LSG Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2005 - L 7 AY 3115/05 ER-B - asyl.net: M7710
https://www.asyl.net/rsdb/M7710
Leitsatz:

§ 7 Abs. 4 AsylbLG ist nicht auf Mitwirkungspflichten anwendbar, die sich nicht aus dem AsylbLG ergeben (hier: Mitwirkung bei der Passbeschaffung nach § 15 Abs. 2 AsylVfG).

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Vollzug, Vertretenmüssen, Passlosigkeit, Mitwirkungspflichten, Auslandsvertretung, Liberia, Nigeria, Staatsangehörigkeit ungeklärt, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AsybLG § 1a Nr. 2; AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 3; AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 4; AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 6; SGG § 86b Abs. 2; AsylbLG § 7 Abs. 4; SGB I § 66
Auszüge:

§ 7 Abs. 4 AsylbLG ist nicht auf Mitwirkungspflichten anwendbar, die sich nicht aus dem AsylbLG ergeben (hier: Mitwirkung bei der Passbeschaffung nach § 15 Abs. 2 AsylVfG).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die rechtzeitig schriftlich erhobene Beschwerde (§ 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist begründet. Das Sozialgericht Reutlingen - SG - hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht stattgegeben. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.

Im Falle des Antragstellers fehlt es insbesondere am Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. Der Antragsteller hat aufgrund der zwingenden Vorschrift des § 1a Nr. 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes - AsylbLG - keinen Anspruch auf ungekürzte Leistungen, denn aufenthaltsbeendende Maßnahmen können derzeit aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden. Der Asylantrag des Antragstellers wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30. Januar 2004 als offensichtlich unbegründet abgelehnt (§ 30 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG -). Der Antragsteller ist daher vollziehbar ausreisepflichtig, da seine Klage keine aufschiebende Wirkung hatte (§ 75 AsylVfG) und nachdem auch sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage vom Verwaltungsgericht Freiburg mit Beschluss vom 23. März 2004 abgelehnt worden ist (A 1 K 10218/04).

Diese Abschiebungsandrohung kann derzeit nicht vollzogen werden, da dem hierfür zuständigen Regierungspräsidium Stuttgart keine Identitätspapiere vorgelegt worden sind. Der Antragsteller ist unabhängig von seiner behaupteten liberianischen Staatsangehörigkeit nach § 15 Abs. 2 Nrn. 3, 4, 6 AsylVfG auch zur Mitwirkung bei der Beschaffung von Papieren für ein aufnahmebereites anderes Land verpflichtet. Dazu gehört auch die geforderte Vorsprache bei der nigerianischen Botschaft, da ein solches aufnahmebreites Land nach den Feststellungen des Bundesamtes in seinem Falle Nigeria sein kann. Dorthin ist auch die Abschiebung angedroht worden. Die mangelnde Mitwirkung ist kausal dafür, dass keine Papiere beschafft und damit aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, wie es Voraussetzung für die Leistungseinschränkung nach § 1a AsylblG ist.

Der angegriffene Bescheid ist auch nicht aus den vom SG angenommenen, verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig. Die Leistungsminderung ergibt sich nämlich, anders als die Ablehnung gemäß § 66 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -, unmittelbar aus dem Gesetz (§ 1a Nr. 2 AsylblG) und beruht nicht auf einer Ablehnungsentscheidung des Antragsgegners wegen fehlender Mitwirkung im Sinne des § 66 SGB I. Zwar verweist § 7 Abs. 4 AsylblG auf die Mitwirkungsvorschriften der §§ 60 bis 67 SGB I. Selbst wenn man diese Verweisung auf alle Mitwirkungspflichten des Asylbewerberleistungsgesetzes anwendet und nicht nur auf die im Rahmen der Einkommens- und Vermögensermittlung nach § 7 AsylblG (so wohl VG Hamburg InfAuslR 2002, 412 und VG Greifswald NordÖR 2000, 205 und GK-AsylblG Rdnr. 131 zu § 7), betrifft sie nicht Mitwirkungspflichten, die sich aus anderen Gesetzen ergeben. Im Falle des Antragstellers geht es um die Durchsetzung der Mitwirkungspflichten insbesondere aus § 15 Abs. 1 Nrn. 3 und 6 AsylVfG. Schon aus diesem systematischen Grund greift hierfür die Verweisungsvorschrift des § 7 Abs. 4 AsylbLG nicht. Verlangt wird vor Erlass eines entsprechenden Bescheides zu Recht lediglich die Anhörung des Betroffenen (GK-AsylbLG Rdnr. 107 zu § 1a). Diese ist hier erfolgt. Der Antragsteller hatte auch ausreichend Zeit und Gelegenheit, die Mitwirkungshandlung nachzuholen oder seine Bereitschaft hierzu zu erklären und so die Leistungskürzung zu vermeiden.

Dass diese Auslegung der Verweisungsvorschrift des § 7 Abs. 4 AsylbLG richtig ist, ergibt sich auch aus folgenden Überlegungen: Die §§ 60 bis 67 SGB I dienen der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes zur Entscheidung über die Bewilligung von Sozialleistungen. Die Ablehnung einer Leistung nach § 66 Abs. 3 SGB I ist an die Voraussetzung geknüpft, dass wegen der fehlenden Mitwirkung die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen sind. Um einen solchen Sachverhalt geht es im vorliegenden Fall nicht. Die Voraussetzungen für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind vielmehr gegeben, jedenfalls zwischen den Beteiligten nicht zweifelhaft. Die Mitwirkungspflichten des § 15 AsylVfG bezwecken - anders als die aus § 7 Abs. 1-3 AsylblG oder aus den §§ 60 ff SGB I - nicht die Aufklärung eines asylerheblichen und insbesondere nicht die eines für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz maßgeblichen Sachverhaltes. Sie dienen vielmehr der Durchsetzung ausländerrechtlicher Pflichten eines Asylbewerbers. Die Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG beruht nicht auf dem Empfänger zurechenbarer, mangelnder Sachverhaltsaufklärung, sondern sie stellt eine Sanktion für die Verletzung anderer, nicht der Sachverhaltsaufklärung dienender Pflichten dar. Für diese enthält § 66 SGB I keine Regelungen.