AufenthG berufen.

In Übereinstimmung mit der veröffentlichten obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG Münster, 20.07.2000 - 11 A 2183/00.A -, juris [nur Ls.]; OVG Koblenz, 23.03.1998 - 11 A 10615/98 -, juris) ist das Gericht der Auffassung, dass in Georgien jezidischen Kurden auch unter Zugrundelegung der heutigen Lage, genauso wenig wie in der Vergangenheit, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung wegen ihrer Volks- oder Religionszugehörigkeit droht.

Nach der Überzeugung des Gerichts waren jezidische Kurden in Georgien zum Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin im Januar 2002 keiner dem georgischen Staat zurechenbaren politischen Verfolgung im vorgenannten Sinne ausgesetzt. Zum Ausreisezeitpunkt sprachen die Vertreter der traditionellen Jeziden, die sich selbst nicht als Kurden bezeichnen und sich entsprechend in erster Linie als eigenständige Volksgruppe und nicht als Religionsgemeinschaft verstehen, von ca. 15.000 in Georgien, größtenteils in Tiflis lebenden, Jeziden (Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 23.03. und 05.10.2000 sowie vom 06.04.2001). Nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes gab es sehr große wirtschaftliche und soziale Probleme für die Volksgruppe der Jeziden, deren Angehörige zumeist den ärmsten Schichten Georgiens entstammen. Das Auswärtige Amt verfügte aber über keine Anhaltspunkte dafür, dass Jeziden und Kurden in Georgien staatlicher Repression in Form von Misshandlungen, Erpressungen, Drohungen oder Eigentumsbeschädigungen ausgesetzt sind. Allerdings wird von Fällen von Diskriminierungen im Alltag und Benachteiligungen im Verkehr mit staatlichen Behörden, insbesondere der Polizei, berichtet (a.a.O.). Es handelt sich danach nach Einschätzung georgischer Menschenrechtsorganisationen um Einzelfälle, die eher durch unzureichende Ausstattung und Qualifikation der Sicherheitsorgane zu erklären sind als durch generelle Schutzunwilligkeit oder eine staatliche Billigung der Übergriffe Dritter (a.a.O.).

Auch UNHCR konnte keine Fälle von Verfolgung von Jeziden feststellen (Rat der Europäischen Union, Zusammenfassung der Beratungen über Georgien, 30.04.2001, S. 20, 3. Abs.).

Eine Gruppenverfolgung von Jeziden in Georgien lässt sich auch aktuell nicht feststellen.

Das Auswärtige Amt berichtet in seinen Lageberichten vom 08.04.2002 und 24.03.2004 davon, dass in Georgien, größtenteils in Tiflis, nur noch ca. 10.000 Jeziden leben, nach wie vor mit sehr großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Das Auswärtige Amt beobachte intensiv die Lage von Jeziden in Georgien und sei in einem ständigen Dialog mit Vertretern dieser Volksgruppe. Trotz dieser kontinuierlichen aufmerksamen Beobachtung der Situation der Jeziden verfüge das Auswärtige Amt aber über keine Anhaltspunkte dafür, dass Jeziden und Kurden auf Grund ihrer religiösen oder ethnischen Identität in Georgien staatlicher Repression in Form von Misshandlungen, Erpressungen, Drohungen oder Eigentumsbeschädigungen ausgesetzt sind. Es werde allerdings weiterhin von Fällen von Diskriminierungen im Alltag und Benachteiligungen im Umgang mit einzelnen Vertretern staatlicher Behörden, insbesondere der Polizei, berichtet. Es handele sich dabei aber auch nach Einschätzung georgischer Menschenrechtsorganisationen um Einzelfälle, die eher durch unzureichende Ausstattung und Qualifikation der Sicherheitsorgane zu erklären sind als durch generelle Schutzunwilligkeit oder eine staatliche Billigung der Übergriffe Dritter; im Übrigen seien von derartigen Fällen nicht ausschließlich Jeziden, sondern auch Angehörige anderer Minderheiten betroffen (a.a.O.).

Nach dem "Reisebericht Georgien - 18.-25. Mai 2003" des Österreichischen Roten Kreuzes (ACCORD; Verfasserin: Maike Vergin) vom 01.07.2003 ist ebenfalls die wirtschaftliche Situation georgischer Jeziden generell sehr schlecht und es gibt Probleme beim Zugang zu Bildung (S. 30). Gegenüber der Verfasserin hat allerdings der Vertreter einer Nichtregierungsorganisation, nämlich des Caucasian Institute for Peace, Democracy and Development (CIPDD) angegeben, dass sowohl Jeziden als auch Kurden generell keine Probleme hätten (a.a.O.).

Demgegenüber referiert die "Georgien Lageanalyse Februar 2002" der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 05.03.2002 im Wesentlichen die Position der IGFM, die verschiedentlich über Hänseleien und Gewalt gegen Kinder von Jeziden und über Diebstahl von Eigentum berichtet habe sowie darüber, dass die Opfer von den zuständigen Stellen bedroht würden anstatt gegen die Täter vorzugehen (S. 20) und wendet sich gegen die vom Auswärtigen Amt vertretene Einstufung. Konkrete Einzelfälle werden hier nicht genannt.

Insgesamt bieten die dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel keine zureichenden Anhaltspunkte für eine unmittelbare oder mittelbare Gruppenverfolgung der Jeziden in Georgien. Eine gelegentlich vorkommende Verweigerung der Unterstützung bei der Verfolgung von Übergriffen begründet eine dem Staat zurechenbare mittelbare Gruppenverfolgung nicht (OVG Münster, a.a.O., S. 12 d. amtl. Umdr.).

Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass sich in Georgien die Achtung und der Schutz der Menschenrechte zwischen 1995 und 1997 - von einem niedrigen Niveau aus - kontinuierlich verbessert hat; in den letzten Jahren sind demgegenüber nur wenige Fortschritte auf dem Weg zur Bewältigung der noch verbleibenden menschenrechtlichen Defizite erzielt worden (Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 08.04.2002 und 24.03.2004).