OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 29.08.2005 - 4 Bs 168/05 - asyl.net: M7801
https://www.asyl.net/rsdb/M7801
Leitsatz:
Schlagwörter: Schutz von Ehe und Familie, Vater, familiäre Lebensgemeinschaft, Kinderbetreuung, soziale Einrichtungen, Côte d'Ivoire, HIV/Aids, medizinische Versorgung, Krankheit, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 6; AufenthG § 29 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

a. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass die Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich ist (§ 60 a Abs. 2 AufenthG). Zwischen ihm und seinen Kindern, die acht Jahre bzw. zehn Monate alt sind, sowie deren Mutter bestehen familiäre Lebensverhältnisse, die derzeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen ausschließen (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 31.8.1999, NVwZ 2000, 59; Beschl. v. 30.1.2002, FamRZ 2002, 601 = DVBl 2002, 693; OVG Hamburg, Beschl. v. 4.5.2001, FamRZ 2002, 165 [LS] = NordÖR 2002, 419; Beschl. v. 19.10.2004 - 3 Bs 423/04). Dazu im Einzelnen:

Der Zeitraum, der im Fall einer Abschiebung des Antragstellers nach Cote d‘Ivoire für die Durchführung des Befristungsverfahrens nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und für das Sichtvermerksverfahren anzusetzen wäre, ist nicht als kurz anzusetzen. Das könnte schon wegen der mit der Beschwerde dazu dargelegten Erwägungen gelten (Befristung nur unter der Voraussetzung der - ggf. ratenweisen - Bezahlung der Abschiebungskosten, u.U. gesetzlicher Ausschluss einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Familienzusammenführung nach dem 6. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes durch die spezielle Regelung in § 29 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).

Dem Antragsteller ist eine Aufhebung der familiären Lebensgemeinschaft für eine danach derzeit nicht absehbare Trennungszeit wegen der besonderen Umstände dieses Falles nicht zuzumuten. Vielmehr drohen seinen Kindern für den Fall einer Abschiebung nach den dazu vorgelegten Unterlagen schwerwiegende Defizite bei ihrer weiteren Persönlichkeitsentwicklung.

Aus den Berichten der Schule vom 20. April 2005 und der Tageseinrichtung Kiddies‘s Oase" vom 27. April 2005, an deren Richtigkeit zu zweifeln das Beschwerdegericht keinen Anlass sieht, ergibt sich eindeutig, dass insbesondere das acht Jahre alte Kind ... auf Grund der Lebensumstände der Familie und wegen der schwerwiegenden HIV-Erkrankung seiner Mutter auf die tägliche Anwesenheit und den persönlichen Beistand durch seinen Vater, den Antragsteller, angewiesen ist.

Bei derartigen familiären Verhältnissen, wie sie sich nach gegenwärtiger Erkenntnislage darstellen, kann die Unzumutbarkeit der Trennung des Antragstellers von seinen Kindern nicht mit der Begründung verneint werden, dass die Kinder auch von anderen Personen oder von sozialen bzw. kirchlichen Einrichtungen betreut werden könnten. Auch wenn eine derartige Betreuung möglich und erreichbar ist, wird dadurch für die (noch kleinen) Kinder des Antragstellers dessen persönliche Anwesenheit und sein täglicher Beistand nicht ersetzt und kann das Fehlen bzw. die Trennung von dem Vater als der nach dem o.g. Gesagten verlässlichsten Bezugsperson ggf. zu schweren Entwicklungsschäden führen. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach ausgeführt, dass bei Lebensverhältnissen, die wie hier einen über die Aufrechterhaltung einer Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden familienrechtlichen Schutz angezeigt erscheinen lassen, eine Abschiebung des ausländischen Vaters nicht schon deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich ist, weil die Betreuung des Kindes auch von anderen Personen erbracht werden kann (vgl. BVerfG, Besch. v. 31.8.1999, InfAuslR 2000, 67, 68; Beschl. v. 30.1.2002, FamRZ 2002, 601).

b. Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ist schon nicht ausreichend gesichert, dass Frau ..., die zwar mit dem Antragsteller in familiärer Gemeinschaft lebt, im Rechtssinne bisher aber unstreitig nicht mit ihm verheiratet ist, und die - wie im Übrigen auch die beiden gemeinsamen Kinder - (nur) die Staatsangehörigkeit ihres Heimatstaates Mali besitzt, überhaupt nach Cote d‘Ivoire einreisen kann. Dieser Staat befindet sich überdies derzeit in einer Bürgerkriegssituation, in der nicht nur die Bewegungsmöglichkeiten im Landesinnern stark eingeschränkt, sondern auch die Einreisemöglichkeiten schwer zu übersehen sind (vgl. dazu etwa die aktuellen Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes vom 25.8.2005, abrufbar auf der Internetseite dieser Stelle). Das dürfte insbesondere für Personen gelten, die - wie Frau ... und die gemeinsamen Kinder - die ivorische Staatsangehörigkeit nicht besitzen.

Der Familie des Antragstellers kann der Versuch einer Ausreise nach Cote d‘Ivoire und eine gemeinsame Wohnsitznahme in diesem Staat derzeit aber auch dann nicht zugemutet werden, wenn unterstellt wird, dass die dortigen Behörden sie wegen der familiären Lebensgemeinschaft und der Vaterschaft des Antragstellers für die gemeinsamen Kinder einreisen lassen sollten. Denn gegenwärtig spricht nur wenig dafür, dass die HIV-infizierte Lebensgefährtin des Antragstellers in Cote d‘Ivoire die notwendige lebenserhaltende ärztliche und medizinische Betreuung, die sie zur Zeit im Bundesgebiet erhält, erhalten kann. Eine Einbeziehung von Ausländern in den Kreis der Versorgung HIV-infizierter Personen im Rahmen der genannten Maßnahmen dürfte angesichts der sehr hohen Zahl eigener Staatsangehöriger, die in Cote d‘Ivoire an Aids erkrankt sind, eher unwahrscheinlich sein (mindestens 10% der Bevölkerung der Elfenbeinküste sind HIV-infiziert, vgl. Auskunft Botschaft in Abidjan an das Verwaltungsgericht Köln v. 11.11.2002).

Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers in Cote d‘Ivoire die notwendige Behandlung ihrer Krankheit auf privater Basis erreichen kann und die Familie insoweit in der Lage sein könnte, dort die für diese Behandlung erforderlichen Mittel (neben der Beschaffung des notwendigen Lebensunterhalts für die vierköpfige Familie) zu erwirtschaften.