VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Beschluss vom 01.08.2005 - S4 V 594/05 - asyl.net: M7664
https://www.asyl.net/rsdb/M7664
Leitsatz:

Eilbedürftigkeit bei Kürzung der Leistungen nach § 1 a AsylbLG; keine Kürzung nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG, solange die Abschiebung durch einen Erlass ausgesetzt ist (hier: Roma aus dem Kosovo).

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit, Vorwegnahme der Hauptsache, Serbien und Montenegro, Roma, Kosovo, Mitwirkungspflichten, Abschiebungsstopp, Erlasslage, Vertretenmüssen, Abschiebungshindernis, Leistungskürzung
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; AsylbLG § 3; AsylbLG § 1a Nr. 2; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Eilbedürftigkeit bei Kürzung der Leistungen nach § 1 a AsylbLG; keine Kürzung nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG, solange die Abschiebung durch einen Erlass ausgesetzt ist (hier: Roma aus dem Kosovo).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag ist insoweit zulässig, insbesondere ist ein Anordnungsgrund gegeben.

Gem. § 86 b Abs. 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO gelten entsprechend.

In einer Reduktion der Grundleistungen auf das unabweisbar Gebotene liegt ein solcher wesentlicher und irreversibler Nachteil, der den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Sinne von § 83 b SGG rechtfertigt. Grundsätzlich darf das Gericht nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt dieses Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung jedoch dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes notwendig ist, d.h., wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.

Der Antrag ist insoweit auch begründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 87 b SGG i.V.m. § 920, § 294 ZPO).

Die Kürzung der Grundleistung auf das unabweisbar Gebotene ist nach der hier einschlägigen Alternative des § 1 a Nr. 2 AsylblG dann gerechtfertigt, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht durchgeführt werden können aus Gründen die der Ausländer zu vertreten hat. Davon geht die Antragsgegnerin offenbar seit dem 01.01.2005 vorliegend und in zahlreichen anderen Fällen aus, in denen die Betroffenen über eine Duldung verfügen oder in denen die Ausländerbehörde mitteilt, die Betroffenen hätten ihre Mitwirkungspflichten verletzt.

Im Ergebnis sind die Leistungskürzung nach § 1 a AsylbLG aus den genannten Gründen in den Fällen nicht haltbar, in denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen wegen der Erlasslage ohnehin nicht in Betracht kommen. Das wäre erst nach Auslaufen des jeweiligen Erlasses zulässig. Die Antragsgegnerin wendet ein, zu den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gehöre auch die Vorbereitung dazu. Behindere jemand bereits in diesem Stadium, so müsse das Sanktionsfolgen haben. Die Erlasse änderten nichts an der Verpflichtung des Betroffenen, die Ausreisefähigkeit (i.d.R. durch Passbeschaffung) dem Grunde nach herzustellen.

Dem ist entgegenzuhalten, dass § 1 a AsylbLG eindeutig einen Kausalzusammenhang zwischen dem Vollzug der Abschiebung und dem Verhalten der Betroffenen herstellt. Wo schon ein Vollzug der Abschiebung nicht in Aussicht steht, fehlt es an der gesetzlich verlangten Kausalität des Verhaltens.

Das ergibt sich auch aus der Intention des Gesetzes : Menschen, die voraussichtlich länger als 36 Monate in Deutschland sind, sollen ausgehend vom Individualisierungsgrundsatz der Sozialhilfe ein existentiell gesichertes und sozial integriertes Leben führen können, denn das AsylbLG stellt in aller Regel auf einen kurzen oder vorübergehenden Aufenthalt ab (BT-Drs. 13/2746). Es soll zwischen denjenigen Ausländern unterschieden werden, die unverschuldet nicht ausreisen können und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht nachkommen (BT-Drs. 22/03, S. 296 vom 16.1.2003). Deswegen wird nach 36 Monaten die Erhöhung der Leistungen entsprechend SGB XII von Amts wegen geprüft. Eine weitere Reduktion der Grundleistungen hingegen ist aufgrund des Verhaltens der Betroffenen erst zulässig, wenn eine Abschiebung (demnächst) in Betracht kommt. Dann wird auch zu bewerten sein, wieviele Monat der Betroffene vorher Zeit hatte, seine Papiere zu beschaffen etc. Aber Sanktionen im Sinne von empfindlicher Kürzung des Lebensunterhalts dürfen nicht zu Zeiten entfaltet werden, zu denen von einer monatelangen Fortdauer des Aufenthalts auszugehen ist. Das widerspricht der Gesetzesbegründung, auch wenn dies die einzige Druckmöglichkeit auf die Betroffenen zu sein scheint.