VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 29.08.2005 - VG 35 A 290.03 - asyl.net: M7800
https://www.asyl.net/rsdb/M7800
Leitsatz:

Da es zur Zeit keine Anordnung der obersten Landesbehörde nach § 23 AufenthG für die Aufnahme von jüdischen Zuwanderern aus den Gebieten der früheren Sowjetunion gibt, besteht kein Anspruch auf Visumserteilung.

 

Schlagwörter: Sowjetunion, Juden, Aufnahmeverfahren, Kasachstan, Anordnung der obersten Landesbehörde, IMK-Beschluss, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Entscheidungszeitpunkt
Normen: AufenthG § 23 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 23 Abs. 2; AufenthG § 104 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

Da es zur Zeit keine Anordnung der obersten Landesbehörde nach § 23 AufenthG für die Aufnahme von jüdischen Zuwanderern aus den Gebieten der früheren Sowjetunion gibt, besteht kein Anspruch auf Visumserteilung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist unbegründet, denn die Ablehnung des begehrten Sichtvermerks ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Das Begehren der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis richtet sich nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG -) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950), das am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist (Artikel 15 Abs. 3, 1. Halbsatz des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern - Zuwanderungsgesetz - vom 30. Juli 2004, BGBl. I S. 1950). Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift kann die Anordnung bei besonders gelagerten politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland vorsehen, dass den betroffenen Personen eine Niederlassungserlaubnis erteilt wird. Damit sollte nunmehr eine sichere Rechtsgrundlage für die Aufnahme jüdischer Immigranten geschaffen werden, die bisher nur auf der Basis einer Übereinkunft zwischen dem Bundeskanzler und den Regierungschefs der Länder vom 9. Januar 1991 vorgenommen wurde (BT-Drucksache 15/420, S. 77 f., zu § 23 Abs. 2; Nr. 23.2.1.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern - BMI - vom 22. Dezember 2004 zum Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz/EU, s.a. den ermessensbindenden Teilrunderlass des Auswärtigen Amtes vom 25. März 1997 - 514-516.20/7 -). Ein Anspruch auf Erteilung eines Sichtvermerks zur ständigen Wohnsitznahme in Deutschland folgt aus dieser neuen gesetzlichen Regelung für die Kläger jedoch nicht. Denn bislang fehlt es an der erforderlichen Anordnung der obersten Landesbehörden im Einvernehmen mit dem BMI. Zwar ging man in der Gesetzesbegründung ursprünglich davon aus, dass es im Hinblick auf den in der Besprechung vom 9. Januar 1991 geäußerten übereinstimmenden Willen zur Aufnahme dieses Personenkreises auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes keiner erneuten Anordnung bedürfe (BT-Drucksache 15/420, S. 78). Diese Annahme ist jedoch unrichtig. Denn es hat sich inzwischen herausgestellt, dass der bisherige Konsens hinsichtlich des begünstigten Personenkreises keineswegs mehr besteht und die Voraussetzungen für die Zuwanderung jüdischer Immigranten grundsätzlich neu geregelt werden sollen. Diesbezüglich liegt bisher lediglich eine Einigung zwischen dem Zentralrat der Juden und den Innenministern von Bund und Ländern vom Juni 2005 vor, die u.a. folgende neue Eckpunkte für das Zuwanderungsverfahren von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion enthält (Beschluss der Innenministerkonferenz vom 23.124. Juni 2005, TOP 35 nebst Anlagen): (...)

Eine rechtstechnische Umsetzung dieser Eckpunkte durch die obersten Landesbehörden ist jedoch bislang nicht erfolgt und im Übrigen auch gar nicht mehr vorgesehen. Vielmehr soll die Bearbeitung der Zuwanderungsfälle nach Auskunft des BMI, die den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gegeben und vom Beklagtenvertreter bestätigt wurde, künftig in Bundesvollzug überführt werden; eine entsprechende Änderung des Aufenthaltsgesetzes ist geplant. Derzeit besteht ein Entscheidungsmoratorium. Erst ab dem 1. Juli 2006 sollen von den Auslandsvertretungen wieder Entscheidungen getroffen werden, um sukzessive die Aufnahme entsprechend der Kapazität der jüdischen Gemeinden steuern zu können. Sobald die Umsetzung durch Gesetzgeber und Verwaltung erfolgt ist, steht es den Klägern frei, einen erneuten Antrag auf Zuwanderung nach Deutschland zu stellen und die dann erforderlichen Nachweise zu führen.

Die Kläger können sich nicht darauf berufen, dass für sie noch das zum 31. Dezember 2004 ausgelaufene Ausländergesetz vom 9. Juli 1990 - AuslG - (BGBl. I S. 1354, 1356) anwendbar sei. Zwar regelt § 104 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, dass über vor dem 1. Januar 2005 gestellte Anträge auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder einer Aufenthaltsberechtigung nach dem bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht zu entscheiden ist. Diese Übergangsregelung ist jedoch nicht auf jüdische Zuwanderer anwendbar (a.A. Raabe, Rechtswidrige Verwaltungspraxis bei der Zuwanderung jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion?, ZAR 2004, 410, 415 f.). Denn diese haben bei den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland keine Anträge nach den §§ 24 ff. AuslG auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gestellt, sondern - wie auch die Kläger - lediglich auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Form des Sichtvermerks (Visums) zur ständigen Wohnsitznahme in Deutschland.