SG Berlin

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Zitieren als:
SG Berlin, Beschluss vom 14.03.2005 - S 38 AY 13/05 ER - asyl.net: M7719
https://www.asyl.net/rsdb/M7719
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Hilfe zum Lebensunterhalt, Studenten, Ausbildung, Auszubildende, Asylbewerber, Härtefall, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGB XII § 22 Abs. 1 S. 1; BAföG § 8; SGB XII § 22 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

Die Antragstellerin hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht mit der hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, die eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen würde, § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.

Die Ausschlussnorm des § 22 SGB XII, die nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung die Gewährung des sogenannten ausbildungsgeprägten Bedarfes ausschließt, ist im Rahmen des § 2 AsylbLG anwendbar (ständige Rechtsprechung, vgl. zur wortgleichen Vorgängernorm des § 26 BSHG etwa BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 1986 - 5 B 8/86 -; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 23. September 1988 - 1 W 380/88 -, FEVS 38, 116; OVG Münster, Urteil vom 25. Juli 1985, InfAuslR 1986, 286, 287; VG Aachen, Beschluss vom 28. April 2000 - 2 L 1428/99 - InfAuslR 2000, 351 ff.).

Der Anwendung des § 22 SGB XII auf die Antragstellerin steht auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin auch ohne ihre Ausbildung ihren Lebensunterhalt nicht sichern könnte, weil ihr durch ausländerbehördliche Anordnung jede selbständige oder vergleichbare unselbständige Erwerbstätigkeit untersagt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits vielfach entschieden, dass ein Hilfesuchender von der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt, mittels deren der gewöhnliche Bedarf zur Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhaltes gedeckt werden soll, auch dann ausgeschlossen ist, wenn es ihm im Zeitpunkt der Aufnahme einer Ausbildung, die im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes förderungsfähig ist oder während des Betreibens einer solchen Ausbildung aus einem Rechtsgrund oder mangels einer Arbeitsgelegenheit nicht möglich ist, eine Arbeit aufzunehmen, vermöge deren die Inanspruchnahme von Sozialhilfe entbehrlich werden könnte (BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 1986 - 5 B 8/86 -). Dieser Umstand ändert nichts daran, dass auch in diesem Fall der Bedarf ausbildungsgeprägt im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist: Der Hilfesuchende betreibt eine der genannten Ausbildungen und benötigt deshalb in einem unmittelbaren Sinne Hilfe zum Lebensunterhalt; der Hilfesuchende begehrt sie, um die Ausbildung betreiben zu können, die er - wovon ausgegangen werden muss - begonnen hat, mit dem Ziel, sie bis zum (erfolgreichen) Abschluss fortzusetzen (BVerwG, a.a.O.).

Ausgehend von dieser Gesetzesauslegung, die sich die beschließende Kammer zu eigen macht, ist ein Bedarf für den Lebensunterhalt eines Auszubildenden nicht bereits dann nicht mehr ausbildungsgeprägt, wenn er auch im Falle der Aufgabe der Ausbildung bestünde, sondern lediglich dann, wenn er durch besondere Umstände - wie beispielsweise Krankheit oder Unglücksfall - bedingt ist, die mit der Ausbildung nichts zu tun haben und von gewöhnlichen Gegebenheiten abweichen, es sich also um einen herkömmlicherweise nicht im Zusammenhang mit der Ausbildung stehenden Sonderbedarf handelt (OVG des Saarlandes, Beschluss vom 23. September 1988 - 1 W 380/88 -; OVG Münster, Beschluss vom 11.4.1985, FEVS 35, 34; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 28.7.1986, InfAuslR 1987, 55 und vom 21.5.1987, InfAuslR 1987, 245).

Trotz der somit vorliegend eingreifenden Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII könnte der Antragstellerin allerdings dann Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden, wenn es sich um einen besonderen Härtefall im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII handeln würde. So liegt der Fall hier jedoch nicht. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII macht die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an Personen, die einer im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung nachgehen, davon abhängig, dass ein besonderer Härtefall vorliegt. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff, der in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung unterliegt (OVG Münster, Urteile vom 25.7.1985, a.a.O., S. 288, und vom 14.11.1985, a.a.O., S. 222), ist nicht bereits dann erfüllt, wenn für den Auszubildenden in dem Ausschluss der Hilfe zum Lebensunterhalt und dem damit verbundenen mittelbaren Zwang, die Ausbildung abzubrechen, eine Härte liegt. Anderenfalls bliebe außer Betracht, dass der Gesetzgeber in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht allein von einem Härtefall, sondern von einem besonderen Härtefall spricht. Durch diese Verstärkung wird nämlich zum Ausdruck gebracht, dass ein außergewöhnlicher Ausnahmefall gegeben sein muss (OVG Münster, Urteile vom 25.7.1985, a.a.O., S. 289, und vom 14.11.1985, a.a.O., S. 222). Von daher ist es nicht möglich, § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auf alle in Ausbildung befindlichen oder studierenden Leistungsempfänger nach dem AsylbLG anzuwenden, denen - wie regelmäßig - eine selbständige oder vergleichbare unselbständige Erwerbstätigkeit ausländerbehördlich untersagt ist. Damit würde nämlich eine ganze Gruppe von Auszubildenden beziehungsweise Studierenden dem Grundsatz des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII entzogen und für einen zahlenmäßig nicht unerheblichen Personenkreis eine Ausbildungsförderung auf einer "zweiten Ebene", nämlich der der Sozialhilfe, gewährt. Das wäre durch die systematisch als Ausnahmebestimmung nach den Regeln der Methodenlehre einschränkend auszudeutende Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII (OVG des Saarlandes, Beschluss vom 29.1.1986 - 1 W 1556/86 - FEVS 36, 302) nicht mehr gedeckt und liefe der allgemeinen Zielrichtung des Satzes 1 dieser Norm (zur Vorgängernorm vgl. BVerwG, Urteil vom 12.2.1981, BVerwGE 61, 352 (359)) zuwider. Im weiteren kann für die Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht entscheidend darauf abgestellt werden, dass es deswegen sinnvoll sei, Leistungsempfängern nach dem AsylbLG, denen jede Erwerbstätigkeit untersagt ist, während des Bezugs von Hilfe zum Lebensunterhalt eine Ausbildung zu ermöglichen, weil nach Abschluss einer besonderen Ausbildung eine größere Chance bestehe, qualifizierte Arbeit zu finden und dadurch von Sozialhilfe unabhängig zu werden. Dies würde nämlich nur zu einer Verfestigung des Aufenthalts führen, bevor überhaupt ein endgültiges Bleiberecht feststeht.