VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Beschluss vom 28.07.2005 - S4 V 1256/05 - asyl.net: M7666
https://www.asyl.net/rsdb/M7666
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Serbien und Montenegro, Roma, Kosovo, Mitwirkungspflichten, Leistungskürzung, Abschiebungsstopp, Erlasslage, Vertretenmüssen, Abschiebungshindernis, Ausländerbehörde, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Vorwegnahme der Hauptsache
Normen: AsylbLG § 3; AsylbLG § 1a Nr. 2; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

II. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist ein Anordnungsgrund gegeben.

Gem. § 86 b Abs. 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung für Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für nötig erscheint.

In einer Reduktion der Grundleistungen auf das unabweisbar Gebotene liegt ein solcher wesentlicher und irreversibler Nachteil, der den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Sinne von § 83 b SGG rechtfertigt. Grundsätzlich darf das Gericht nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt dieses Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung jedoch dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes notwendig ist, d.h., wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.

Diese Voraussetzungen liegen vor.

Die Grundleistungen für Asylbewerber und andere Ausländer betragen ca. 1/3 weniger als die Sozialhilfeleistung nach SGB XII und vergleichbaren Sozialgesetzen. In dieser Differenz allein liegt noch kein Anordnungsgrund (vgl. VG Bremen, B. v. 10.5.2005, S4 V 295/05). Werden diese Leistungen jedoch zusätzlich gekürzt auf das unabweisbar Gebotene, so stehen dem betroffenen Haushaltsvorstand monatlich nur noch 138,57 Euro für die Lebenshaltung zur Verfügung, den anderen Haushaltsmitgliedern 125,27 Euro bzw. 84,36 Euro (neben den angemessenen Kosten für Unterkunft, Wasser, Haushaltsenergie und Heizung, vgl. Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.4.2005). Der Geldbetrag für persönliche Bedürfnisse wird ebenso völlig gestrichen wie die Bekleidungspauschale.

Dieser Betrag schließt die Befriedigung von Bedürfnissen neben der reinen Ernährung auf niedrigem Niveau aus. In diesem Ausschluss liegt - wäre er bei summarischer Prüfung als rechtswidrig anzusehen - ein irreversibler Nachteil, denn die Befriedigung wenigstens bescheidende Bedürfnisse, die über das Existenznotwendige hinausgehen, kann für die Vergangenheit nicht nachgeholt werden und könnte auch durch die evtl. Nachbewilligung der Differenzbeträge nicht sinnvoll wieder gut gemacht werden (vgl. auch SozG Hannover, B. v. 18.7.2005, S 51 AY 73/05 ER zu § 2 AsylbLG).

Das Gebot effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) wäre daher verletzt, könnten sich die Antragsteller nicht gegen die Kürzung der Leistungen auf das unabweisbar Gebotene wehren.

III. Der Antrag ist auch begründet. Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 87 b SGG i.V.m. § 920, § 294 ZPO).

Die Kürzung der Grundleistung auf das unabweisbar Gebotene ist nach der hier einschlägigen Alternative des § 1 a Nr. 2 AsylblG dann gerechtfertigt, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht durchgeführt werden können aus Gründen die der Ausländer zu vertreten hat.

Die Antragsgegnerin ist bereits am 16.3.2005 darauf hingewiesen worden, dass die Voraussetzungen des § 1 a Abs. 1 Nr. 2 AsylblG in Fällen wie denen der Antragsteller, die wegen der Erlasslage nicht abgeschoben werden, ohnehin nicht vorliegen. Das gilt auch aktuell noch für Angehörige des Volkes der Roma.

Die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen (Abschiebung) werden wegen des Erlasses nicht vollzogen (selbst wenn alle anderen Voraussetzungen, Dokumente etc. vorlägen). Auf "von ihnen zu vertretende Gründe" kommt es so lange nicht an. Außerdem geht es um den Vollzug der Abschiebung, insoweit ist der Gesetzestext eindeutig, und nicht um die gesamte Zeit der Vorbereitung, Papierbeschaffung etc. In der Kommentierung ist daher von Passvernichtung, Widerstandshandlungen, Untertauchen die Rede, alles Beispiele der Vereitelung einer an sich möglichen Abschiebung.

Die Verwaltungsanweisung zu § 1a AsylbLG führt dementsprechend aus, bei Zif. 2 handele es sich um Ausländer, deren Aufenthalt aus von ihnen zu vertretenden Gründen nicht beendet werden kann. Den Erlass und die deswegen erteilten Duldungen haben die Ausländer nicht zu vertreten. Das ergibt sich auch aus dem letzten Absatz der VerwA zu § 1 a : in den Fällen des § 1a habe es der Leistungsberechtigte selbst in der Hand, ob ihm für die Zukunft (wieder) reguläre Leistungen zu gewähren sind. Dies sei u.a. dann der Fall, wenn es nicht mehr an ihm liege, ob aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet werden können. Diese Maßnahmen können bei den aufgrund Erlasses Geduldeten aber ohnehin nicht eingeleitet werden. Auf die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise kommt es nach dem Tatbestand des § 1 a nicht an. Sie spielt eine Rolle bei der Unterscheidung von § 3 und § 2 AsylbLG.

Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Die Organisation der internen Abläufe zwischen der Antragsgegnerin und der Ausländerbehörde kann nicht den Antragstellern zum Nachteil gereichen. Treten daher bei der Ausländerbehörde - aus welchen Gründen auch immer - Verzögerungen hinsichtlich der erforderlichen Information der Antragsgegnerin über den ausländerrechtlichen Status der Betroffenen auf oder gibt es Anhaltspunkte für unzutreffende Hinweise zum angeblichen Fehlen von Unterlagen - so etwa im Parallelfall A.G. (VG Bremen, S 4 V 1255/05, B. vom 19.7.2005) - so muss sich die Antragsgegnerin das zurechnen lassen, es handelt sich bei beiden Behörden um solche der Stadtgemeinde Bremen.