OLG München

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Zitieren als:
OLG München, Beschluss vom 20.10.2005 - 34 Wx 141/05 - asyl.net: M7770
https://www.asyl.net/rsdb/M7770
Leitsatz:

Allein darauf, dass ein Ausländer nicht auf die Aufforderung zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten reagiert, lässt sich nicht die Annahme stützen, er wolle sich seiner Abschiebung entziehen.

 

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Entziehungsabsicht, Mitwirkungspflichten, Passlosigkeit, Passbeschaffung, Sachaufklärungspflicht, Aliasnamen, Asylantragstellung
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5; AufenthG § 48 Abs. 3; AufenthG § 58 Abs. 1; AufenthG § 58 Abs. 3 Nr. 7
Auszüge:

Allein darauf, dass ein Ausländer nicht auf die Aufforderung zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten reagiert, lässt sich nicht die Annahme stützen, er wolle sich seiner Abschiebung entziehen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde hat insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht führt.

2. Die vom Landgericht festgestellten Tatsachen tragen die Haftanordnung gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG nicht. Der Verdacht der Entziehungsabsicht setzt voraus, dass konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen und Verhaltensweisen, des Betroffenen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten bzw. nahe legen, der Betroffene beabsichtige unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden könnte (BGHZ 98, 109/112).

a) Das Landgericht hat dazu festgestellt, der Betroffene habe auf zwei Anschreiben der Ausländerbehörde, mit denen er zu einem Tätigwerden in Bezug auf seine fehlenden Ausweispapiere aufgefordert wurde, nicht reagiert. Zwar ist der Betroffene verwaltungsrechtlich verpflichtet, an der Beschaffung von Passersatzpapieren mitzuwirken, § 48 Abs. 3 AufenthG. Diese Mitwirkungspflicht kann jedoch nicht durch den Vollzug von Abschiebungshaft erzwungen werden. Die Abschiebungshaft darf allein zur Sicherung der Abschiebung angeordnet werden, als Beugehaft zur Erzwingung verwaltungsrechtlicher Mitwirkungspflichten ist sie unzulässig (BayObLG OLG-Report 2004, 136/137).

Im vorliegenden Fall lässt sich aus der Passivität des Betroffenen alleine kein begründeter Verdacht herleiten, er wolle sich der Abschiebung entziehen. Die näheren Umstände, warum er auf die Schreiben der Ausländerbehörde nicht reagiert hat, wurden nicht geklärt. Der Betroffene wurde im Rahmen der Anhörung hierzu nicht befragt. Er hat bei der Anhörung nicht zu erkennen gegeben, dass er alles unternehmen werde, um die Abschiebung zu verhindern. Insoweit kann von einer beharrlichen Weigerung, bei der Passbeschaffung mitzuwirken, welche gegebenenfalls den Schluss zulässt, der Betroffener wolle sich der Abschiebung entziehen (vgl. dazu BayObLG Beschluss vom 26.9.1995 - 3Z BR 258/95, Beschluss vom 4.4.1997 - 3Z BR 109/97, KG NVwZ-Beilage 1995, S. 61), nicht ausgegangen werden.

b) Die Aussage des Betroffenen, er wolle nicht ausreisen, macht seine Abschiebung erforderlich, § 58 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 7 AufenthG. Sie begründet aber noch nicht ohne weiteres den Verdacht, er werde sich dieser Abschiebung entziehen. Eine Abschiebung ist im Grundsatz ohne Haftanordnung durchzuführen (vgl. BayObLG Beschluss vom 4.4.1997 - 3Z BR 109/97, KG NVwZ-Beilage 1995, S. 61). Hinzu kommt, dass der Betroffene im Anhörungstermin die Rückkehr nach Afghanistan abgelehnt hat, weil er glaubt, sich auf ein Asylrecht berufen und dies durch neue Unterlagen beweisen zu können. Aus diesen Gründen hat der Betroffene auch einen neuen Asylfolgeantrag gestellt. Die Ablehnung der freiwilligen Ausreise unter Berufung auf eine Asylberechtigung und damit auf ein gesetzliches Bleiberecht reicht für einen begründeten Verdacht der Entziehungsabsicht nicht aus.