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VG Leipzig

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Zitieren als:
VG Leipzig, Urteil vom 20.09.2005 - A 1 K 30548/03 - asyl.net: M7769
https://www.asyl.net/rsdb/M7769
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Konversion, Apostasie, Christen, Glaubwürdigkeit, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Sicherheitslage, Versorgungslage
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Eine politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG sowie des § 60 Abs. 1 AufenthG liegt demnach vor, wenn der Verfolgte in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielte Rechtsverletzungen zu erwarten hat, wenn sie ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.

Nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnismitteln geht von der Regierung Karzai regelmäßig keine politische Verfolgung mehr für die unter dein Regime der Taleban gefährdeten Bevölkerungsgruppen. insbesondere die ethnischen und religiösen Minderheiten aus, auch wenn traditionell bestehende Spannungen zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien lokal in unterschiedlicher Intensität fortbestehen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes - AA - v. 21.6.2005, S. 17). Der Kläger hat vorgetragen, dass er zum christlichen Glauben konvertiert und am 18.1.1997 getauft worden sei. Bei dieser Sachlage ist es bereits zweifelhaft, ob es sich bei dem Kläger um einen religiösen Menschen handelt, der sich im Rahmen des Asylrechts auf das zu sichernde religiöse Existenzminimum berufen kann. Doch auch wenn ungeachtet dessen allein auf den formalen Akt der Taufe abzustellen sein sollte (vgl. BVerfG, K-Beschl. v. 19.12.1994, DVBl. 1995, 559), ist davon auszugehen, dass der Kläger die von ihm vorgetragene Religionsausübung, die sich außerhalb des häuslichen Bereichs offenbar auf sporadische Kirchgänge fernab seines Wohnorts beschränkt, auch in Afghanistan grundsätzlich vornehmen kann. Zwar sind bis auf eine christliche Kirche auf dem Gelände der italienischen Botschaft in Kabul keine christlichen Gemeinden in Afghanistan bekannt und eine ungehinderte, offene Ausübung der Religion für Konvertiten kaum möglich (Lagebericht AA v. 21.6.2005, S. 20 f). Art. 16a Abs. 1 GG und § 60 Abs. 1 AufenthG schützen indessen nicht vor Verfolgungsmaßnahmen, die sich gegen die Religionsausübung in der Öffentlichkeit richten (vgl. zum Asylrecht BVerfG, Beschl. v. 1.7.1987, BVerfGE 76, 143 [159]), so dass der Kläger sich darauf verweisen lassen muss, in städtischen Gebieten zu leben, wo wegen der größeren Anonymität Repressionen ohnehin weniger zu befürchten sind als in Dorfgemeinschaften (Lagebericht AA v. 21.6.2005, S. 20). Für den Fall, dass dem Kläger die Teilnahme an öffentlichen oder offiziellen Gottesdiensten der christlichen Kirchen in Afghanistan nicht möglich sein sollte, wäre das religiöse Existenzminimum erst dann als verletzt anzusehen, wenn ihm auch bei Zusammenkünften mit Gleichgesinnten in christlichen Hausgemeinschaften und abseits der Öffentlichkeit Repressionen drohten (vgl. SächsOVG, Urt. v. 4.5.2005 - A 2 B 524/04 [Iran]; zit. nach juris). Hiervon kann nach den vorliegenden Erkenntnismitteln jedoch nicht ausgegangen werden.

Für den Kläger besteht auch kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG.

Eine extreme Gefahrenlage dergestalt, dass der Kläger "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995, BVerwGE 99, 234 [238]; Urt. v. 12.7.2001 aaO; st. Rspr.) ist nach Auffassung des Gerichts jedoch derzeit in Afghanistan jedenfalls im Raum Kabul nicht gegeben.