VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 28.07.2005 - 7 A 1961/04 - asyl.net: M7720
https://www.asyl.net/rsdb/M7720
Leitsatz:
Schlagwörter: Ghana, Homosexuelle, Strafverfahren, Flüchtlingsbegriff
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 8; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Auch bezogen auf den geltend gemachten Nachfluchtgrund der drohenden Verfolgung aufgrund der behaupteten Homosexualität liegen die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter und die des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vor; aufgrund dieses Vorbringens ist eine Verfolgung des Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlich zu befürchten:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können auch solche persönlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen als Anknüpfungs- und Bezugspunkt für Verfolgung im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG und § 60 Abs. 1 AufenthG in Betracht kommen, die nach Art und Charakter den asylrechtlich stets erheblichen Merkmalen wie der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung vergleichbar sind. Voraussetzung dafür ist, dass die Verfolgung an eine Eigenschaft anknüpft, die dem Betroffenen "ohne eigenes Zutun, sozusagen schicksalhaft zufällt", und er deshalb aufgrund eines unabänderlichen persönlichen Merkmals anders ist, als er nach Ansicht des Verfolgers zu sein hat. In diesem Sinne asylrelevant ist allerdings nicht bereits die bloße, auf gleichgeschlechtliche Betätigung gerichtete Neigung, der nachzugeben mehr oder weniger im Belieben des Betreffenden steht, sondern nur die unumkehrbare schicksalhafte Festlegung auf homosexuelle Triebbefriedigung, bei welcher der Betreffende außerstande ist, eine gleichgeschlechtliche Betätigung zu unterlassen, sogen. irreversible Homosexualität (BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, BVerwG, 79, 143; Urteil vom 17. Oktober 1989 - 9 C 25.89 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 117 und dem folgend: OVG Bremen, Urteil vom 9. Februar 2000 - 2 A 411.98.A -, NordÖR 2001, 376; Sächsisches OVG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 B 145/03 -, juris; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 16. August 2004 - 5 K 2622/02.A -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 25. November 2004 - 2 A 2928/02 -, V.n.b.).

Nach der angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Gericht folgt, stellt die Bestrafung irreversibler, schicksalhafter Homosexualität politische Verfolgung im Sinne des Art. 16a Abs. GG dar, wenn die Untersagung einverständlicher homosexueller Betätigung unter Erwachsenen im Heimatland des Asylsuchenden nicht allein aus Gründen der dort herrschenden öffentlichen Moral erfolgt, sondern wenn der Asylbewerber bei einer Rückkehr in sein Heimatland für seine Person in die Gefahr gerät, mit schweren Leibesstrafen sowie der Todesstrafe belegt zu werden und mit deren Verhängung auch seine homosexuelle Veranlagung getroffen werden soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 1988, a.a.O., BVerwGE 79, 143, 150, 152).

Denn auch in der Bundesrepublik Deutschland waren einverständliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen bis zum Inkrafttreten des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) strafbar. So wurde nach § 175 StGB (Abschnitt Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit) in der genannten Fassung ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, mit Gefängnis (Höchststraße 5 Jahre, § 16 StGB a.F.) bestraft. Als strafrechtliches Schutzgut wurden das "allgemeine Wohl des deutschen Volkes in seiner sittlichen und gesundheitlichen Kraft" und die "Volksgesundheit und vor allem die Sittlichkeit" angeführt (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 1988, a.a.O., BVerwGE 79, 143, 148 m.w.N.).

Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies von Verfassungs wegen nicht beanstandet, weil homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen über den "engsten Intimbereich" hinausgingen und im Grenzbereich zwischen privatem und sozialem Bereich lägen, in der der Gesetzgeber auch mit Strafnormen eingreifen dürfe, sofern er sich dafür auf das Sittengesetz als rechtliche Schranke der freien Entfaltung der Persönlichkeit berufen könne (BVerfG, Urteil vom 10. Mai 1957 - 1 BvR 550/52 -, BVerfGE, 6, 389, 433 f.).

In entsprechender Weise führt auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem zu Art. 8 EMRK ergangenen Urteil vom 22. Oktober 1981 (- Fall Dudgeon -, NJW 1984, 541, 542 ff.) aus, dass grundsätzlich eine Regelung des männlichen homosexuellen Verhaltens im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der Moral notwendig sein könne.

Für die Frage, ob dem Betroffenen in seinem Heimatland deshalb Verfolgung droht, ist es ohne Bedeutung, dass sich seither in der Bundesrepublik Deutschland (und anderen Staaten) die sittlichen Anschauungen über homosexuelle Verhaltensweisen allgemein gewandelt haben. Insoweit ist allein entscheidungserheblich, ob es im Heimatland des Asylsuchenden durch die dort herrschenden Vorstellungen ein Bedürfnis für ein Verbot aus Gründen der öffentlichen Moral vorhanden ist. Das Asylrecht hat nicht die Aufgabe, möglicherweise gewandelte moralische Anschauungen in der Bundesrepublik Deutschland über homosexuelles Verhalten in anderen Staaten durchzusetzen (BVerwG, Urteil vom 15. März 1988, a.a.O., BVerwGE 79, 143, 149).

Nach Maßgabe dessen muss der Kläger wegen der behaupteten Homosexualität in Ghana Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten: Zunächst werden homosexuelle Männer ist Ghana nicht allein wegen ihrer Veranlagung verfolgt. Soweit bestimmte homosexuelle Betätigungen in Ghana strafbar sind, knüpft eine hierauf beruhende strafrechtliche Verfolgung nicht auf die sexuelle Veranlagung, sondern an ein bestimmtes äußeren Verhalten an.

Soweit nach dem ghanaischen Strafrecht homosexuelle Sexualpraktiken unter Strafe gestellt werden, muss der Kläger - die behauptete homosexuelle Veranlagung unterstellt - mit einer asylerheblichen Verfolgung nicht rechnen. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes ist nach Art. 99 und 104 Abs. 1 und 2 Strafgesetz (Criminal Code) der Geschlechtsverkehr mit einer Person in unnatürlicher Weise oder mit einem Tier strafbar ("unnatural carnal knowledge"); hierunter wird auch der gleichgeschlechtliche Sexualverkehr erfasst. In der Strafrechtspraxis von Ghana wird bereits der begonnene Geschlechtsverkehrs (mit geringfügiger Penetration) strafrechtlich geahndet; andere homosexuelle Handlungen fallen nicht unter dem Begriff der Sodomie. Der gleichgeschlechtliche Geschlechtsakt in gegenseitigem Einvernehmen bei Personen von 16 Jahren und älter wird als Vergehen (Verfehlung) im Sinne einer minderschweren Tat ("misdemeanour") angesehen und in einem verkürztem Verfahren ("summary proceedings") mit einer Haftstrafe bis zu drei Jahren geahndet (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 25. Mai 2005).

Durch die Verhängung und Vollstreckung einer Strafe nach den angeführten ghanaischen Strafnormen soll auch nicht die homosexuelle Veranlagung des Täters getroffen werden. Dies wird bereits dadurch deutlich, dass nicht sämtliche, sondern nur bestimmte homosexuelle Betätigungen (mit geringfügiger Penetration) unter Männern strafbewehrt sind. Des Weiteren geht das Gericht davon aus, dass die angeführte Strafnorm in Ghana allein die Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral bezweckt und nicht daneben auch die Betroffenen wegen ihrer homosexuellen Veranlagung getroffen werden soll. Aus den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergeben sich keine Hinweise auf eine andere Zielrichtung der Strafverfolgung. So führt das Auswärtige Amt aus, in Ghana lasse sich eine nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis nicht feststellen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5. November 2004).

Hierfür spricht ferner, dass es sich bei der vorgesehenen Strafe bei bestimmten einverständlichen homosexuellen Handlungen unter Erwachsenen - Höchststrafe 3 Jahre Gefängnis - nicht um eine offensichtlich unerträglich harte Strafe handelt, wie dies bei Verhängung der Todesstrafe oder besonders langjähriger Gefängnisstrafen ohne Weiteres anzunehmen ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass die drohende Bestrafung unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt schlechthin unangemessen zur Ahndung eines Verstoßes gegen die öffentliche Moral ist, der sich im Grenzbereich zwischen privatem und sozialem Bereich ereignet. Wie dargelegt, drohte für einverständliche homosexuelle Handlungen unter erwachsenen Männern in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahre.

Auch nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) liegt bezogen auf § 60 Abs. 1 AufenthG eine Verfolgung des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht vor. Hiernach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sein Leben oder seine Freiheit u.a. wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bedroht ist. Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft (§ 60 Abs. 1 S. 3 AufenthG). Hiernach ist auch die Verfolgung wegen einer sexuellen Veranlagung als asylrechtlich beachtliche Verfolgung anzusehen; dies entsprach aber bereits der o.a. bisherigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu § 51 Abs. 1 AuslG. Durch das Zuwanderungsgesetz ist im Hinblick hierauf der Regelungsbereich gegenüber der früheren Regelung in § 51 Abs. 1 AuslG nicht erweitert worden. Auch aus der Begründung des Gesetzesentwurfes zum Zuwanderungsgesetz (Bundestags-Drucksache 15/420, Seite 91) ergibt sich, dass die Änderung des Wortlautes der Regelung lediglich der Klarstellung dient, nicht aber eine Änderung der bisherigen Rechtslage bezweckt:

"Zu § 60: Absatz 1 Satz 1 entspricht inhaltlich der Regelung in § 51 Abs. 1 AuslG. Ausdrücklich genannt wird jedoch aus Gründen der Klarstellung das Merkmal "Geschlecht", das bisher mit Blick auf die internationale Staatenpraxis bei der Anwendung des Abkommens ... als Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu berücksichtigen war. Letzteres gilt auch für Verfolgung aufgrund der sexuellen Identität."

Auch soweit man zugunsten des Klägers unterstellen wollte, er sei irreversibel homosexuell veranlagt und im Falle gleichgeschlechtlicher Handlungen drohe ihm in Ghana strafrechtliche Verfolgung, rechtfertigt dies die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 8 EMRK nicht. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass eine Abschiebung unzulässig ist. Art. 8 EMRK gewährleistet die Achtung des Privatlebens und damit das Recht, in seinem privaten Sexualverhalten respektiert zu werden und ungestört zu bleiben. Dies schließt das Recht auf nicht öffentlich in Erscheinung tretende einverständliche homosexuelle Betätigungen unter Erwachsenen ein (EGMR, Urteil vom 22. Oktober 1981, a.a.O.; OVG Bremen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 1 A 33/99.A -, NVwZBeilage 1999, 101, 102 m.w.N.).

Die Gewährleistung aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ist nicht schrankenlos, wie Art. 8 Abs. 2 EMRK zeigt. Hiernach sind Eingriffe in das Recht auf Achtung des Privatlebens u.a. dann zulässig, wenn dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der Moral notwendig ist. Die Bestrafung einverständlicher homosexueller Handlungen Erwachsener in Ghana würde den Anforderungen des Art 8 Abs. 2 EMRK genügen, wenn dieser rechtliche Maßstab an die Verhältnisse in Ghana angelegt würde. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte können gewisse Regelungen des männlichen homosexuellen Verhaltens nach Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Moral notwendig sein, um die öffentliche Ordnung und Sitte zu erhalten und Bürger vor Belästigungen und Beleidigungen zu schützen; die Notwendigkeit einer gewissen Kontrolle könne sogar einverständliche Handlungen des Privatbereichs erfassen. Dabei steht es den nationalen Stellen zu, einzuschätzen, ob ein entsprechendes Bedürfnis einschränkender Regelungen zum Schutze der Moral besteht. Die nationalen Stellen dürfen die im jeweiligen Land herrschenden moralischen Vorstellungen in Fragen der Sexualität berechtigterweise berücksichtigen, und zwar auch dann, wenn sie nicht mehr mit der Haltung in anderen Gesellschaften übereinstimmen (vgl. EGMR, Urteil vom 22. Oktober 1981, a.a.O.).

Aufgrund der Ausführungen von G. Pascal Zachary (Coming-out in Afrika) vom März 2004 ist davon auszugehen, dass in Ghana weiterhin ein berechtigtes Interesse darin gesehen wird, homosexuelle Handlungen zu reglementieren. In dem Bericht wird dargelegt, dass in verschiedenen Staaten Afrikas Homosexualität - auch im Zusammenhang mit HIV und Aids - bekämpft werde. Auch in Ghana sei Homosexualität immer noch ein gesellschaftliches Tabu. Selbst bei Journalisten seien Homosexuelle gesellschaftlich geächtet, indem u.a. die Auffassung vertreten werde, Homosexuelle verdienten keinen wie auch immer gearteten Schutz gegen Übergriffen und Menschenrechtsverletzungen. Afrikaner verschlössen vor der Tatsache der Homosexualität einfach ihre Augen und es herrsche eine Kultur des Schweigens. Hiernach besteht eine breite gesellschaftliche Akzeptanz der Homosexualität bisher nicht. Dort vermeiden deshalb Homosexuelle jene Konflikte auszulösen, die ein engagiertes Eintreten für die Homosexualität mit sich bringen würde.